© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Hoffnungsträger
Karl Heinzen

In der DDR war ein Gourmet, wer aus sechs fehlenden Zutaten einer Speise vier herausschmecken konnte. Das Interesse an exotischer Küche war rein seelischer Natur, man ergötzte sich an der Erfahrung, daß in den Weiten des östlichen Eurasien ein und dasselbe Kohlrübengericht so viele verschiedene Bezeichnungen trug. Die sinnlichen Wahrnehmungen waren vergeistigt. Lebensart wurde nicht durch Luxus erkauft. Die Sehnsucht nach dieser Welt, die noch ein Ziel kannte, ist verständlich. Nur wenige vermögen aber den Glauben zu nähren, daß sich Geschichte wiederholen kann. Selbst der überwiegende Teil der sichtbaren PDS führt sich eher so auf, als gelte es Rache an der Bonner Republik zu nehmen und nicht, sie in eben jene Berliner zu überführen, die es zwischen 1949 und 1990 ja schon einmal auf deutschem Boden gab. Nur einer fällt erkennbar aus diesem schrägen Rahmen, und er ist folgerichtig dafür belohnt worden: Helmut Holter, der erste Android sowjetischer Bauart, der in Einheits-Deutschland auf dem Sessel eines stellvertretenden Ministerpräsidenten Platz nehmen darf. Mit ihm ist die Republik endlich bei der PDS angekommen. Mit ihm ist dafür Sorge getragen, daß der Erfahrungsschatz von über vier Jahrzehnten DDR nicht länger ungenutzt bleibt.

Helmut Holter ist Realist. Er schließt einen bewaffneten Aufstand aus guten Gründen aus – schließlich gibt es ja auch keine auswärtige Macht mehr, die in diesen wohlwollend eingreifen könnte. Er ist kein Max Hoelz, er ist aber erst recht kein Hannes Balla. Bei aller Neigung, auch einmal Fotos zu zeigen, auf denen er schon in den 70er Jahren mit entblößtem Oberkörper abgebildet ist, ist er sich sehr wohl bewußt, daß spontanistische Anwandlungen in einem Milieu, das auf einen friedlichen und geordneten Übergang zu einer hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens geläuterten Diktatur setzt, nicht honoriert werden.

Werden die Hoffnungen, für die Helmut Holter steht, aber so leicht zu erfüllen sein? Ein einfacher Weg ist der vor ihm liegende sicher nicht. Nach einem Jahrzehnt hat es gerade einmal zur Regierungsbeteiligung in einem Land gereicht, diejenige im Bund wird wohl noch bis zum Jahr 2002 auf sich warten lassen. Von der Beteiligung an einer Regierung bis zur ausschließlichen Ausübung derselben ist es ein beachtlicher Schritt, der leicht noch einmal zehn Jahre oder sogar mehr in Anspruch nehmen kann.

Jahre der Anfechtung stehen der PDS be-vor: Die Gesellschaft wird ihr einreden wollen, sie sei eine durch und durch sozialdemokratische Partei. So manches von ihrem heutigen Ressentiment könnte ihr dadurch abhanden kommen. Da wird sie auf Kader setzen müssen, die auch in Alternativen denken können. Diese hat Helmut Holter kennergelernt: Er war auf der Parteihochschule in Moskau,als die Sowjetunion unter Gorbatschow die Weichen für eine mafiotische Zukunft stellte.


 
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