© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Irak-Krise: Die USA als düpierte Großmacht
Hase und Igel
Michael Wiesberg

Der "gerechte Militärschlag" gegen den Irak ist sehr zum Unwillen der Amerikaner ausgeblieben. Die US-amerikanischen Kampfbomber waren bereits in der Luft, um den Irak wieder in Richtung "Demokratie" und "Menschenrechte" zu bomben. Doch Saddam Hussein machte den kriegsbereiten Amerikanern in letzter Minute einen Strich durch die Rechnung, indem er vordergründig auf die Forderungen der "Weltgemeinschaft" eingegangen ist. Die Waffeninspektoren der UNO sollen wieder ohne Einschränkungen im Irak nach "Massenvernichtungswaffen" fahnden dürfen. Der Irak äußerte lediglich den Wunsch nach Aufhebung der Sanktionen, unter denen das 22 Millionen-Volk am Euphrat und Tigris seit dem Ende der heißen Phase des Golfkrieges vegetieren muß.

Die USA und England haben aber bereits deutlich gemacht, daß sie gar nicht daran denken, die Sanktionen aufzuheben. Sie beharren darauf, daß sich der Irak den Forderungen der UNO "bedingungslos" zu unterwerfen habe. Nach Lage der Dinge wird also alles beim alten bleiben. Obwohl die UN-Waffeninspekteure seit Jahren einen konkreten Beweis schuldig geblieben sind, wird weiter die Behauptung in die Welt gesetzt, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besitze oder immer noch produziere. Die Frage, wo diese Waffen trotz der Totalüberwachung des Landes produziert werden, bleibt indes unbeantwortet. Einmal werden als Produktionsorte die Präsidentenpaläste genannt, dann wieder sollen sie sich irgendwo im arabischen Wüstensand befinden.

Bleibt die Frage, was Saddam bewogen hat, den Irak einmal mehr an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung zu treiben? Wahrscheinlich hat er mit einer stärkeren Solidarisierung gegen die USA gerechnet. Diese Solidarität kam nicht zustande - konnte nach Lage der Dinge auch nicht zustande kommen. Rußland befindet sich seit Monaten in einer politischen Agonie und vor allem in völliger Abhängigkeit von den durch die USA dominierten supranationalen Organisationen.

Das arabische Lager ist gespalten. Nur hier und da gab es zaghafte Versuche der Solidarisierung. Auch China hat derzeit kein Interesse an einer Verdüsterung der Beziehungen zu den USA. So bleibt Saddam nicht anderes als der vorläufige Rückzug und das Zuwarten auf eine Veränderung der internationalen Großwetterlage. Daß die USA heute die Rolle des weltweiten Hegemon unbestritten ausüben, ist eine Folge des "heißen" Golfkrieges von 1991. Zur Erinnerung: 1990/91 befanden sich die USA in einer schweren wirtschaftlichen Rezession, die die amerikanische Vormachtstellung ernsthaft zu gefährden drohte. Aus amerikanischer Sicht drohten insbesondere die ökonomischen Hauptrivalen der USA – Deutschland und Japan – Nutzen aus dieser Situation zu ziehen und zu den eigentlichen Gewinnern der weltweiten Umbruchsituation zu werden. So stellte die Londoner Zeitung Sunday Telegraph am 20. Januar 1991 fest, daß militärische Stärke die einzig erfolgversprechende Antwort der USA auf die Stärke Deutschlands und Japans sei, die die ökonomische Stärke beider Staaten nachrangig werden lasse.

Der Golfkrieg bot den USA die Gelegenheit, ihre brüchig gewordene Hegemoniestellung nachhaltig zu erneuern. In diesem Sinne war der Golfkrieg ein "Stellvertreterkrieg", mit dem die USA ihre Vorstellungen einer "Neuen Weltordnung" durchsetzten. Es überrascht deshalb nicht sonderlich, daß die Auseinandersetzung am Golf seitens der USA systematisch vorbereitet wurde.

Dafür nur ein Beispiel: Bereits im Mai 1990 legte der National Security Council (NSC) dem damaligen US-Präsidenten Bush ein Weißbuch vor, in dem der Irak und Saddam Hussein nach dem Wegfall des Warschauer Paktes als idealer Ersatz beschrieben wird. Der Irak biete die Möglichkeit, so der NSC, die Rüstung auf dem Niveau des Kalten Krieges zu halten. Mit anderen Worten: Der bewußt geschürte Konflikt mit dem Irak wurde als Argument gegen eine weitere Zurückführung der Rüstungsindustrie in den USA gebraucht.

So konnten die Erschütterungen der wirtschaftlichen Rezession in den USA abgedämpft werden. Gleichzeitig wurde den ökonomischen Konkurrenten Japan und Deutschland durch den Einsatz modernster militärischer Technologie im Golfkrieg demonstriert, daß die USA einen Verlust ihrer Hegemoniestellung nicht hinzunehmen gedenken. Diese Demonstration militärischer Stärke verfehlte ihren Eindruck nicht. Sowohl Deutschland als auch Japan beeilten sich, den "gerechten Krieg" der Amerikaner zu finanzieren.

Zu den beschämendsten Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak gehört – damals wie heute – die Tatsache, daß sich die UNO zusehends als unfähig erweist, der amerikanischen Interessenpolitik einen Riegel vorzuschieben. So wird die "internationale Völkergemeinschaft" wohl noch länger als Argument für die brutale Unterdrückung der Lebensrechte eines 22 Millionen-Volkes herhalten müssen.


 
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