© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Kolumne:
Empfänge
von Heinrich Lummer

Die Spitzen der Republik, der Prinz von Hannover, die Prinzessin von Monaco und auch sonst viele aus der High-Society-Gesellschaft waren gekommen. Schließlich gab es eine Gala. Und natürlich waren auch diejenigen gekommen, die – gegen ein entsprechendes Salär – der High Society nahe sein wollten. Und manche sollen sogar wegen der Musik gekommen sein.

Sie alle sind nun vermutlich in dem Glauben, sie hätten Gutes getan. Das tut auch dem Gewissen gut. Schließlich war es nicht nur eine einfache Gala, sondern eine Aids-Gala. Da fragt sich der Zeitgenosse, warum gibt es eigentlich keine Gala für den Aussatz, die Motten oder den Krebs? Oder die anderen Krankheiten, für die jeweils die Gattinnen der Republikspitzen sich einsetzen. Also muß es mit der Krankheit Aids eine besondere Bewandtnis haben. Die Lufthansa läßt zuweilen ihre Mitarbeiter rote Schleifen am Revers tragen, manche Abgeordnete tragen während ihrer Rede solche Schleifchen im Parlament, und auch sonst genießen Aids-Kranke die besondere Sympathie der Gesellschaft.

Das ist gut so, doch ich frage mich nach wie vor, warum eigentlich? Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Liegt es daran, daß man bisher kein rechtes Mittel gegen Aids gefunden hat? Das ist beim Krebs allerdings nicht anders. Oder liegt es wohl daran, daß bestimmte gesellschaftlichen Gruppen für diese Krankheit besonders anfällig sind? Das wäre für den Rest der Kranken aber eine rechte Diskrimnierung. Alle sind gleich, doch manche sínd offenbar gleicher.

An sich ist Aids ja wohl eine Seuche. Trotzdem wird diese Krankheit partout nicht in das Seuchengesetz aufgenommen. Der arme Tbc-Kranke , der nicht verantwortungsbewußt mit seiner Krankheit umgeht, kann nach geltender Rechtslage eingesperrt werden; schließlich könnte er andere infizieren. Das ist gemeingefährlich. Der Aids-Kranke kann gänzlich frei von dieser Rechtsvorschrift als Prostituierte, als Freier oder als Homosexueller seine Partner infizieren. Er kann die Krankheit sogar als Waffe benutzen, wie es in einigen Fällen bereits geschehen ist. Die Bestimmungen des Seuchengesetzes werden ignoriert; der Staat beschränkt sich auf das Prinzip Hoffnung und auf Appelle an das Verantwortungsbewußtsein der Aids-Kranken. Manche sind eben gleicher.

Warum also werden Aids-Kranke bevorzugt – gesetzlich und per Gala? Ich verstehe das nicht und finde es ärgerlich. Aussatz fängt auch mit "A" an. Also warten wir auf eine Aussatz-Gala.


 
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