© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Unternehmergeist
Von Knut Rudloff

Die Überschrift des Aufsatzes von Matthias Bath "Von der Negation zum neuen Denken" erscheint vielversprechend; zu untersuchen ist die Qualität seiner Negation und der Gehalt des von ihm postulierten "neuen Denkens".

Matthias Bath verwendet allzu häufig das Modewort "Ökonomismus" und sieht bei Vorherrschen des selbigen "Millionen von Modernisierungsverlierern, die nicht einmal mehr ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen können". Ersetzt man nun dieses Modewort durch den aus der Mode geratenen Begriff "Kapitalismus", ist der Inhalt seiner Systemnegation deckungsgleich mit den Sprüchen, die auf uns jahrzehntelang stereotyp aus dem linken Lager darniederrieselten. Weder Karl Marx, der die Verarmung der Massen und den baldigen Untergang des Kapitalismus bereits im letzten Jahrhundert voraussagte, noch den Heerscharen seiner selbsternannten Nachfolger dies- oder jenseits des eisernen Vorhanges hat die Geschichte recht gegeben.

Die Verelendung der breiten Massen hat jedoch stattgefunden jenseits des eisernen Vorhanges, unter Herrschaft eines, die Worte von Matthias Bath ergänzend, staatlich gelenkten Ökonomismus. Diese materielle Verelendung der arbeitenden Bevölkerung hat in Verbindung mit fehlenden individuellen Freiheiten schließlich zu der ersten friedlichen Revolution auf deutschem Boden geführt.

Warum eine freie Marktwirtschaft zur Verelendung der Völker führt, wird von Matthias Bath nicht erläutert. Dafür sind nach seiner Ansicht die "Anfänge dieser Entwicklung bereits allenthalben unübersehbar", inhaltlich ist also keine Abgrenzung zu marxistischem Wunschdenken festzustellen. Doch ist dem so? Verarmt unser Volk in materieller Hinsicht?

Sicherlich kann ein kritikloses Dahinvegetieren in einer Konsumgesell-schaft mit ihrem materiellen Überangebot zu einer geistigen Verarmung der Menschen führen. Auch ist unbestritten, daß ein materielles Überangebot in Verbindung mit einem durch manipulierende Werbung erzeugtem Konsumzwang nicht gerade einen Nährboden für gesellschaftliche Leitbilder darstellt.

Doch gerade wegen des Überangebotes an Gütern, die in einem Produktionsprozeß erzeugt werden, dessen quantitative und qualitative Outputmaximierung sich permanent exponentiell beschleunigt, gibt es in keinem Land, in dem der "Ökonomismus" herrscht, einen quantitativen oder qualitativen Mangel an Erzeugnissen. Zur Verdeutlichung mögen dem Leser einige Beispiele dienen. Was hat zum Beispiel ein heutiger Golf IV mit all den hunderten qualitativen Verbessungen noch mit seinem Vorgänger, einem Golf I gemeinsam? Ein Personal-Computer, von einer großen (übrigens nicht zu einem multinationalen Konzern gehörenden) Lebensmitteleinzelhandelskette kürzlich zu einem Preis von unter 2.000 DM angeboten, war vor zehn Jahren schier unvorstellbar. Eine mit seiner Leistung vergleichbare "Workstation" kostete damals etwa 250.000 DM; hier hat also eine ungeheuerliche Deflation des Preis-/Leistungsgefüges stattgefunden. Nie war das Angebot an vergleichbaren alternativen Produkten in praktisch allen Branchen so hoch wie heute. Grundsätzlich kann also für den "Ökonomismus" ein Überangebot an materiellen Gütern festgestellt werden, ein sogenannter Käufermarkt herrscht vor.

Bezogen auf die von Matthias Bath vermutete Verarmung der Massen bleibt also zu untersuchen, ob die Verteilung der in genügend großer Anzahl vorhandenen Güter oder ihres Pendants, des Geldes als Transaktionsmittel, als gerecht empfunden werden kann. In den Regionen Deutschlands, in denen innovative Firmen Erzeugnisse produzieren, die weltweite Geltung genießen (vornehmlich also in den südlichen Bundesländern), ist eine materielle Verarmung der beschäftigten Massen nicht festzustellen, erfolgreiche Firmen lassen ihre Mitarbeiter am Unternehmenserfolg partizipieren.

Matthias Bath kritisiert nun die Gewerkschaften, wenn sie zu Protesten gegen Ausländerfeindlichkeit aufrufen, da sie damit seiner Ansicht nach die "einheimische Arbeiterschaft verraten". Denn Ausländer unterminieren seiner Meinung nach unser Tarifniveau. Hier wurde von ihm bewußt die Entscheidung getroffen, daß das Gut eines künstlich gehaltenen Tarifniveaus höher zählt als die Freundlichkeit gegenüber ausländischen Gästen. Doch ist unabhängig von dieser Frage seine Anschauung, die übrigens makroökonomische Zusammenhänge völlig außer acht läßt, nicht zu kurzsichtig? Haben nicht die letzten Jahrhunderte einer permanenten industriellen Revolution gezeigt, daß jeder Strukturwandel nach einer gewissen Zeit der Konsolidierung grundsätzlich immer zu einer allgemeinen Wohlstandssteigerung geführt hat ? Sicherlich ist ein Strukturwandel für den unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer – aber auch für den Unternehmer – eine vorübergehende schmerzliche Erfahrung. Aber um welchen Faktor ist die Anzahl der von diesem Veränderungsprozeß profitierenden Menschen höher? Wieder ein Beispiel: sicherlich trägt auch Herr Bath gelegentlich ein Baumwollhemd aus dem Supermarkt, das er vielleicht günstig für 20 DM erworben hat, ohne sich Gedanken darüber zu machen oder gar das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen. Denn ein solches Hemd würde, all den technologischen Fortschritt bei den Produktionsmitteln und die Nutzung eines niedrigeren Lohnniveaus nicht nutzend, in reiner Handarbeit in Deutschland hergestellt, heute wohl nicht unter 5.000 DM zu haben sein (Wolle von Hand gesponnen, Stoff von Hand gewebt, Hemd von Hand genäht). Er nutzt damit wie jeder andere Konsument unbewußt alle Vorteile der globalen Arbeitsteilung und der unterschiedlichen Löhne. Hauptnutznießer dieser Globalisierung ist also nicht der Unternehmer oder der oft verteufelte multinationale Konzern, sondern letztendlich die Masse der Endverbraucher.

Und damit stellt sich die Frage nach dem dauerhaften Sinn unseres Tariflohnsystems mit seinen, im weltweiten Vergleich, höchsten Einstiegslöhnen. Jahrzehntelang wurde dieses System als soziale Errungenschaft gepriesen, keiner wagt heute öffentlich das System in Frage zu stellen. Daß die hohe Arbeitslosigkeit ein Ergebnis gerade dieser Eingangslöhne ist, wird in breiten Kreisen der volkswirtschaftlichen Lehre schon seit langem mathematisch nachgewiesen. Doch ist es erstrebenswert, dieses Tarifniveau weiterhin künstlich aufrechtzuhalten? Führt dies nicht zu einer weiteren Abwanderung von inzwischen auch mittelständischen Unternehmen in osteuropäische Nachbarländer und entsprechend zu einem weiteren Ansteigen der jetzt schon unerträglich hohen Arbeitslosigkeit in unserem Land? Von den verbleibenden Löhnen werden dann über staatliche Umverteilungsmechanismen die vielen Millionen Arbeitslose unterstützt. Wo ist der Sinn dieser Politik? Eine einfache Deregulierung der staatlich bestimmten Mindestlöhne vs. dem Einsammeln und Austeilen von Arbeitslosengeldern würde, wie in vielen anderen Ländern sichtbar, die Probleme schnellstens lösen. Durch ein Absenken der Eingangslöhne und eine gerechtere Besteuerung der wertschöpfenden heimischen Betriebe würde eine Rückwanderung der Produktionsstätten vieler Firmen erfolgen und hier wieder Arbeitsplätze entstehen. Gleichzeitig müßten auch die Löhne der bisher in Beschäftigung stehenden Arbeitnehmer um den Teil, der bisher für die Finanzierung der Massenarbeitslosigkeit aufgewendet wurde, abgesenkt werden. Somit würden die Produktionskosten weiter sinken und damit auch die Preise der auf dem Markt konkurrierenden Produkte, womit sie für die unteren Einkommensschichten wieder erschwinglich wären.

Macht da noch die von Matthias Bath erhobene Forderung nach "voneinander getrennten Wirtschaftszonen" Sinn? Was sind voneinander "getrennte Wirtschaftszonen"? Wie sind diese zu definieren, wie zu trennen? Wir hatten schon einmal zwei getrennte Wirtschaftszonen auf deutschem Boden. Eine Trennung des wirtschaftlich schwächeren vom stärkeren Teil war bekanntlich nur durch eine Mauer möglich. Dabei haben die Menschen in dem Teil Deutschlands, der nicht von materiellem Wohlstand geprägt war, ihre persönliche Freiheit gegen eine eigenständige Wirtschaftszone ausgetauscht.

Die stetig zunehmende Globalisierung zu leugnen oder sie verhindern zu wollen, zeugt von mangelnder Realitätsakzeptanz. Statt sie zu bekämpfen, kann und muß gerade heute aus deutscher oder auch europäischer Sicht offensiv versucht werden, an der fortschreitenden Globalisierung zu partizipieren. Beispielhaft seien der Erfolg der Airbus-Industrie gegen den bisherigen Flugzeug-Weltmarktführer Boing oder die Verschmelzung der Konzerne Daimler und Chrysler genannt.

Doch nur höchst komplexe Produkte benötigen den Zusammenschlu der Ressourcen mehrerer nationaler Volkswirtschaften. Weniger komplexe Produkte lassen sich, wenn nicht von staatlicher Seite durch überhöhte lokale Steuern reglementiert, durch innovative Produktionsprozesse weiterhin in Deutschland in eigener Kraft günstig herstellen. Hier findet jedoch, wie zu Recht von Matthias Bath erkannt, eine einseitige Bevorzugung der multinationalen Konzerne statt, die ihre Gewinne so verlagern können, daß nur minimale Ertragssteuern anfallen. Ein Mittelständler, der in Deutschland ansässig ist, hat jedoch mit einem Grenzabgabensatz von etwa 75 Prozent seines Gewinnes (Mehrwert = Wertschöpfungssteuer, Gewerbesteuer, Körperschafts- und Einkommenssteuer, Beiträge für Zwangsmitgliedschaften bei den Industrie- und Handelskammern, Beiträge zur Berufsgenossenschaft und sonstige Zwangsabgaben) zu kämpfen. Hier muß also nationale Politik ansetzten: eine Egalisierung der Steuersätze zu Gunsten des heimischen Unternehmens.

Denn nur der heimische Unternehmer garantiert, wenn er eine vollständige Wertschöpfungskette innerhalb seiner Umgebung realisieren kann, eine maximale ortsnahe Verteilung der durch die Wertschöpfung entstandenen Mittel. Für ein Unternehmen, das durch eine falsche, nicht der eigenen Nation dienenden Politik, gezwungen wurde, seine Produktionsstätte in das Ausland zu verlagern, ist es dann nur ein kleiner Schritt, auch die Verwendung der Mittel, die bei der Wertschöpfung entstanden sind, ebenso zu verlagern.

Die Lösung aller Probleme in Zukunft heißt nach Matthias Bath schlicht und einfach "Deutschland". In dieser Bezeichnung steckt, anders als im Namen manch anderer Nation das Wort "Land". Und darin eine Zukunft zu sehen, ist mehr als fragwürdig. Der Versuch einer rein geographischen Abgrenzung der Nation hat sich wahrlich überholt. Ein Volk kann heute nur noch als ein Teil der Weltbevölkerung gesehen werden, in der es sich so gut wie möglich behaupten muß. Da räumliche Landesgrenzen in Zukunft immer weiter an Bedeutung verlieren (vgl. zum Beispiel das weltumspannende Internet), Deutschland nicht über ausreichende Rohstoffe verfügt, kann unsere Zukunft nur in dem systematischen Aufbau von Wertschöpfungsketten liegen. Die natürlichen Ressourcen unseres Volkes, wie der Geist und die Visionen der Unternehmer und das hohe Qualifizierungsniveau der Arbeitnehmer müssen konsequent gefördert statt behindert werden, um weiterhin massenweise innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und den dazugehörigen Produktionsprozeß zu initiieren.

Dies alles würde wieder zu einer Gesundung und einem Prosperieren unseres Wirtschaftssystems führen. Und erst dann bleiben Freiräume für größere, geistige Aufgaben. Denn was für den einzelnen gilt, gilt auch für die Gesamtheit.

 

Knut Rudloff, 39, ist Dipl.-Wirtschaftsingenieur und geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens.


 
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