© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
Berlin: Oberverwaltungsgericht genehmigt Religionsunterricht
Islamismus vor den Schultoren
Gerhard Quast

Es reicht aus, daß Mitglieder sich zur Weltreligion Islam mit seinen allgemeinverbindlichen Quellen des Korans und der Sunna bekennen", so die Urteilsbegründung der 7. Kammer des Berliner Oberverwaltungsgerichts (OVG) zum Ansinnen der Islamischen Föderation, an Berliner Schulen in Eigenverantwortung Islamunterricht erteilen zu wollen. Es könne auch nicht verlangt werden, daß sich die muslimische Vereinigung auf eine bestimmte Glaubensrichtung festlege. Dies widerspräche nach Ansicht des OVG der islamischen Grundanschauung (Az: OVG 7 B 4.98).

Damit macht ein Gericht erstmals den Weg frei für islamischen Religionsunterricht an staatlichen Einrichtungen. In Ländern wie Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen oder Rheinland-Pfalz gibt es lediglich eine Form der "religionskundlichen Unterweisung" im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts, allerdings in staatlicher Verantwortung.

Personell und inhaltlich mit Islamisten verbunden

Zugleich billigte das OVG der Islamischen Föderation "alle Merkmale" einer Religionsgemeinschaft zu. Der selbst unter Muslimen umstrittene Dachverband von neun Vereinen und 16 Fördervereinen erhält damit einen Status, der in etwa vergleichbar ist dem der beiden großen christlichen Kirchen.

Noch am 19. Dezember letzten Jahres wurde die Klage der Islamischen Föderation Berlin (IFB) vor dem Berliner Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, die IFB sei lediglich ein Dachverband, nicht jedoch eine Religionsgemeinschaft im eigentlichen Sinne. Dazu fehle dem Zusammenschluß nicht nur eine auf Dauer angelegte Organisationsstruktur, sondern auch ein spezifisches Glaubensbekenntnis. Den Bezug allein auf den Koran ließ das Verwaltungsgericht damals nicht gelten.

Auch der Vorwurf, bei der IFB gebe es Anhaltspunkte, die den Schluß nahelegten, der Verband sei verfassungsfeindlich, hinterließ beim OVG wenig Eindruck. Vielmehr habe die IFB nach Aussagen des Gerichts zugesagt, in ihrem deutschsprachigen Unterricht das Grundgesetz und die Berliner Verfassung zugrunde zu legen. Deshalb dürfe das Land Berlin sich bei dem Zulassungsverfahren lediglich "auf die Modalitäten, insbesondere die Einzelheiten der Unterrichtsgestaltung nach den eingereichten Lehrplänen" beziehen.

In Berlin ist das Fach Religion – ebenso wie in Brandenburg und Bremen und abweichend von Artikel 7 des Grundgesetzes – kein ordentliches Lehrfach, sondern wird als unverbindliches Zusatzangebot von den Kirchen in eigener Verantwortung unterrichtet. Derzeit gibt es nach Schätzungen der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John in der Hauptstadt rund 30.000 Kinder, die muslimischen Glaubens sind. Obwohl John das Urteil grundsätzlich begrüße, halte sie es für problematisch, daß durch den Urteilsspruch der IFB das Monopol für den Islamunterricht erteilt würde. Islamischer Religionsunterricht müsse auf eine "breite Basis" gestellt werden.

In diese Richtung gehen schon seit langem die Bestrebungen des Senats. Bisher waren jedoch die Einigungsbemühungen zwischen den großen türkisch-moslemischen Verbänden nicht von Erfolg gekrönt. Die Unterschiede zwischen eher gemäßigten Verbänden wie der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und mehr islamistisch orientierten Gruppierungen schienen unüberbrückbar zu sein.

Das machen auch die Reaktionen auf das OVG-Urteil deutlich: Obwohl der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) das Recht auf islamischen Religionsunterricht an Berliner Schulen grundsätzlich begrüßt, hält sich die Begeisterung über das Urteil in Grenzen. TBB-Geschäftsführer Kenan Kolat zeigte sich vor allem deshalb skeptisch, weil das OVG die Verantwortung für den Unterricht in die Hände einer politischen Organisation mit islamistischen Zielen gelegt habe, die zudem nur "eine verschwindende Minderheit" der Berliner Muslime vertrete. Mit der IFB stünde nun der Islamismus vor den Schultoren Berlin. Der eher liberal ausgerichtete TBB sieht den Dachverband außerdem personell und inhaltlich mit der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) verbunden. Diese wiederum sei als extremistisch anzusehen. Folglich sei auch von der IFB weniger eine religiöse Unterweisung als vielmehr politische Einflußnahme zu erwarten.

Ähnlich skeptisch sieht es der türkischstämmige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Cem Özdemir. Er wies darauf hin, daß viele der in Deutschland lebenden Muslime eine religiöse Unterweisung ihrer Kinder wünschten, nicht jedoch durch fundamentalistische Vereine. Es sei deshalb fragwürdig, daß das OVG die Verantwortung dafür einer solchen Strömung überlassen habe. Um die Gefahr politischer Agitation durch muslimische Extremisten zu bannen, sollte die Religionsunterweisung besser unter staatliche Aufsicht gestellt werden.

Es gibt kein Monopol auf Islamunterricht

Das fordert seit langem auch der Vorsitzende des Türkischen Elternvereins Berlin-Brandenburg, Kazim Aydin. Er sprach sich dagegen aus, daß die IFB an Berliner Schulen Islamunterricht durchführen darf und plädierte statt dessen dafür, daß der Unterricht nur von Pädagogen erteilt werden sollte, die an deutschen Universitäten studiert haben. "Wir wollen weder eine islamische Gruppe noch ein Ministerium der Türkei als Träger. Wir möchten, daß dieser Unterricht durch die Senats- und Schulverwaltung delegiert und kontrolliert wird. Das ist für uns verdammt wichtig, weil wir wissen, daß andere Gruppen, die für eine Trägerschaft in Frage kämen, niemals objektiv sein können", begründete Aydin seine Haltung vor einiger Zeit in einem Interview mit der jungen freiheit. "Wir wollen eine islamkundliche Unterweisung, in der auch über die anderen Religionen gelehrt wird, damit die Kinder gegenüber den anderen Religionen Verständnis aufbringen können."

Den Vorwurf, die IFB unterhalte Verbindungen zur IGMG, wies Verwaltungschef Bekir Durak gegenüber der Frankfurter Rundschau mit der Bemerkung zurück, es seien "viele Vorurteile unterwegs". Seine Organisation wolle "den islamischen Glauben vermitteln, nicht Politik". Tatsächlich ist die IFB einer von 38 Mitgliedsvereinen des "Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland". Dies bestätigte deren Ratsvorsitzender Hasan Özdogan. Der 1986 in Berlin gegründete Zusammenschluß wird nach Aussagen von Ursula Spuler-Stegemann – einer profunden Kennerin der muslimisch-türkischen Szene in Deutschland – von der IGMG und deren Zweigorganisationen dominiert. Auch in Berlin gibt es eine Vielzahl von Verflechtungen. Deshalb wurde die IFB lange Zeit vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Weil die Hinweise für deren Verfassungsfeindlichkeit nicht ausreichten, wurde 1992 die Beobachtung eingestellt. Jetzt erwägt Eduard Vermander, Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, erneut eine Beobachtung; wie er betont, unabhängig von der Gerichtsentscheidung.

Die IFB hat unterdessen angekündigt, an drei Kreuzberger Schulen in absehbarer Zeit Islamunterricht anzubieten. Später soll er auf andere Bezirke ausgedehnt werden. Auch andere türkische Verbände werden sich durch das Urteil bestärkt fühlen und "ihr" Recht auf islamischen Religionsunterricht in Anspruch nehmen. Milli Görüs hat dies in einer Reaktion auf das Urteil bereits durchblicken lassen: "Durch das obsiegende Urteil der Islamischen Föderation ist kein Monopol entstanden. Es bleibt anderen islamischen Gemeinschaften unbenommen, sich ebenfalls für die Einrichtung eines Religionsunterrichtes nach ihren Vorstellungen zu bemühen."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen