© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Türkei: Mißtrauensanträge gegen Ministerpräsident Yilmaz
Im Schatten der Golfkrise
Karl Galster

Das Hauptaugenmerk der öffentlichen Meinung konzentrierte sich in den letzten Tagen auf die eigentlich gar nicht so spannende Frage: "Bombardiert Clinton den Irak – ja oder nein". Die viel interessantere Frage stand nur am Rande der Berichterstattung: "Stürzt der türkische Ministerpräsident Yilmaz?"

Ein Sturz der Regierung Yilmaz hätte in der Region weitreichende Folgen, steht diese doch für das umstrittene Militärbündnis mit Israel und eine besonders rabiate Politik gegenüber den Nachbarn und den westeuropäischen Staaten ein. Ohne Yilmaz müßten sich die USA vermutlich einen anderen Hilfssheriff für die Region suchen.

Seit dem Sommer 1997 ist Mesut Yilmaz türkischer Regierungschef. Dubios waren schon die Begleitumstände seiner Machtübernahme, mußten doch eigens Parlamentarier der ehemaligen Regierungsparteien zur Yilmaz-Partei übertreten. Die parlamentarische Mehrheit wurde auf diesem Weg gesichert. Seit seiner Annäherung an Israel fühlt sich Yilmaz auch außenpolitisch stark. Die hohe Kunst der französischen Diplomatie ist nicht seine Umgangsform, er verlegt sich lieber auf direkte Einmischung, Drohung oder Erpressung. Auf diese Art wird Syrien mit Krieg bedroht oder von der Europäischen Gemeinschaft kategorisch der Beitritt der Türkei ertrotzt. Innenpolitisch geht Yilmaz "hart zur Sache" und kann sich durchaus mit dem Serben Milosovic vergleichen lassen, wenn er "ethnische Säuberungen" in Kurdistan betreiben läßt.

Kein Wunder also, wenn Yilmaz nicht nur von Damaskus bis Athen, sondern auch in Paris, Rom und Teheran lieber von hinten als von vorn gesehen wird. Sympathie erhält er dagegen fast immer von Washington und Tel Aviv.

In den vergangenen Tagen allerdings scheint es so, als müßten sich die USA in der Türkei nach einem neuen Sachwalter ihrer Interessen umsehen. Yilmaz wird vermutlich das noch im November bevorstehende Mißtrauensvotum der Oppositionsparteien nicht überstehen. Vorgeworfen wird ihm eine Verstrickung in die Umtriebe der türkischen Mafia. Umfangreiche Telefongespräche zwischen Yilmaz und dem Bauunternehmer Korkmaz Yigit sind mitgeschnitten und öffentlich gemacht worden. Yigit, der zwei Fernsehkanäle und drei Zeitungen beherrscht, ist beim versuchten Erwerb der größten türkischen Bank gescheitert. Wie bekannt wurde, sollen mitbietende Bewerber durch den in Frankreich inhaftierten Mafiaboß Alattin Cakici mit dem Tode bedroht worden sein. Der in die Enge getriebene Bauunternehmer Yigit gab an, von "höchsten staatlichen Stellen" Unterstützung erfahren zu haben. Yilmaz selbst sei der Patron beim versuchten Bankkauf gewesen.

Die Vorwürfe scheinen nicht aus der Luft gegriffen zu sein, denn sämliche Koalitionspartner – bis auf den Vorsitzenden einer kleinen Linkspartei – haben Yilmaz verlassen. Selbst die Drohung eines Militärputsches scheint nicht mehr zu schrecken, denn zu groß waren die politischen Zumutungen der Vergangenheit.

Eine Schlüsselrolle bei der bevorstehenden Vertrauensabstimmung wird die Sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP) spielen, deren Vorsitzender Bayal selbst im Parlament einen Abwahlantrag einbringt. Dies wäre dann der dritte Antrag. Mißtrauensanträge hatten bereits die Islamische Tugendpartei gestellt, die mit 155 Sitzen im Parlament die größte und stärkste politische Kraft des Landes ist, sowie die Konservative Partei der früheren Ministerpräsidentin Ciller. Sollte Yilmaz abgewählt werden, so wird Staatspräsident Demirel vermutlich bis zu Neuwahlen im April 1999 eine Präsidialregierung bilden lassen, die nicht vom Vertrauen des Parlamentes abhängig ist. Die türkische Verfassung läßt das für einen kurzen Zeitrahmen zu.

Für den Ausgang der Neuwahlen rechnen die meisten westlichen Beobachter damit, daß die instabilen Mehrheitsverhältnisse im Parlament fortgeschrieben werden. Die gleichen Beobachter hatten aber auch nicht mit dem guten Abschneiden der Islamischen Gerechtigkeitspartei gerechnet, die inzwischen vom Verfassungsgericht verboten wurde, obgleich sie die Bürgermeister der beiden größten Städte des Landes, Istanbul und Ankara, stellte.

Daß beide Bürgermeister wegen des Parteienverbotes verhaftet worden sind, hat ihrer Beliebtheit jedoch keinen Abbruch getan. Die islamische Kommunalverwaltung ist populär, weil sie effektiv und weitkgehend unbestechlich arbeitet. Die meisten anderen Parteien in der Türkei stehen nicht gerade in diesem Ruf.


 
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