© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Justiz: Gericht verurteilt Polizeibeamten
Keine Festnahme
Ronald Gläser

Schnelle Verfahren und härtere Strafen für Kriminelle werden in letzter Zeit oft gefordert. Ein Berliner Polizeibeamter hat jetzt die Härte des Rechtsstaates mit voller Wucht zu spüren bekommen. Er wurde vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und zur Zahlung von 3.000 DM verurteilt. Sein Verbrechen: Er hatte einen Obdachlosen nicht festgenommen.

Ihren Anfang nahm die Justizposse am 8. Januar 1997. Auf dem Ostbahnhof in Berlin-Friedrichshain half der bis dato unbescholtene Polizeibeamte Werner L. einer niedergeschlagenen, hilflosen Person, einem Briten. Als er den Rettungsdienst rief, habe ein Obdachloser beim Anblick des Beamten den rechten Arm gehoben und "Heil Hitler" gebrüllt, so ein Zeuge. Daraufhin wollten mehrere ebenfalls anwesende Punker auf den Obdachlosen losgehen und ihn verprügeln. Werner L. ging dazwischen und schlichtete.

Ein Punker forderte ihn auf, den Obdachlosen wegen des Hitlergrußes festzunehmen. Antwort des Beamten: "Hier wird heute keiner festgenommen." Daß die Zeugen unglaubwürdig waren, zählte nicht. Der Punker sagte, er habe gar nichts gesehen. Und auch Werner L. sagte aus, weder gehört noch gesehen zu haben, was der Obdachlose getan habe. Der Obdachlose selbst wurde zu dem Vorgang nicht einmal befragt.

Für Staatsanwaltschaft und Richter war dies Strafvereitelung im Amt. Der Polizeibeamte habe einen Fehler gemacht, so der Staatsanwalt. In Deutschland seien "solche Straftaten streng zu ahnden". Der Richter kam aufgrund der, wie er sich äußerte, "rechtsextremistischen Grundstimmung in Deutschland" zu dem Ergebnis, daß ein Exempel statuiert werden müsse. Polizeibeamte müßten nach Paragraph 86a Strafgesetzbuch gegen das Verwenden von Zeichen und Symbolen verfassungswidriger Organisationen vorgehen.

Dem 47jährigen Beamten droht jetzt ein Disziplinarverfahren und der Verlust seines Arbeitsplatzes. Aufgrund der psychischen Belastung ist er seit Dienstag krank gemeldet. Ihm bleibt die Hoffnung, daß eine höhere Instanz das Urteil revidiert.


 
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