© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Ulrike Posche: Gerhard Schröder. Nah-Aufnahme
Desperado und Schmuddelkind
Kai Guleikoff

Schröder ist Kanzler. Wer hätte vor Jahren noch ernsthaft daran gedacht? Heute wollen wenige Zweifel gehabt haben. Der Sieg hat viele Väter (und Mütter), und diese melden sich bereits mit Erinnerungen zu Wort. Eine davon ist die Stern-Reporterin Ulrike Posche. Seit dem Anschluß Mitteldeutschlands begleitet sie diesen Mann, "der ganz enge Nähe gar nicht aufkommen läßt", so Schröder-Referent Heinz Thörmer. Sie schildert die wechselvolle Geschichte seines sozialen Aufstieges bis hinein in den Kanzlerbungalow in interessanten Episoden.

Noch im Jahr 1993 wird Gerhard Schröder von der Mehrheit seiner Genossen als "zu kalt und technokratisch, zu machtgeil und arrogant" charakterisiert: Er verliert den Kampf gegen Rudolf Scharping um den Parteivorsitz. Jetzt hat er sich revanchiert und Scharping auf die Hardthöhe verbannt. Im Umgang mit "GenossInnen" ist Schröder nicht fein. Ulrike Posche dazu: "In den Juso-Tagen von 1963 bis 1980 wuchsen unzerrüttbare Feindschaften. (…) Schon damals empfanden die Linken in der Partei, der ‘Marxist’ Schröder habe sie verraten: erst mit den Stamokaps gesoffen, um Juso-Chef zu werden, dann seine Verbündeten der Reihe nach abserviert. (…) Schröder (hat) alte Gefährten, sogar ganze Seilschaften von der Telefonliste gestrichen, wenn sie nicht mehr ins Lebenskonzept paßten oder wenn sie ihm quer kamen."

Er hat ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, beobachtet die Autorin weiter. "Ebenbürtig" akzeptabel hält Schröder nur seine Mutter und die jeweilige Ehefrau. Zitierenswert ist Frau Posche auch hier: "Es ist eine seltsame Verklemmtheit um diesen Mann. Ihm ist körperlich unwohl, wenn er mit Journalistinnen, die ihm fremd sind, im Auto fahren muß, um ein Interview hinter sich zu bringen. (…) Er gibt sich dann abweisend, manchmal verhockt und schroff. (…) Es ist wahr, daß Schröder zum vierten Mal verheiratet ist. Es ist aber nicht auszuschließen, daß es bisher auch nur vier Frauen in seinem Leben gab."

Wohl auf die Tatsache anspielend, daß Schröder keine leiblichen Kinder hat, kommentierte Theo Waigel in bayerischer Derbheit: "Der ist keine Wundertüte, sondern eine ziemlich tote Hose." Der neue Kanzler kann damit leben, zumal sein Macho-Image gern von der Boulevard-Presse bei Bedarf aktiviert wird, um den Verkaufserlös zu stimulieren. Diese Angebote hat er auch bisher gerne angenommen. Exemplarisch dafür ist die "Schneewittchen-Story" um seine Ehefrau Doris. Die "alten Genossen" auf Borkum hätten ihn gefragt, ob sie seine Frau sei. Nach der Bestätigung dann die Feststellung, "die sieht ja aus wie Schneewittchen, hinten kein Arsch und vorne kein Tittchen".

Äußerlich unbewegt nahm bisher die studierte Journalistin, heute als Doris Schröder-Köpf deutsche "First Lady", derartige Zotigkeiten hin. Darin mag sie Frau Clinton ähneln.

Durchaus als Kompliment zu sehen, verkörpert er doch nach verbreiteter Auffassung den Typ des "neuen Politikers" – aus dem Nichts kommend, von hohem Unterhaltungswert und voller wandelbarer Grundsätze. Schröder hatte das Glück, als amtierender Bundesratspräsident den Präsidenten der USA kennenzulernen. In dieser exponierten Funktion gefiel er Bill Clinton sofort –und bekam eine Einladung ins Weiße Haus. Ulrike Posche kommentiert in ihrem Buch dazu bissig: "Es ist Tradition, daß bei einem ordentlichen europäischen Wahlkampf der Ritterschlag des amerikanischen Präsidenten für den Oppositionskandidaten dazugehört." Aus 20 geplanten Minuten werden 60, damit Rekord für einen deutschen Kanzlerkandidaten. Dann noch die vertrauliche Mitteilung, Clinton habe seine Hand auf Schröders Knie gelegt. Dieser besitzergreifenden Geste durfte sich bisher nur Helmut Kohl rühmen. USA-Experte Günter Verheugen deutete die Zeichen richtig: "Ich denke, daß auf der Clinton-Seite hier nicht nur der Wahlkämpfer gesehen wurde, sondern der zukünftige Kanzler." Vor dem Besuch der höchsten weltlichen Macht hatte Schröder im Juni 1995 bereits der höchsten geistlichen Repräsentanz seine Aufwartung gemacht. Als Kanzlerkandidat war er schon damals interessant. Auch Schröder war neugierig, das "älteste Großunternehmen der Welt" kennenzulernen. "Papst is’ auch ’n doller Job", soll er damals geflachst haben. Und als er den Petersdom besichtigte, kam ihm in den Sinn, daß seine Partei "im Grunde genauso funktioniert" wie die katholische Kirche: "Der Frieden ist alles", sagte er, "und die Parteitagsbeschlüsse so heilig, daß sie wie eine Monstranz vorangetragen werden". Johannes Paul II. behandelte ihn nicht außergewöhnlich, dafür zeigt das obligatorische Gruppenfoto bis heute eine Besonderheit: An Gerhard Schröders dunkelblauen Sakko sind sämtliche Knöpfe in Staniolpapier eingewickelt, noch von der zuvor erfolgten chemischen Reinigung.

Heute wachen viele Leute über ihn, denn "der Sohn der Putzfrau ist Kanzler geworden! Der Mann, dessen Leben von Fallada erdacht, von Fassbinder gefilmt hätte sein können: Gerhard Schröder, das Tagelöhnerkind, wird siebter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland."

Ulrike Posches Buch ist wenig distanziert, ist vielmehr ein Bekenntnis zu Schröder, ein Bericht der Bewunderung, wenn sie beispielsweise schreibt: "Dieser Sieg, der war ihm überlebenswichtig. (…) Sein Sieg ganz allein. Er, der Outsider von Geburt, der Desperado von Natur, das Schmuddelkind der Partei, immer hat sie ihn wegsperren wollen. Und nun war ausgerechnet er an allen vorbeigezogen, ins Zentrum der Macht. (…) Er wird sie sich von niemandem mehr nehmen lassen und mit niemandem teilen. Und wenn er der isolierteste, der einsamste Kanzler aller Zeiten werden würde. Es sei nicht um Inhalte gegangen, haben sie ihm vorgeworfen, nicht um Themen; nicht um die Neufindung von Politik. Es sei bloß um Kohl oder Schröder gegangen. Das stimmt. Und nun ist eben Schröder."

Ulrike Posche: Gerhard Schröder. Nah-Aufnahme. Goldmann, München 1998, 184 Seiten, 15 Mark


 
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