© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Krise im Irak: Der UN-Sicherheitsrat bleibt bei seiner harten Linie gegenüber Bagdad
Öffentlichkeit und Propaganda
Michael Wiesberg

Mit seiner Forderung nach Absetzung des Chefs der UN-Abrüstungskommission (Unscom) und einer unvoreingenommenen Prüfung des irakischen Rechts auf Aufhebung der UN-Sanktionen hat sich der irakische Präsident Saddam Hussein erneut ins Gespräch gebracht. Saddam machte in diesem Zusammenhang deutlich, daß er keine Anzeichen für eine baldige Aufhebung des Embargos sehe und daher neue Aktivitäten einleiten werde, um das Embargo zu beenden. Zu diesem Zweck holte er die Zustimmung des Revolutions-Kommandorats und der irakischen Baath-Führung für seinen Beschluß ein, die UNO mittels einer Blockade ihrer Abrüstungsoperationen im Irak zu provozieren. Die irakische Führung erklärte dementsprechend, sämtliche Aktivitäten der Unscom-Inspektoren unter Einschluß der Langzeitüberwachung müßten sofort eingestellt werden. Weiter wurden die irakischen Behörden aufgefordert, nicht mehr mit dem Unscom-Chef Butler und seinen Experten zusammenzuarbeiten. Der Irak machte aber deutlich, daß die Unscom-Teams im Irak verbleiben könnten. Ihre Überwachungsgeräte und Videokameras in den Rüstungsbetrieben sollen nicht angerührt werden.

Diese Maßnahme Bagdads, die wesentlich weiter als die Einschränkung der Unscom-Inspektionen auf den erreichten Stand von Anfang August geht, verdeutlicht den Unmut Saddams über die schleppenden Verhandlungen mit der UNO während der vergangenen Wochen. Der irakische Staatschef hat offensichtlich die Hoffnung, auf konventionellem Weg die Aufhebung der Sanktionen zu erzielen, aufgegeben. Massiv wurde in diesem Zusammenhang Unscom-Chef Butler für sein "dreckiges Spiel" angegriffen. Butler wird insbesondere vorgeworfen, die Untersuchungsresultate in bezug auf das Nervengas VX an irakischen Raketen-Gefechtsköpfen manipuliert zu haben. Butler soll damit den USA und der UNO die Argumente für eine weitere Blockade des Irak geliefert haben. Saddam betonte ausdrücklich, daß die Maßnahmen gegen die Unscom dann ein Ende haben, wenn Butler abgesetzt sei.

In der Tat hatte Butler am letzten Montag in einem Bericht an den Sicherheitsrat den Irak der Produktion des Kampfgases VX in stabilisierter, waffenfähiger Form bezichtigt. Dabei verwarf er Laboruntersuchungen an irakischen Raketensprengköpfen in Schweizer und französischen Anlagen, die eher negative Resultate erbracht hatten, und hielt sich statt dessen an amerikanische Untersuchungsbefunde, die sich jedoch in einem zweiten Durchgang nicht mehr reproduzieren ließen. Daraufhin warf Butler den Irakern vor, sie hätten mögliche Spuren an den später für Frankreich und die Schweiz ausgesuchten Raketenteilen verwischt.

Der UN-Sicherheitsrat zeigt unterdessen wenig Anstalten, von seiner harten Linie gegenüber Bagdad abzuweichen. Er quittierte die irakische Maßnahmen als Verstoß gegen die Entschließungen der Weltorganisation und gegen das Abkommen Bagdads mit dem UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Februar diesem Jahres. Aus dem Pentagon verlautete inzwischen, US-Verteidigungsminister Cohen sei äußerst besorgt über die Entwicklung in Bagdad und dränge auf eine rasche Antwort. Wie immer wird es von den USA abhängen, ob es zu militärischen Strafmaßnahmen seitens der Weltorganisation kommt. Cohen machte aber schon deutlich, daß "alle Optionen offen" – also auch die Möglichkeit eines neuen Militärschlages – in Betracht gezogen werden.

Saddams Verhalten scheint der in der hiesigen "veröffentlichten Meinung" vertretenen Auffassung, daß der irakische Staatspräsident ein "Psychopath" sei, Recht zu geben. Erneut schickt sich Saddam an, die sogenannte "internationale Völkergemeinschaft" herauszufordern, obwohl der Irak im Falle einer militärischen Auseinandersetzung keine realistische Erfolgsaussicht hat. Saddam muß also triftige Gründe haben, wenn er erneut die Konfrontation sucht. Dabei spielt das bereits angesprochene Wirtschaftsembargo, das seit Ende des Golfkrieges auf dem Irak lastet, natürlich eine zentrale Rolle. Entscheidend für das Verständnis der Vorgänge am Golf sind jene Ereignisse, die 1991 zum Golfkrieg führten. Nach dem kräftezehrenden achtjährigen Krieg zwischen dem Iran und dem Irak (1980–1988), an dem in erster Linie internationale Waffenhändler verdienten, drohte das ambitionierte landwirtschaftliche und industrielle Aufbauprogramm des Irak zum Erliegen zu kommen. Die Kriegsschulden des Irak waren gigantisch. Sie beliefen sich 1989 auf etwa 65 Milliarden US-Dollar.

Saddams Hauptgeldgeber während des Krieges waren Saudi-Arabien, Kuwait und die ehemalige Sowjetunion. Darüber hinaus hatten französische, englische und amerikanische Banken Kredite zur Verfügung gestellt. Das Hauptinteresse Saddams Husseins galt – folgerichtig nach einem verlustreichen Krieg – zunächst dem Wiederaufbau seines Landes. Der Irak sollte unabhängig von amerikanischen Nahrungsmittellieferungen werden. Auch deshalb bot Saddam Hussein US-Unternehmen an, in die petrochemische Industrie seines Landes zu investieren, um auf diese Weise mit zur Entwicklung des Iraks beizutragen. Die Amerikaner waren allerdings an diesen Angeboten nicht interessiert. Sie forderten statt dessen, daß der Irak zum einen seine Staatsschulden abbauen solle und zum anderen die nationale Erdölindustrie seines Landes "privatisieren" solle. Die Amerikaner wollten sich auf diese Weise den direkten Zugriff auf die gewaltigen Erdölvorräte des Irak sichern. Saddam lehnte diese Forderungen aus nachvollziehbaren Gründen ab und sah sich in der Folge mit der Sperrung lebenswichtiger Kredite seitens der USA konfrontiert. In den westlichen Medien wurde in der Folge behauptet, Saddam wolle die Kredite für Rüstungszwecke verwenden. Am Ende dieser Anti-Irak-Kampagne wurden alle westlichen Kredite an den Irak storniert.

Genau in dieser für den Irak so kritischen Situation begann Kuwait, den Markt mit Billigöl zu überschwemmen. Der dadurch ausgelöste Preisverfall hatte für den Irak bedrohliche Folgen. Kuwait weigerte sich trotz irakischer Bitte, von seiner Förderpolitik abzulassen. Darüber hinaus förderte Kuwait auch noch Erdöl in Gebieten, die zu neunzig Prozent auf irakischem Territorium lagen. Die sich daran entzündenden Grenzstreitigkeiten zwischen dem Irak und Kuwait führten schließlich zur Besetzung Kuwaits und damit zum "Golfkrieg". Die USA spielten in diesem Zusammenhang eine besonders zwielichtige Rolle. Hier sei nur an die Aussage der US-Botschafterin in Kuwait, April Glaspie, erinnert, die Saddam Hussein zu verstehen gab, daß die USA an den Grenzstreitigkeiten zwischen dem Irak und Kuwait nicht interessier seien. Sie fügte hinzu, daß sie vom damaligen Präsidenten der USA, George Bush, angehalten worden sei, diesen Punkt besonders zu betonen. Nach dem Ende des Golfkrieges bestätigte Frau Glaspie in ihrer Aussage vor dem US-Kongreß, daß sie Saddam Hussein zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht habe, daß die USA gegen den Irak Krieg führen würden, wenn dieser die Grenze nach Kuwait überschreitet. Bezeichnenderweise versuchte das State Department bis zuletzt, Frau Glaspies Aussage zu vereiteln.

Ohne Zweifel sind die USA die großen Gewinner des Golfkrieges, der sie in die Lager versetzte, mittels ständiger Truppenpräsenz eine andauernde Kontrolle in der Region auszuüben. Hält darüber hinaus das Embargo gegenüber dem Irak lange genug an, fallen den USA auch noch die Förderrechte im Irak in den Schoß.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Reaktion des neuen Außenministers Fischer, dem zur neuerlichen Irakkrise nichts anderes einfiel, als "die Entscheidung der irakischen Regierung zu verurteilen". Niemand erwartet von Fischer aufgrund der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse, die Deutschland an die USA binden, daß Fischer mit Blick auf den Irak zum großen Rundumschlag gegen die USA ausholt. Aber die diplomatische Sprache kennt sehr wohl Zwischentöne, mit denen deutlich gemacht werden kann, daß Deutschland nicht länger gewillt ist, sich zum willfährigen Handlanger der US-Propaganda degradieren zu lassen. Dazu ist Fischer offensichtlich nicht willens. Hierin liegt denn auch die eigentliche "Kontinuität" der deutschen Außenpolitik, von der in diesen Tagen so gern die Rede ist.


 
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