© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Walser-Kontroverse II: Klaus von Dohnanyi, Michael Wolffsohn und Ignatz Bubis
Schwierigkeit des Verstehens
H.-P. Rissmann

Michael Wolffsohn, Mitglied der jüdischen Gemeinde und Historiker an der Bundeswehr-Universität München, fordert den Rücktritt des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. In einem Beitrag für die Rhein-Zeitung vom Montag schreibt Wolffsohn, Bubis sei überlastet, leide an Realitätsverlust und sei nicht mehr politikfähig: "Das beweist auch die Wahl seines neuen Lieblingsfeindes Martin Walser. Der Schriftsteller mag ein überschätzter und kein bedeutender Dichter sein, doch ein ’geistiger Brandstifter’ ist er wahrlich nicht, trotz der wiederholten Attacken von Ignatz Bubis." Im aktuellen Focus erklärte Wolffsohn: "Wir deutschen Juden (oder ’Juden in Deutschland’) brauchen eine Führung, die Gegenwart und Vergangenheit klar voneinander unterscheidet. Ein Wechsel der Perspektive muß durch einen Wechsel der Generationen vollzogen werden."

In einem Beitrag für die FAZ vom letzten Samstag trat der SPD-Politiker und ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, an die Seite von Martin Walser. Dohnanyi, Sohn des 1945 hingerichteten Reichsgerichtsrates Hans von Dohnanyi und Neffe von Dietrich Bonhoeffer, meint, Bubis habe Walser nicht verstanden. Dohnanyi warnt davor, in moralische Überheblichkeit zu verfallen: "Die Abkunft von ermordeten Widerstandskämpfern gibt nämlich ebenso wie die Abkunft von jüdischen Opfern eine Chance für einen persönlich völlig unverdienten Freispruch von der schändlichen, gemeinsamen Geschichte der Deutschen im Dritten Reich." Dohnanyi fordert, daß nichtjüdische und jüdische Deutsche gemeinsam die Last der deutschen Vergangenheit gemeinsam tragen. Und: "Erinnern darf nicht zur bequemen Routine werden. Gegen diese Gefahr hat Walser gesprochen. Bubis müßte hier ganz auf seiner Seite stehen. ... Walser ist kein ’geistiger Brandstifter’, sondern ein vom Gewissen gedrängter Deutscher." Seine Rede sei "die verständliche, ja notwendige Klage eines gewissenhaften nichtjüdischen Deutschen über das schwierige Schicksal, heute Deutscher zu sein".

In der FAZ vom Montag erwiderte Bubis, Dohnanyi habe in Walser Gedanken hineininterpretiert, die dieser so nicht geäußert habe. Nicht ohne Grund habe die Nationalzeitung Walser zustimmend zitiert. "Ich bleibe dabei, daß Walser das Wort dem Verdrängen, dem Vergessen und dem Wegschauen gepredigt hat." Dohnanyis Frage, wie "tapfer" sich Juden wohl verhalten hätten, wären nach 1933 "’nur’ die Behinderten, die Homosexuellen oder die Roma in die Vernichtungslager geschleppt worden", bezeichnete Bubis als "bösartig". In einer am Dienstag veröffentlichten Erwiderung in der FAZ schreibt Dohnanyi: "Nun haben Sie nach Walser auch mich mißverstanden; nach Walser (’Geistiger Brandstifter’) auch mich (’bösartig’) gekränkt. Ich finde, als Vorsitzender des Zentralrates der Deutschen Juden könnten Sie mit Ihren nicht-jüdischen Landsleuten etwas behutsamer umgehen; wir sind nämlich alle verletzbar."


 
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