© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
Dietrich Schwanitz: "Der Zirkel" ist ein würdiger Nachfolger für "Der Campus"
Roman gegen politische Korrektheit
Björn Hauptfleisch

Selbst für einen Autor der JUNGEN FREIHEIT ist es eine nicht alltägliche Erfahrung, sich als Figur in einem Roman eines Erfolgsschriftstellers wiederzufinden. Dem Rezensenten bot der neue Roman von Dietrich Schwanitz Gelegenheit dazu.

Mit "Der Zirkel" hat Dietrich Schwanitz mehr als eine gelungene Fortsetzung seines inzwischen verfilmten Kassenschlagers "Der Campus" abgeliefert. Der Handlungsrahmen – das universitäre Milieu im allgemeinen und die Universität Hamburg im besonderen – sind zwar gleich geblieben. Doch wo die Kritik den "Campus" kaum verließ, setzt sie im "Zirkel" erst richtig ein und steigert sich zu einem gesellschaftlichen Rundumschlag von großer Energie.

Als roter Faden durch das Tohuwabohu aus Intrigen und Beziehungskatastrophen zieht sich der unheilvolle Einfluß der zwanzig- oder dreißigtausend Stasispitzel an den Westunis, die den "Zirkel" bilden. Einen anderen wichtigen Aspekt bildet das allgemein-politische Mandat des AStA, um das auch an Schwanitz’ Uni Hamburg erbittert gestritten wird. Die überaus kunstvoll gesponnene Geschichte sei nur kurz skizziert: Daniel Dentzer, persönlicher Referent des Wissenschaftssenators Weiss, ist in heikler Mission unterwegs. Mutmaßliche Skinheads haben die ebenso linke wie jüdische AStA-Vorsitzende Hannah Krakauer bei einem Überfall tödlich verletzt. Anlaß für den Zwischenfall lieferte eine AStA-Aktion gegen einen "faschistischen" Professor. Dessen politische Inkorrektheit zeigte sich schon daran, daß ein Redakteur des rechten Blattes "Neue Freiheit" mit ihm ein Interview über Bevölkerungspolitik führen wollte, wie seine verrückte Sekretärin zu berichten weiß. Doch dem ermittelnden Inspektor Heil ist dies ein suspekter Hinweis. Denn die Sekretärin hält sich für eine wiedergeborene Sinti und Roma; dem Inspektor kamen bislang in seiner Arbeit jedoch nur lebende Sinti und Roma unter. Er vermutet eher einen Zusammenhang mit dem allgemeinen politischen Mandat, das die AStA-Aktivisten zu Drogenkurieren der PKK gemacht hat. Doch hier (beim Mordmotiv, nicht bei den Drogen) irrt er gewaltig. In einer Serie irrer Abenteuer gelingt es dem frisch promovierten Daniel Dentzer, Licht in das Dunkel zu bringen, in dem der Leser bis zum letzten Augenblick tappt. Keiner scheint unverdächtig, auch nicht die attraktive Gefährtin Dentzers, die Journalistin Vanessa Steinbrück, oder Senator Weiss, den Dentzer als väterlichen Freund betrachtet.

Die AStA-Vorsitzende bleibt nicht das letzte Opfer. Ein Händler für akademische Titel findet sein Ende im Hamburger Hafenbecken, Uni-Präsident Schacht steigt mit Rotwein und Schlaftabletten in die Badewanne. Diesen Alt-68er beunruhigte schon seit einigen Jahren der schleichende Verlust kultureller Hegemonie: "Doch eines Morgens war Schacht aufgewacht und hatte das Klima verändert gefunden. (…) Und damit war der Schleier des egalitären Hochschuldiskurses zerrissen. Begriffe wie ‘Partizipation’, ‘Kommunikation’, ‘Emanzipation’, die einst vor Energie vibriert hatten, waren über Nacht impotent geworden. Statt dessen kehrten Begriffe wie ‘Leistung’, ‘Anstrengung’, ja sogar ‘Elite’ zurück, die sie schon vor langer Zeit ermordet zu haben glaubten, und zeigten eine beängstigende Lebendigkeit." Schacht glaubt zu erkennen, "wer die Herrschaft über die Kategoriensysteme ausübe, beherrsche auch das Denken der Menschen". Daraus die Konsequenzen zu ziehen, hat er aber nicht mehr die Kraft. Zu sehr hat sich Schacht durch sein Engagement in der 68er Bewegung in die Hand der Stasi gegeben.

Ihm hilft auch nicht mehr der SPD-Filz und sein Angebot, das allgemeine politische Mandat des AStA, das er doch eigentlich verteidigen will, an einen Parteigenossen zu verraten, der damit geschäftliche Interessen verbindet. Senator Weiss erweist sich als gnadenloser Strippenzieher. Er nutzt die dunklen Stellen in der Vergangenheit des Uni-Präsidenten aus, um die Universität nach seinem Geschmack umzugestalten. Als sein Referent Daniel Dentzer schließich an der ehemaligen Stasi-Hochschule Potsdam den Schlüssel zu den Intrigen in Hamburg findet, überschlagen sich die Ereignisse ein letztes Mal, und alles, wirklich alles entpuppt sich als großes Schauspiel.

In die überaus unterhaltsame, manchmal auch etwas zotige Geschichte baut Schwanitz zahlreiche politische Exkurse ein. Was sich da alles findet! Streckenweise hat man den Eindruck, eine Romanausgabe der jungen freiheit zu lesen. Senator Weiss hat natürlich seinen Carl Schmitt gelesen, bevor er sich daran machte, Ordnung ins Bildungswesen zu bringen. Der überaus fähige Inspektor Heil empört sich: "Wie ich die Presse hasse. Ich hasse sie wirklich. Immer bedient sie die blödesten Klischees. Man kann sich direkt darauf verlassen. Die faschistischen Bullen und ihre multikulturellen Opfer. Tag für Tag schaufeln wir die Scheiße beiseite, aber die Presse erzählt dem Volk, wir hätten sie selbst dahingeschissen."

Der Steuermißbrauch ("rot-grüne Selbstbedienung") wird an Beispielen wie der Pädophilen-Gruppe "Männerschwarm" (56.000 Mark) oder dem Blockadetraining für Jugendliche gegen Castor-Transporte (296.000 Mark) karikiert. Der gegen viele Resultate der 68er Reform gerichtete Eifer Schwanitz’ wurde bereits erwähnt und war auch schon in "Der Campus" zu beobachten. Als neue Front kommt diesmal die Stasi-Vergangenheit der West-Unis hinzu. An manchen Stellen weiß man wirklich nicht, ob Schwanitz hier einer Trugvorstellung hinterherläuft. Wenn seine – natürlich im Dienste der Romanhandlung überzeichnete – Darstellung aber annähernd wahr sein sollte, so müßte man sich ernsthaft Gedanken machen: Welchen Einfluß mögen die noch nicht aufgetauchten U-Boote der Stasi auf die historische Forschung nehmen?

Interessant ist die Taktik des linken Eichborn-Verlages und der Rezensenten-Schar, die Schwanitz’ politische Intentionen kaum beachten. Statt dessen wird fast nur auf die Stasi-Komponente und auf die Dreiecksbeziehung zwischen Daniel Dentzer, Hannah Krakauer und Vanessa Steinbrück eingegangen. In der Ausdeutung von Dentzers Beziehungsproblemen gibt sich Schwanitz seitenlangen intellektuellen Höhenflügen hin. Bemerkenswert sind dabei die von ihm skizzierten Parallelen zwischen der Intimität der Liebe und der Intimität des Überwachungsstaats DDR, festgemacht an Mielkes "Abschiedsgruß" vor der Volkskammer der Wendezeit: "Aber ich liebe Euch doch alle".

Das Buch wird durch den Namen des Autors und durch den Verlag garantiert eine große Leserschaft finden. Und es ist beeindruckend, wie in dieser Zeitung diskutierte Thesen inzwischen in ein solches mehrheitsfähiges Kulturprodukt einfließen.

Dietrich Schwanitz: Der Zirkel. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998, 448 Seiten, 44 Mark


 
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