© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Serge D. Mangin: Annäherungen an Ernst Jünger 1990 – 1998
Freundschaft zweier Männer
Thorsten Thaler

Daß einer umstritten ist, wird ihm meist als Negativum angehängt. Immerhin schließt es ein, daß er Freunde besitzt", heißt es in einer Tagebucheintragung Ernst Jüngers. Als der Bildhauer Serge Mangin vier Monate vor Jüngers Tod den 102jährigen ein letztes Mal in Wilflingen besucht, überkommt ihn ein Gefühl des Unbehagens: "Darf man einen Menschen, der mehr als ein Jahrhundert alt ist, überhaupt stören?" notiert er unter dem 20. Oktober 1997 in seinem Tagebuch. Weiter schreibt er: "Plötzlich schäme ich mich! Mein einziger Trost ist, hier ein auserwählter Gast zu sein: Die Jüngers empfangen niemanden mehr, ausgenommen ’einige alte Freunde wie Sie‘, so wurde mir am Telefon gesagt …"

Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Männern spiegelt sich auch in den Empfindungen wider, die Serge Mangin nach dieser letzten Begegnung mit dem Jahrhundertschriftsteller hat. "Nachts, auf der Heimreise, führt die Kolonne der Autoscheinwerfer wie eine Prozession durch den Wald. Aber meine Gedanken sind noch bei dieser Begegnung mit diesem im vergangenen Jahrhundert geborenen Mann. Der Sinn des Lebens erscheint mir plötzlich in seiner ganzen Unwichtigkeit. Wozu leben, wenn man doch – im besten Falle langsam und schmerzlos – sterben muß? Aber Jüngers Noch-Da-Sein ist eine triumphierende Antwort auf derartige Fragen. Auf seine Art genießt er immer noch das Leben, vor dem wir solche Angst haben. Schließlich aber bin ich jenseits aller metaphysischen Reflexionen traurig, von einem Freund Abschied genommen zu haben."

Kennengelernt hatten sich Jünger und Mangin im Sommer 1990, als der Dichter dem Bildhauer für eine Bronzebüste Modell stand. Aus einer anfänglichen Reserviertheit entwickelte sich während der mehrtägigen Arbeitssitzungen im Garten von Jüngers Neffen schnell eine Freundschaft zwischen Jünger und Mangin, die sich anläßlich ihres Wiedersehens im September 1990 auf Kreta und späterer Besuche Mangins bei Ernst Jünger und seiner Frau in Wilflingen vertiefte.

Die Zusammenarbeit mit Jünger, ihre Begegnungen und Gespräche hat Mangin jetzt in seinem Buch "Annäherungen an Ernst Jünger. 1990–1998" festgehalten. Atmosphärisch dicht schildert der 1947 in Paris geborene und 1970 nach Deutschland ausgewanderte Bildhauer, was ihn mit dem Dichter verbunden hat und wie er "den Blick des Anarchen in Bronze bannte" (Vorabdruck in JF 40/98). Für den abwechselnd in Bayern und auf Kreta lebenden Mangin war Ernst Jünger "einer der großen Zeugen der europäischen Tragödie in diesem Jahrhundert", dem er durch sein Porträt ein Denkmal setzen wollte. Jünger selbst würdigte das Schaffen Mangins in seinen Tagebuchnotizen. "Bei der Arbeit sehe ich ihn behend vor- und zurückspringen und den Kopf nach links und nach rechts wenden. So visiert auch der Gecko seine Beute, bevor er die Zunge vorschnellt. Dem Künstler könnte es nützen, wenn er mit einem Auge schwächer sieht als mit dem anderen. Auf jeden Fall wird der stereoskopische Blick verstärkt, der dem Bildhauer unentbehrlich ist", heißt es in einer Tagebucheintragung vom 7. Juli 1990. Als Serge Mangin ihm die fertige Bronzebüste nach Wilflingen brachte, zeigte sich Jünger äußerst angetan. "Ein großer Tag: Er hatte mein gültiges Altersbild geschaffen", notierte er in seinem Tagebuch.

Für den Bildhauer wurde die Zusammenarbeit mit Ernst Jünger zu einem einschneidenden Erlebnis. "Immer öfter merkte ich, daß meine bisherigen Arbeiten sich mit den Themen seines Werkes trafen, daß wir nicht nur gar nicht soweit voneinander entfernt waren, wie ich anfänglich dachte, sondern ganz nah beieinander standen." Je länger sich Mangin mit Jünger und dessen Werk beschäftigte, desto mehr spürte er, wie die Gedanken des Dichters seine eigene Inspiration beeinflußten. Mit der Zeit entstand "eine Art von Symbiose" (Mangin) zwischen der Lektüre der Bücher Jüngers und seinen eigenen künstlerischen Arbeiten aus der Vergangenheit und Gegenwart. Deutlich wird diese symbiotische Beziehung im zweiten Teil von Mangins Buch, wenn er zum Beispiel aus Jüngers Essay "Der Baum" zitiert und mit Blick auf eine Bleistiftzeichnung eines Baumes von ihm selbst aus dem Jahr 1990 schreibt: "An dieser Stelle muß ich gestehen, daß ich beim Zeichnen des Baumes die ganze ’Tragweite‘ seines Wesens nicht vor Augen hatte. Es ist nicht das erste Mal gewesen, daß ich erst nach der Lektüre eines Jünger-Textes meine eigene Arbeit verstanden habe."

In einer anderen "Annäherung" schreibt Mangin zu einer Tagebucheintragung Jüngers und einer 1983 entstandenen Bronzeplastik von ihm: "In einer ähnlichen apokalyptischen Stimmung hatte ich vor einigen Jahren meine Plastik ’Little Apocalypse‘ modelliert. Erst Jahre später, nach meinem Gespräch mit Jünger, ist mir die volle Bedeutung dieser meiner Plastik klar geworden." Und zu einem Aquarell aus dem Jahr 1990, das er während des Besuches von Jünger auf Kreta gemalt hat, heißt es bei Mangin, wieder einmal habe er seine eigene Malerei erst verstanden, als er viel später in dem Buch "Das Abenteuerliche Herz" Jüngers Gedanken über die Farbe Blau gelesen habe. Schließlich inspirierte Jüngers Figur des Hirten aus dem 1955 erschienen "Sarazenentum" den Bildhauer zur Modellierung einer Reihe von Hirten und Bergmenschen.

Mit seinen "Annäherungen an Ernst Jünger" will Serge Mangin vor allem jüngeren Lesern helfen, einen Autor zu entdecken, "dessen schönste Zeilen und universale Sensibilität uns alle angehen, ganz besonders in der heutigen Zeit". Das Buch besticht neben seiner Collage aus Jünger-Texten, Tagebucheintragungen und Mangins Reflexionen vor allem durch seine liebevolle Gestaltung und die Fülle der Abbildungen.

Bedauerlich hingegen ist, daß dem Lektor nicht die Sorgfalt bescheinigt werden kann, die das Buch verdient gehabt hätte. So fällt im ersten Abschnitt eine durchgehend verstümmelte Kapitelüberschrift ins Auge, und an einer anderen Stelle wird der Tod Jüngers ins Jahr 1997 vorverlegt – Fehler, die zwar ärgerlich sind, den Gesamteindruck aber kaum trüben können.

Serge D. Mangin: Annäherungen an Ernst Jünger 1990–1998. Langen Müller, München 1998, 120 Seiten, 121 Abbildungen, geb., 48 Mark


 
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