© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Neue Dienstverhältnisse
Karl Heinzen

"Die große Serie mit den Jobs für morgen" verspricht die "Bild am Sonntag" einer Nation im Aufbruch. Welche Berufe werden in der Zukunft noch zählen? Der Wettlauf mit der Restlebensarbeitszeit ist eröffnet. Da die Zukunft aber offenbar schon mit dem Jahr 2000 beginnt, müssen sich die Menschen ein wenig beeilen. Lebenslanges Umlernen: Gerade nach dem Ende des Neoliberalismus heißt dies, daß es stets alte Dienstverhältnisse mit neuem Geist zu erfüllen gilt.Wer heute arbeitslos ist, kann zwar nicht auf eine spürbare Hebung seiner materiellen Lebensumstände zählen, darf aber darauf hoffen, relativ bessergestellt zu werden. Man wird ihn nicht länger als anonymen Empfänger von Transferzahlungen behandeln, sondern sich bemühen, seiner persönlichen Vermögenslage gerecht zu werden. Nur der sich nicht aus seiner Verantwortung stehlende Staat kann sich das Recht herausnehmen, sozial Schwache in die Verantwortung zu nehmen.

Stark muß der Staat sein, weil die jahrzehntelangen rot-grünen Anstrengungen, ihn zu erobern, sonst ihren Sinn verlören. Darüber hinausgehende Ambitionen sind nicht zu befürchten. Ein neuerlicher Versuch, der Privatwirtschaft etwas entgegenzusetzen, lohnt der Mühe kaum. Da ist es weitaus reizvoller, den Wandel der alten Ökonomie als ihre Überwindung zu empfinden. Die Linke hat ihre Steckenpferde gewechselt: Sie verteidigt nicht länger die da unten gegen die da oben, sondern vertritt die Interessen des tertiären Sektors gegen den sekundären. Dies ist das rot- grüne Projekt, auf dieser Basis läßt sich die übervölkische Volksgemeinschaft verwirklichen, und da es bei Dienstleistungen um sehr viel Kommunikation geht, wird es sogar eine Volksgemeinschaft mit menschlichem Antlitz sein.

Oben und unten finden neu zusammen: Derjenige, der im Schönheitssalon die Mitesser ausdrückt und diejenige, der die Mitesser ausgedrückt werden und die sich derweil eine neue Gedenkidee durch den umsorgten Kopf gehen läßt, sitzen im gleichen Boot, auch wenn sie selbst durch die in dieser Situation vermeintlich zum Ausdruck kommenden Herrschaftsverhältnisse irritiert werden mögen. Nicht jeder ist dazu geboren worden, Mode für Senioren zu machen, Werbestrategien für Müllverbrennungsanlagen zu kreieren oder Orte des Schreckens didaktisch nahezubringen. Die meistens sind halt gut bedient, wenn sie geschickt Bulettenbrötchen einpacken, Tättowierwünsche gewissenhaft ausführen oder zuvorkommend die Tische im Internet-Cafe abräumen. Ein Unterschied existiert hier nur, wenn er bewußt gemacht wird. Zwischen Dienstleistern der Stirn und Dienstleistern der Faust darf aber kein Keil getrieben werden, auch wenn diese Revolution in den Köpfen wieder einmal von oben kommt: Bislang litten nur die Herrschenden und Vermögenden unter der Ahnung, in Wahrheit von dem zu leben, was andere produziert haben. Dieses Gefühl soll nun Gemeingut aller werden.


 
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