© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Regierungswechsel: Reaktionen auf die Koalitionsvereinbarung
Pakt der Halbherzigen
Gerhard Quast

Die Begeisterung über den rot-grünen Koalitionsvertrag hält sich in Grenzen. Auch bei den Umweltverbänden ist die Skepsis unüberhörbar, schließlich ist das, was unter dem vielversprechenden Titel "Aufbruch und Erneuerung" beschlossen wurde, ein Kompromiß, der in vielen Punkten nebulös bleibt und den Forderungen der Umweltschützer keineswegs Genüge tut.

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht in den Vereinbarungen insgesamt zwar eine "Chance, den Stillstand im Umweltschutz zu überwinden". Ob daraus allerdings ein echter ökologischer Neuanfang für das Land werde, ist für den NABU angesichts "der Kleinmütigkeit" der SPD in Sachen Mineralölsteuer-Erhöhung ungewiß. Schröders Versteifung auf eine Benzinpreisanhebung von höchstens sechs Pfennig pro Liter "ist nicht nur sachlich völlig daneben, sondern auch politisch verfehlt", so NABU-Präsident Jochen Flasbarth. "Wir brauchen spritsparende Autos, die Vermeidung überflüssigen Verkehrs und eine kräftige Verlagerung von der Straße auf die Schiene." Eine solche Verkehrswende werde in Deutschland aber "ohne eine stetige und spürbare Verteuerung des Benzinpreises kaum zu erreichen sein". Positiv bewertet Flasbarth die Beschlüsse zu den übrigen Energiesteuern. Allerdings wären auch hier deutlichere Signale wünschenswert gewesen.

Insgesamt seien die umweltpolitischen Vereinbarungen eine "gute Basis für eine zukunftsweisende und moderne Umweltpolitik". Die angekündigten Vorhaben dürften allerdings nicht auf die lange Bank geschoben werden. Sowohl die Reform des Naturschutzgesetzes als auch die Novellierung einer Reihe umweltpolitischer Verordnungen müßten unverzüglich erfolgen.

Als einen "Pakt der Halbherzigen" bezeichnete der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) das Koalitionspapier. Der Vertrag beende zwar "die ökologische Eiszeit", von einer eindeutigen sozial-ökologischen Wende könne jedoch nicht die Rede sein, meinte Angelika Zahrnt, stellvertretende BUND-Vorsitzende. Sie zeigte sich insbesondere enttäuscht darüber, daß Schröder bei der Ökosteuer-Reform und dem Atomausstieg mit beiden Füßen auf der Bremse gestanden habe. Nach Ansicht des BUND weise die Vereinbarung einen deutlichen Bruch auf: Mit den Ergebnissen in klassischen ökologischen Bereichen wie Naturschutz, Abfall und Luftreinigung könne man zufrieden sein, wohingegen das Potential marktwirtschaftlicher Ansätze von der SPD ignorant zur Seite geschoben wurde. "Das Plus von sechs Pfennig pro Liter Benzin wäre erst dann wirkungsvoll, wenn es fünfmal pro Jahr käme", meinte Zahrnt.

Als "Meilenstein deutscher Energiepolitik" würdigte sie das Festschreiben des Atomausstiegs. Parallel zu den Konsensgesprächen müßten allerdings die gesetzlichen Grundlagen für einen "unfreiwilligen Ausstieg" entwickelt werden.

Auch wenn es keine klaren Fristen zum Abschalten der Meiler gäbe, seien wichtige Signale gesetzt worden. Dazu gehört nach Auffassung der Umweltstiftung WWF die beabsichtigte Beendigung der Wiederaufbereitung sowie der mögliche Verzicht auf das Atommüllendlager in Gorleben. "Beim Ausstieg aus der Atomenergie allein darf es aber nicht bleiben", forderte WWF-Referatsleiter Stephan Singer. "Wir erwarten flankierende Aktivitäten, wie zum Beispiel eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien um ein Prozent jährlich."

Kritik erntete die SPD vom BUND für ihre starre Haltung im Bereich Gentechnik. Die SPD habe sich gegen ein Moratorium für die Freisetzung und den Anbau transgener Pflanzen gesperrt. Deshalb sei die lückenlose Kennzeichnung von Gen-Lebensmitteln notwendig.

Daß "Druck von unten" auch die nächsten Jahre notwendig sein wird, darüber herrscht unter den großen und kleinen Umweltverbänden Einigkeit. Der rot-grünen Regierung wird vieles zugetraut, nicht aber der Wille zur Initiative. Vorsorglich "Feuer unterm Arsch" der Regierenden verspricht deshalb schon jetzt ein Vertreter vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.


 
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