© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
CD: Folk
Herbst-Melancholie
Ulli Baumgarten

Im Spätherbst werden die Tage wieder kürzer, und mit dem fehlenden Sonnenschein steigt bei vielen Menschen die Melancholie. Was liegt näher, als die elegische Grundstimmung noch durch Musik zu verstärken; aus dem Hause Prophecy kommen zwei CDs, die hierfür bestens geeignet sind.

Aus dem Land der tausend Seen, aus Finnland, kommen Tenhi mit ihrer neuen CD "Hallavedet". Vielleicht als Reaktion auf die zunehmende Technisierung und Entmenschlichung unseres Lebens, streben immer mehr junge Musiker zurück zu den Ursprüngen, den Wurzeln, wie man so schön bildhaft und treffend sagt. So kommt es, daß man sich lieber mit eigener Kultur beschäftigt als mit der immer gleichen – und gleich langweiligen – US-Einheitskultur. Mit dieser Rückbesinnung auf sich selbst geht auch ein neues Verhältnis zur Natur, zum Ewigen, einher. Wie könnte man dies treffender sagen als mit den Worten von Josua Leander Gampp: "Wohl ist in der Natur Wechsel, aber hinter dem Wechsel ruht ein Ewiges." Die Darstellung dieses Ewigen haben sich Tenhi zur Aufgabe gemacht. Ihre Musik kann man am ehesten dem Bereich Volksmusik (nicht volkstümlich!) zuordnen; im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch bezeichnet man diese Art von Musik als Folk. Für einen Hörer, der nicht der finnischen Sprache mächtig ist (wer ist das schon?), geht natürlich ein Teil der Wirkung verloren, da bei der Volksmusik Text und Musik einander ergänzen, doch auch ohne Textverständnis ist das, was zurückbleibt, die Musik, beeindruckend genug.

Diese ist im ersten Moment sicherlich nicht als eingängig zu bezeichnen, dafür ist sie viel zu komplex und vielschichtig, sondern erfordert intensives Zuhören, aber wer diese "Mühe" auf sich nimmt, wird dem Reiz, ja, dem Zauber, von Tenhi sicherlich schnell erlegen sein. Die Finnen schaffen es, Ruhe und Harmonie der Natur kongenial in Musik umzusetzen. Eine Musik, die jeden Herbstabend verschönern kann.

Ebenfalls aus Skandinavien, aus Norwegen, kommen Drawn, die eine Mischung aus Folk und Metal versuchen und ihr Debutalbum "Plan be" präsentieren. Auch bei Drawn ist die Grundstimmung, die durch die Musik transportiert wird, düster; während diese Melancholie bei Tenhi aber eher subtil daherkommt, setzen die Norweger mehr auf äußerliche Elemente zur Erzeugung einer morbiden Atmosphäre, so erinnern der Aufbau der Lieder und der Gesang oft an Death Metal. Von vielen Bands dieses Genres unterscheidet man sich allerdings positiv durch die Vielschichtigkeit der Arrangements, die einen in ihren besten Momenten sogar an die ebenfalls aus Norwegen stammenden Theatre of Tragedy denken läßt. Besonders deutlich wird diese Nähe durch die Kombination von männlichem und weiblichem Gesang bei dem Lied "This is my day"; eine Nähe, die aber niemals zum Plagiat wird – dafür sind Drawn dann doch zu eigenständig. Zu dieser Eigenständigkeit gehört auch, daß sie den Mut haben, nicht einem Trend hinterherzulaufen, sondern versuchen, durch die Kombination verschiedener Stilelemente Neues zu erschaffen. Einziges (kleines) Manko dieser norwegischen Musiker: Manchmal sind ihre Ausflüge in den "normalen" Metal dann doch einfach etwas zu weichgespült, aber was bei mir Unbehagen hervorruft, mag anderen Hörern ja gerade gefallen. Beide CDs sind erhältlich bei Prophecy Productions, Kurfürstenstraße 5, 54492 Zeltingen-Rachtig.


 
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