© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Steuerverschwendung: EU-Rechnungshof legt seinen Jahresbericht vor
Schlamper und Betrüger
Bernd-Thomas Ramb

Alle Jahre wieder kommt der Jahresbericht der EU-Rechnungsprüfer auf die Maastricht-europäischen Bürger nieder. Das Füllhorn verschwenderischer Gaben "nicht nur zur Weihnachtszeit" ist seine Botschaft, die keinesfalls froh stimmt. Die wohlwollenden Empfänger der Botschaft sehen im Prüfbericht eher "Unregelmäßigkeiten" statt Betrug und "unkorrekte Buchführung" statt Wirtschaftskriminalität. Geldverschwendung und -veruntreuung, Vetternwirtschaft und Schiebereien bleiben es dennoch, auch wenn der Präsident des EU-Rechnungshofes, der Deutsche Bernhard Friedman, es aufgegeben hat, die festgestellten Verfehlungen wegen ihrer unterschiedlichen Charakteristik weiterhin in einer Gesamtsumme zu quantifizieren.

Aufschlußreiche Details werden gleichwohl genannt. Auf der Einnahmenseite sind vor allem die Einbußen durch die unkorrekte Erhebung und Eintreibung von Zöllen, sowie die schludrige Erfassung der nationalen Mehrwertsteuereinnahmen zu monieren. Durch letztere fehlen der EU zirka 140 Milliarden Mark jährlich an der Berechnungsgrundlage für die nationalen Mehrwertsteueranteile, die an Brüssel abzuführen sind. Einerseits eine bloße Unkorrektheit, denn die nationalen Beiträge, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt an die EU zu zahlen sind, müssen dann anderweitig aufgestockt werden. Andererseits beweist dieses Problem aber auch zum wiederholten Male, wie unterschiedlich die europäischen Staaten, die demnächst in eine gemeinsame Währung gefaßt werden, immer noch sind.

Happiger wird es auf der Ausgabenseite. Die Subventionierung von Hartweizen und Kläranlagen kann schon an sich einer Kritik an ihrer Sinnhaftigkeit kaum begegnen. Insbesondere ist schwer einsehbar, warum Kläranlagen in südländischen Touristenzentren nicht durch die Tourismuseinnahmen, sondern durch die EU-Bürokratie finanziert werden, die Sanierung der maroden Kanalisation in der Ex-DDR aber von den Anliegern aus der Privatkasse bezahlt werden soll. Da Subventionen stets eine politische Entscheidung sind, bleibt dem Rechnungshof in diesem Punkt nur die Möglichkeit, sein Befremden auszudrücken.

Anderes Kaliber ist allerdings aufzufahren, wenn festgestellt wird, daß von den 40.000 geförderten Kläranlagen ein Drittel nicht funktionsfähig ist, weil sie falsch geplant oder schlecht gebaut oder aber die erforderlichen Eigenleistungen nicht erbracht wurden, so daß Bauruinen der EU-Förderung Denkmäler setzen. Bei der Hartweizensubventionierung haben insbesondere die italienischen Bauern wahre Zuschußopern komponiert. Die zur Subventionierung angemeldete Anbaufläche übersteigt die tatsächliche Fläche der Hartweizenfelder um 20 Prozent, wie Satellitenaufnahmen jetzt aufdeckten. So wurden Waldgebiete und Bauland kurzerhand zu Weizenanbaugebieten erklärt und 250 Euro pro Hektar abkassiert.

Noch lukrativer wird der Subventionsfluß, wenn Hartweizen angeblich auf Feldern angebaut wurde, auf denen sonst überhaupt nichts wachsen könnte. Dann zahlt Brüssel 350 Euro pro Hektar. Summa summarum wurden in diesem Bereich im Jahre 1997 satte 360 Millionen Mark erschwindelt. Einschließlich der regulären Zahlungen erhielt Italien im vergangenen Jahr insgesamt etwa sieben Milliarden Mark Agrarsubventionen, stolze 10.000 Mark für jeden italienischen Landarbeiter.

Aber nicht nur in der Landwirtschaft wird gemogelt. Harsche Kritik mußte sich das Brüsseler "Amt für Humanitäre Hilfe" gefallen lassen, weil es mehr als eine Milliarde Mark ohne Nachhall verschwinden ließ. Das für die Opfer des Völkermords in Ruanda und für die Vertriebenen im ehemaligen Jugoslawien vorgesehene Geld hat seine Adressaten nicht erreicht, weil es in dunklen Kanälen versickerte. Dafür wurden ungeniert Freunde und Bekannte von EU-Bürokraten, insbesondere der französischen EU-Kommissarin Edith Cresson, mit großzügigen EU-Aufträgen versorgt. Der EU-Rechnungshof sieht darin allerdings in vornehmer Zurückhaltung nicht mehr als einen "Interessenkonflikt".

Als "besonders besorgniserregend" werten dagegen die Rechnungsprüfer die Verwendung von 1,7 Milliarden Mark EU-Sondermitteln für die Verbesserung der Sicherheit osteuropäischer Kernkraftwerke. Daß davon gerade einmal 600 Millionen Mark ausgegeben wurden, ist keinesfalls als sparsames Haushalten zu werten. Zumal diese Gelder vornehmlich an westliche Beraterfirmen für Gutachten bezahlt wurden, die sie von osteuropäischen Experten anfertigen ließen. Deren Arbeit stellten sie dann zu den fünfzehnfach höheren westeuropäischen Honorarsätzen in Rechnung. Bis heute ist – nicht nur nach Ansicht des Rechnungshofes – nicht erkennbar, daß dadurch Fortschritte bei der nuklearen Sicherheit erzielt wurden.

Wenngleich auch die diesjährige Botschaft nicht mehr als eine Pflichtübung zu sein scheint, die kurz zur Kenntnis genommen und dann zu den Akten gelegt wird, hat der ehemalige Präsident des Europaparlaments Hänsch (SPD) diesmal eine härtere Konsequenz aus dem Rechenschaftsbericht gefordert. Sein Appell an die EU-Kommission, zurückzutreten, "wenn sie ein Fünkchen politische Ehre im Leib hat", dürfte allerdings kaum Beachtung finden. Der dazu dienliche Antrag, der EU-Kommission wegen ihrer eklatanten Verwaltungsfehler die Entlastung für das Haushaltsjahr 1997 zu verweigern, wurde bereits durch mehrheitlichen Gegenbeschluß des EU-Parlaments abgelehnt. 288 Abgeordnete stimmten gegen den vornehmlich von den Deutschen vorgetragenen Antrag, der nur die Zustimmung von 195 Parlamentariern fand. Die Amtszeit des derzeitigen EU-Präsidenten Jacques Santer währt nur noch ein halbes Jahr, und die Hoffnung auf einen effizienter arbeitenden Nachfolger mag sicher zu der geringen Bereitschaft beigetragen haben, der Kritik des Rechnungshofes politische Konsequenzen folgen zu lassen.

Folgt man der kürzlich vorgelegten wissenschaftlichen Analyse des Bonner Instituts "Finanzen und Steuern", stellen die letztjährigen Haushaltsverfehlungen der EU ohnedies nur eine vergleichsweise minimale Vergeudung von Steuergeldern dar. Das Institut stellte fest, daß die EU seit 1988 etwa 500 Milliarden Mark in strukturschwache Regionen geleitet hat, ohne deutlich erkennbare Fortschritte zu erzielen. Im Gegenteil, durch die EU-Gelder wurden nationale Reformen auf den Arbeitsmärkten verzögert und die strukturelle Arbeitslosigkeit nicht nur nicht verbessert, sondern teilweise sogar verschlechtert.


 
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