© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Oper: Ferruccio Busonis "Doktor Faust" an der Nürnberger Oper
Der abgehängte Puppen-Doktor
Konrad Pfinke

Der Doktor Faust hängt an der Strippe. Der Dichter hat ihn an den Bühnenrand gehängt, aber irgendwann wird das Spiel vom Doktor ihm zuviel: da hängt er ihn wieder ab und schafft ihn in die Kulissen. Das Puppenspiel vom Doktor Faust basiert auf der Historie des "weitbeschreyten" Zauberkünstlers, und Ferruccio Busoni hat kurz nach der Jahrhundertwende auf die Erstfassungen dieses Stoffes zurückgegriffen. Die Oper wird selten aufgeführt. Im Nürnberger Stadttheater hat man sich ihrer angenommen: ein musikalisches Ereignis, weniger ein szenisches.

Der Regisseur Jürgen Tamchina und sein Bühnenbilder Hans-Dieter Schaal haben zusammen mit Beate Tamchina (Kostüme und Puppen) dem Stoff eine überzeitliche Qualität gegeben. Assoziationen dürfen zwanglos bemüht werden: zwischen den expressionistischen Gruselgestalten vom Schlage eines Doktor Caligari und dem monströsen Frankenstein, zwischen Anleihen der frühen Neuzeit und der späten Gegenwart, zwischen diesen Ausgeburten einer hoch- und spätromantischen wie frühmodernen Phantasie bewegt sich der Doktor in Professorenkittel und Magierkostüm. Die Puppen spielen da nur eine Nebenrolle. Zwar werden sie vom Dichter prologisch in das Spiel eingeführt. Die Imagination der zauberhaften Liebespaare am Hof zu Parma, ein Kunststück des weitgereisten Doktors, geschieht nun auch in Puppen- (und in Video-)Gestalt, aber das war es dann auch schon fast. Es bleibt das merkwürdige Kind der Helena und des schuldbeladenen Doktors, das ein toter Balg ist, nichts weiter. Den Zauber muß man sich denken – das muß allerdings kein Manko sein, denn Busoni verlangte vom mündigen Zuschauer, daß er "die halbe Arbeit" verrichten müsse.

Die Kunstwelt des Doktor Faustus aber gewinnt dann eine besondere Intensität, wenn sich der Regisseur auf die einfachen Bilder verläßt. Die Kirche ist ein Raum mit Kreuz und Chorgesang, die Studentenschenke wird durch eben jenes Kreuz getrennt, an dem die Disputation zur weltanschaulichen Brüll-Schlacht wird. Der Hof von Parma erglänzt in musikalisch gespiegeltem Gold und Silber, die festlichen Späße werden schattenspielartig projiziert. Unheimlich jedoch wird es an so gut wie keiner Stelle, aber auch das ist kein Verlust, denn Busonis prachtvolle, gerade im dunklen Bereich blendend instrumentierte Partitur beschwört das Grauen zur Genüge. Mephisto bleibt ein zynischer Humorist, und das Ende spricht nur vom Prinzip Hoffnung, als der Geist des an der Welt gescheiterten Doktors in seinem Kind wiedergeboren wird: Da läuft es dann computeranimiert in eine ferne, offene Zukunft.

Die Nürnberger Oper leistet an diesem Abend musikalische Herkulesarbeit. Mit allen Kraftreserven gestaltet Jürgen Linn die anspruchsvolle Titelpartie. Ihm zur Seite steht Gerhard Siegel, ein Mephisto mit messerscharfer Diktion und enormer Ausdruckskraft. Schlichtweg betörend: Elena Pankratova als Herzogin von Parma, der Busoni die verführerischste, im chromatischen Dämmer ausziselierte Musik schenkte. Das Orchester unter Wolfgang Geiler musizierte auf höchsten Niveau, die Töne der neuen Sachlichkeit wie die der süffigsten Spätromantik diszipliniert auskostend. Daß der Dichter seinen Puppen-Doktor in die Kulissen schaffte, lag also gewiß nicht am musikalischen Glanz dieses Opernabends.


 
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