© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Auf dem falschen Dampfer
von Horst Mahler

Den Stein hat wohl das Berliner Oberverwaltungsgericht ins Rollen gebracht. Mit seiner Entscheidung, daß ein islamischer Verein an Berliner Schulen zur Erteilung von Religionsunterricht zuzulassen sei, ist die Frage gestellt, ob denn nun jeder Verein dieser Art dieses Recht haben soll. Um dafür "feste Verhandlungs- und Ansprechpartner" zu haben, ist Schily dafür, "muslimischen Religionsgemeinschaften den gleichen Status einzuräumen, wie den christlichen Kirchen". Das ist bereits im Grundgesetz geregelt. Artikel 140 bestimmt, daß die Artikel 136 bis 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung fortgelten. Danach ist Religionsgesellschaften auf Antrag der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu gewähren, "wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten".

Das Problem des islamischen Relgionsunterrichts ist ein ganz anderes. In der Bundesrepublik gilt der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen durchbricht diesen Grundsatz nicht. Zum Bildungsauftrag der Schulen gehört die Vermittlung der Grundlagen unserer Kultur, ohne die wir unserem Leben in der Gemeinschaft der Deutschen keine Orientierung geben könnten. Wir können aber uns selbst nicht verstehen, unsere Philosophie nicht, unsere Literatur nicht, unsere Musik nicht, unsere Malerei nicht, ohne die Erzählungen der Bibel, die Glaubenssätze der christlichen Religion und die christliche Symbolik zu kennen. Deshalb gehört die Darstellung der Antike, des Christentums und der für die Entwicklung zum Humanismus und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewegungen zum Bildungsauftrag der staatlichen Schulen. Gleiches läßt sich vom Islam nicht sagen.

Daß der Religionsunterricht in den staatlichen Schulen von den christlichen Religionsgesellschaften getragen wird, hat seinen Grund im Privilegiensystem, wie es im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 festgeschrieben worden ist. Nach dem Gleichheitsgrundsatz, nach dem Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, könnten die muslimischen Religionsgesellschaften, auch wenn sie den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts erhielten, keinen Anspruch darauf erheben, an den deutschen staatlichen Schulen islamischen Religionsunterricht abzuhalten.

Das Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts ist angesichts der Vielfalt der sich inzwischen auf unserem Territorium tummelnden nichtchristlichen Religionen nicht durchführbar. Es dürfte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung kaum standhalten. Otto Schily signalisiert Handlungsbedarf, wo keiner ist.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen