© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Literatur: Zum Verhältnis von Thomas Mann und Oswald Spengler
Das Übel der Zivilisation
Frank Lisson

Sie lebten nur wenige Straßen voneinander entfernt. München war ihre Wahlheimat, doch begegnet sind sich die beiden wohl nie. Was sie kurzzeitig verband, war ihre Kritik an der "Zivilisation". Im Spätsommer 1918 hatten sie zwei wesensverwandte Bücher veröffentlicht, die sie jedoch gegenseitig höchst unterschiedlich zur Kenntnis nahmen. Die Rede ist von Thomas Mann und Oswald Spengler.

Als Spengler seinen "Untergang des Abendlandes" vor genau achtzig Jahren erscheinen ließ, sollte das Buch auch Thomas Mann faszinieren. Er las den ersten Band im Frühsommer 1919 und hatte dabei das wachsende Gefühl, "einen großen Fund gethan zu haben, der vielleicht in meinem Leben Epoche machen wird". Nach Beendigung des Werkes urteilte er: "Das wichtigste Buch!" Er stellt es in eine Reihe mit Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung". Und als er in seiner Eigenschaft als Preisrichter fur die Vergabe des Nietzsche-Preises 1919 um eine Empfehlung gebeten wurde, entschied er sich ohne zu zögern für den "Untergang des Abendlandes".

Thomas Manns nur wenige Wochen nach Erscheinen des "Untergangs" veröffentlichten "Betrachtungen eines Unpolitischen" sind von Spengler dagegen gar nicht kommentiert, vermutlich nicht einmal gelesen worden. Es fehlt jede Stellungnahme.

Doch auch Thomas Manns Urteil hielt nicht lange an, sondern wandelte sich bald ins Gegenteil. 1922 beschrieb er in seinem Aufsatz "Von deutscher Republik", in dem er sich erstmals öffentlich zur Demokratie bekannte, kaum wirklich überzeugend seine Wandlung Spenglers Denken gegenüber. Er behauptet, 1919 gedacht zu haben, Spengler hätte den Untergang der Kultur nur deshalb (ironisch) prophezeit, um ihn zu verhindern. Jetzt aber, nachdem er gemerkt habe, daß Spengler die Heraufkunft einer "barbarischen" Zivilisation durchaus ernst meinte, mußte er sich von ihm abwenden. Diese Behauptung ist überraschend und widerspricht so ziemlich allen zuvor geäußerten Ansichten.

Doch vermutlich waren es solche Sätze Spenglers wie die aus der Schrift "Pessimismus?" von 1921, an denen Thomas Mann sich gestoßen haben wird: "Härte, romische Härte ist es, was jetzt in der Welt beginnt. Für etwas anderes wird bald kein Raum mehr sein. Kunst ja, aber in Beton und Stahl, Dichtung ja, aber von Männern mit eisernen Nerven und unerbittlichem Tiefblick, (...), Politik ja, aber von Staatsmännern und nicht von Weltverbesserern. (...) Zu einem Goethe werden wir Deutschen es nicht wieder bringen, aber zu einem Cäsar." Das war Spenglers zukunftsweisender Imperativ, sein "heroischer Realismus". Diese Art der Prophezeihung entsprach nicht dem Geschmack Thomas Manns. In einem Brief vom 5.Dezember 1922 gebraucht er erstmals die Wendung von Spengler als dem "klugen Affen" Nietzsches, und in seinem polemischen Aufsatz "Über die Lehre Spenglers" (1924) geht er mit ihm vollends ins Gericht. Er nennt ihn einen "Fatalisten" und "Snob", und macht noch einmal deutlich, warum er Spengler feindlich gesonnen sein muß: "Ein heimlicher Konservativer, scheint er, der Kulturmensch, verdrehterweise die Zivilisation zu bejahen; allein, das ist nur der Anschein eines Anscheines, eine doppelte Vexation, denn er bejaht sie wirklich, – nicht nur mit seinem Wort, dem etwa sein Wesen widerstrebte, sondern auch mit seinem Wesen! Was er verneint, indem er es prophezeit, er stellt es dar, er ist es selbst – die Zivilisation."

Die fast resignative Anerkennung der Zivilisation durch Spengler ging Thomas Mann – obwohl er sich selbst auch nicht frei von den Symptomen des "Zivilisationsliteraten" wußte – offenbar entschieden zu weit. Doch der Kulturphilosoph war in seinem morphologischen Denken eigentlich nur konsequent. War Spengler in der Gunst Thomas Manns seit 1922 tief gefallen, so hatte er seinerseits ebenfalls keine hohe Meinung von dem großen Schrifsteller. Ein Umstand, der ohnehin nicht förderlich dafür schien, den eitlen Thomas Mann dauerhaft für sich zu gewinnen. Schon 1913 läßt Spengler seine Abneigung gegen Thomas Mann einen Freund wissen: "Die ganze Sentimentalität bei Thomas Mann ist deshalb so verlogen, weil ihre Wurzel noch in der romantischen Belletristik steckt. Er erzählt scheinbar moderne Stoffe, aber mit einem ganz veralteten Gehalt (Biedermeierempfindsamkeit oder Heine ins Großstädtisch-Homosexuelle projiziert). Das merkt das Leservolk natürlich nicht."

Wie Thomas Mann hielt zwar auch Spengler den Siegeszug der Demokratie letztlich für unvermeidbar, beide blickten je auf ihre Art realistisch und nüchtern in die Zukunft, hofften aber, die Deutschen würden bei der bevorstehenden weltweiten Demokratisierung wenigstens nicht die englisch-französische Variante übernehmen, sondern zu einer eigenen Form der Demokratie finden. Nur in der weiteren Deutung lag ein entscheidender Unterschied: Thomas Mann glaubte bei allen Veränderungen doch fest an die Humanität, an die Entstehung eines vernunftdurchdrungenen, menschlich-toleranten modus vivendi in einer neu geordneten Welt.

Oswald Spengler dagegen glaubte nicht an die "Menschheit", er glaubte allein an die Macht in einem kommenden imperialistischen Zeitalter. "In dem Deutschland, das durch technische Intelligenz, Geld und den Blick für Tatsachen seine Weltstellung befestigt hat, wird ein vollkommen seelenloser Amerikanismus zur Herrschaft gelangen, der Kunst, Adel, Weltanschauung zu einem Materialismus auflöst, wie er nur in Rom der ersten Kaiserzeit schon einmal vorhanden war."

Spengler ist – nach eigenem Bekunden – kein Pessimist gewesen. Doch er war auch kein Vertreter der Zivilisation, allenfalls ein "Prophet heroischer Zivilisationsbereitschaft" (H. Lubbe). Seine Worte verraten die Verbitterung eines scharfsinnigen Beobachters, die stille Trauer eines tief an dem Erkannten Leidenden, nicht den Eifer eines Agitators, der sich selbst an die Spitze des verkündeten Neuen stellt. Aber die Worte zeigen auch den Versuch, dem unausweichlichen Schicksal mit strenger Beherrschung zu begegnen, fatalistisch zu werden aus strikter Anerkennung des Realen. Spengler liebte das Schicksal nicht – er fand sich damit ab. Resignation von einem heroischen Realismus überdeckt – aus Angst, Trauer und Verbitterung, das kennzeichnet sein Werk. Eine Haltung, die mit der auf Humanismus und Synthese ausgerichteten Einstellung Thomas Manns letztlich nicht vereinbar war.


 
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