© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Wirtschaftspolitik: Kritische Anmerkungen zum "Patentrezept" ökologische Steuerreform (Teil 2)
Gutsituierte Bürger werden begünstigt
Thomas Brandis

Beschäftigungspolitisch profitieren von einer ökologischen Steuerreform vor allem Erwerbspersonen mit geringer Qualifikation. Denn sinkende Personalkosten machen den Einsatz dieser Arbeitskräfte auch in bislang unrentablen Tätigkeitsfeldern für die Unternehmen wieder lohnend. Und genau das ist das Ziel der neuen Bundesregierung. Von den rund vier Millionen Arbeitslosen in den alten Bundesländern verfügen nämlich fast 50 Prozent über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei den ausländischen Erwerbslosen liegt dieser Anteil sogar bei 78 Prozent. Ein ausreichendes Angebot von Billigjobs ist letztlich auch Voraussetzung für die Integration unqualifizierter Armutsflüchtlinge aus der Dritten Welt, die in Zukunft vermehrt nach Deutschland strömen werden. Im Ergebnis hätte eine ökologische Steuerreform also zur Folge, daß unqualifizierte Arbeitskräfte einwandern, und hochqualifizierte Erwerbspersonen im Zuge von Standortverlagerungen produktiver Industriezweige das Land verlassen. Der Prozeß der Deindustrialisierung wird also von einer Dequalifizierung des Erwerbspotentials begleitet. Schlimmer noch: Steht billiges Personal in großer Zahl zur Verfügung, dann wird der Rationalisierungsdruck als Triebfeder des technischen Fortschritts deutlich gemindert. Das aber könnte bereits auf mittlere Sicht die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Weltmärkten nachhaltig gefährden.

Eine ökologische Steuerreform ist aber nicht nur ökonomisch fragwürdig und beschäftigungspolitisch kontraproduktiv, sie ist auch unsozial. So weist der Bund der Steuerzahler darauf hin, daß die durch höhere Energiesteuern finanzierte Senkung der Sozialabgaben allein Unternehmen und Erwerbstätigen zugute kommt. Demgegenüber müssen Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Rentner und Studenten zwar die gestiegenen Energiepreise bei Öl, Strom und Gas tragen, erfahren aber keine oder eine nur unzureichende kompensatorische Entlastung, da sie nicht in die Sozialversicherung einzahlen. Will man eine Benachteiligung dieser Gruppen vermeiden, müßte ein Ausgleich gewährt werden, zum Beispiel durch eine automatische Kopplung von Renten und Arbeitslosenunterstützung mit der Preisentwicklung. Die parallele Erhöhung der Sozialtransfers wird auch von Greenpeace als "unabdingbare" Begleitmaßnahme einer ökologischen Steuerreform angesehen. Allerdings müssen die notwendigen Mehrausgaben letztlich aus den Einnahmen der Ökosteuer finanziert werden, was die Mittel für eine beschäftigungswirksame Senkung der Lohnnebenkosten verringert.

Die ökologische Steuerreform begünstigt zudem gutsituierte Bürger, und das aus zwei Gründen: Erstens führen Ökosteuern tendenziell zu einer Verteuerung von Konsumgütern, da die Unternehmen bemüht sein werden, die Mehrkosten steigender Energiepreise auf die Verbraucher abzuwälzen. Das gilt vor allem für solche Anbieter, die auf der Personalkostenseite durch die sinkenden Sozialabgaben keinen hinreichenden Ausgleich erfahren. Steigende Preise aber benachteiligen vorrangig die unteren Einkommensgruppen, die relativ gesehen einen deutlich höheren Teil ihres Haushaltsbudgets für lebensnotwendige Güter aufwenden müssen als Besserverdienende. Zu den Verlierern werden deshalb vor allem kinderreiche Familien zählen. Die Wirkungen von Ökosteuern sind somit praktisch die gleichen wie bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Zweitens trifft eine massive Anhebung der Energiepreise – und hier speziell der Mineralölsteuer – alle Bürger gleichermaßen. Es wird nicht danach gefragt, ob jemand seinen Pkw benötigt, weil er in einer ländlichen Region wohnt, Berufspendler ist und schlechten Anschluß an den öffentlichen Nahverkehr hat. Auch die unterschiedliche finanzielle Situation der Betroffenen findet keine Berücksichtigung. Dabei ist klar, daß ein Benzinpreis von fünf Mark je Liter für einen vermögenden Selbständigen leichter zu tragen ist als für einen Durchschnittsarbeitnehmer. Die vermeintliche Lösung umweltpolitischer Probleme über den Markt würde es Bürgern mit gutgefüllter Brieftasche also ermöglichen, sich von ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt freizukaufen, während Otto-Normalverbraucher auf den Bus umsteigen bzw. seine Konsumausgaben beschränken muß.

Die soziale Unausgewogenheit ist Folge der mangelnden Flexibilität eines ökologischen Steuersystems, das den Bedürfnissen der einzelnen Steuersubjekte sehr viel weniger gerecht werden kann als die klassische, an der individuellen Leistungsfähigkeit orientierten Lohn- und Einkommenssteuer. Diese Feststellung gilt für Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen. Denn ein Zuviel an Ausnahmeregelungen würde nicht nur einen kostspieligen bürokratischen Aufwand verursachen, sondern vor allem die gewünschte ökologische Lenkungswirkung in Frage stellen.

Die soziale Schieflage wird noch eklatanter

Die soziale Schieflage einer ökologischen Steuerreform wird noch eklatanter, wenn die Industrie aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit ganz oder teilweise von der Umweltsteuer befreit wird. Dann nämlich muß das für die Senkung der Soziallasten erforderliche Öko-Steueraufkommen allein vom privaten Endverbraucher bzw. von Selbständigen und Freiberuflern aufgebracht werden. Die in wissenschaftlichen Konzeptvorschlägen immer wieder angemahnte Aufkommensneutralität als Voraussetzung für die breite Akzeptanz einer ökologischen Steuerreform ist auch aus diesem Grund in der Praxis nicht gegeben.

Auch aus umweltpolitischer Sicht sind die erwarteten positiven Effekte dieser Steuerreform zweifelhaft. Selbst wenn sich Bonn die drastischen Vorstellungen des DIW zu eigen machen würde, könnte das Emissionsvolumen in Deutschland bis zum Jahre 2005 auch im günstigsten Fall nur um 18 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Legt man die jetzt beschlossenen Energiepreiserhöhungen zugrunde, wird der ökologische Effekt der Reform gleich Null sein.

Wie groß die Lenkungswirkung höherer Energiekosten in der Praxis tatsächlich ist, läßt sich allerdings nur sehr schwer bestimmen. Sie wird aber von den Befürwortern der ökologischen Steuerreform eindeutig überschätzt. Dem liegt das Kernproblem einer jeden auf marktwirtschaftlichen Anreiz- und Sanktionsmechanismen beruhenden Ökopolitik zugrunde: Ob private Haushalte und Unternehmen auf hohe Umweltsteuern tatsächlich mit einem ressourcenschonenden Verhalten reagieren, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Die Vorstellung etwa, eine Erhöhung der Treibstoffkosten um einen bestimmten Prozentsatz führe zu einem linearen Rückgang des Verkehrsaufkommens, ist schlicht naiv. Alle einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen vielmehr, daß die Nachfrage privater Haushalte nach Energie relativ unelastisch ist, moderate Preisänderungen also kaum Einfluß auf den Verbrauch haben. Die Preisreagibilität ist um so geringer, je höher das Einkommen ausfällt. Spareffekte sind deshalb nur in Haushalten von Geringverdienern oder im Falle extrem hoher Ökosteuern zu erwarten. Doch die würden nicht nur erhebliche politische Widerstände provozieren, sondern letztlich auch die Einnahmebasis wegbrechen lassen, weil die Verbraucher notgedrungen im großen Stil Energie einsparen würden. Sind die Ökosteuern hingegen zu niedrig, werden zwar die Einnahmen kontinuierlich fließen, jedoch keine umweltgerechten Verhaltensänderungen eintreten. Ein Teufelskreis!

Der Lenkungseffekt einer an den politischen und ökonomischen Realitäten orientierten ökologischen Steuerreform wird jedoch nicht nur durch die konzeptionellen Schwächen des Modells, sondern zusätzlich durch die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen konterkariert. So hat zum Beispiel eine Erhöhung der Strom- und Gaspreise auch deshalb nur begrenzte Auswirkungen auf den Energieverbrauch der privaten Haushalte, weil hierzulande 65 Prozent des Wohnungsbestandes Mietwohnungen sind. Für den Vermieter als Eigentümer besteht aber keinerlei Anreiz, Maßnahmen etwa zur Raumwärmedämmung durchzuführen, da die verbrauchsabhängigen Nebenkosten über den Mietpreis weitergegeben werden können. Der Wirkungsmechanismus von Ökosteuern läuft also gerade im Niedrigtemperaturbereich, in dem die Einsparpotentiale besonders groß sind, ins Leere.

Auch das Verkehrsaufkommen dürfte sich im Zuge einer ökologischen Steuerreform auf mittlere Sicht kaum reduzieren, selbst wenn die Mineralölsteuer in einem ersten Schritt um mehr als sechs Pfennig steigen würde. Ein Autofahrer, der beruflich auf seinen Pkw angewiesen ist, hat kaum Möglichkeiten, höheren Spritkosten durch die verstärkte Nutzung von Bus oder Bahn auszuweichen. Denn der öffentliche Nahverkehr ist nicht in der Lage, ein deutlich erhöhtes Fahrgastaufkommen zu bewältigen. Will man den motorisierten Individualverkehr um nur sieben Prozent zurückdrängen, müßten die Bahnkapazitäten verdoppelt werden – ein auch bei drastischer Besteuerung kaum finanzierbares Unterfangen.

Da die Mehrheit der Bevölkerung eine starke Beschränkung ihrer Mobilität ebensowenig hinnehmen kann wie Einschnitte beim häuslichen Energieverbrauch, werden die Verbraucher Belastungen aus einer Ökosteuer nicht in erster Linie durch Einsparungen, sondern durch Umschichtungen im privaten Haushaltsbudget auszugleichen suchen. Von den notwendigen Einsparungen sind erfahrungsgemäß vor allem "verzichtbare" Dienstleistungen betroffen, die z.B. von Gastronomie und Handwerk erbracht werden – Branchen also, die aufgrund ihres geringen Energieverbrauchs und hohen Personaleinsatzes eigentlich zu den Gewinnern der ökologischen Steuerreform gehören sollen.

Nationale Alleingänge sind schlicht obsolet geworden

Wieder andere Konsumenten werden sich die Segnungen des europäischen Binnenmarktes zunutze machen und verstärkt Tankstellen im europäischen Ausland ansteuern. Bereits heute liegen die Spritpreise in vier unserer Nachbarstaaten z.T. deutlich unter dem deutschen Niveau. Eine weitere Anhebung der Mineralölsteuer würde den überaus problematischen "Tanktourismus" fördern.

Spätestens an dieser Stelle sollte deutlich geworden sein, daß nationale Alleingänge in der Steuer- und Abgabenpolitik in einem Europa der offenen Grenzen und mit einer gemeinsamen Währung schlicht obsolet geworden sind. Speziell im Umweltbereich machen sie auch wenig Sinn; denn obwohl Deutschland einer der größten Industriestaaten der Welt ist, trägt es nur knapp sechs Prozent zum globalen Kohlendioxid-Ausstoß bei. Im Gegenteil kann das umweltpolitische Ergebnis einer nationalen Öko-Steuerreform sogar negativ sein, wenn energieintensiv arbeitende Unternehmen in Länder mit geringen Umweltstandards abwandern, die Produktion dort ohne vergleichbare ökologische Absicherungen fortsetzen und ihre Erzeugnisse auf langen Transportwegen nach Deutschland exportieren. Eine ökologische Steuerreform in Deutschland wäre deshalb nur dann verantwortbar, wenn wenigstens die EU-Mitgliedsstaaten dem deutschen Beispiel folgen würden. Und genau darauf hofft die neue Bundesregierung auch. Man geht davon aus, daß ein echter Einstieg in die ökologische Steuerreform in einem großen Industriestaat wie Deutschland politische Signalwirkung für andere Länder hat. Sind die Energiepreise international auf einem einheitlich hohen Niveau, wäre die Gefahr gewerblicher Standortverlagerungen ebenso gebannt wie ökologisch kontraproduktive Anpassungsreaktionen privater Verbraucher. Erst dann können Ausnahmeregelungen zugunsten der Industrie aufgehoben und die Bemessungsgrundlage als Voraussetzung für eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten auf alle Steuersubjekte erweitert werden.

Ob sich der notwendige umweltpolitische Konsens wird herstellen lassen, erscheint allerdings bereits mit Blick auf Europa zweifelhaft. Zwar haben einige EU-Mitgliedsstaaten Ökosteuern eingeführt. Eine durchgreifende ökologische Steuerreform ist allerdings noch in keinem Land realisiert worden. Auch die Vielfalt der nationalen Ansätze läßt kein durchgängiges Muster erkennen. Allen europäischen Beispielen gemeinsam sind aber die steuerlichen Befreiungstatbestände zumindest für energieintensive bzw. exportorientierte Branchen. Die Last wird also weitgehend von privaten Verbrauchern getragen. Auch darf nicht übersehen werden, daß der Anteil energieintensiver Branchen in Deutschland höher ist als in jedem anderen europäischen Land. Vergleichsstudien zeigen, daß deutsche Unternehmen als Folge einer ökologischen Steuerreform ohne Ausnahmeregelungen höhere Anpassungslasten zu tragen hätten als ihre Wettbewerber im EU-Ausland.

Doch selbst wenn es gelingen würde, im Kreis der Europäer Einigkeit über Inhalt und Umfang einer ökologischen Steuerreform zu erzielen, bliebe energieintensiven Unternehmen immer noch die Möglichkeit, in andere Regionen der Welt auszuweichen.

Das Modell der ökologischen Steuerreform ist aufgrund seiner konzeptionellen Defizite und Widersprüchlichkeiten also weder geeignet, die Umweltsituation nachhaltig zu verbessern, noch neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Ablehnung einer ökokogischen Steuerreform ist jedoch nicht mit dem Verzicht auf Maßnahmen zum effektiven Schutz der Umwelt gleichzusetzen. Wer die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten will, dem stehen Wege offen, die wirtschafts- und beschäfigungspolitisch verantwortbar und fiskalpolitisch unbedenklich sind. Auf nationaler Ebene ist nach Meinung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) das herkömmliche Ordnungsrecht ökologisch viel effizienter als steuerliche Sanktionsmechanismen. Im internationalen Bereich gilt es Lösungen zu finden, die den unterschiedlichen Bedürfnissen von Industriestaaten und Entwicklungsländern gleichermaßen gerecht werden. Ein von vielen Experten befürwortetes Modell ist der weltweite Handel mit sogenannten "Verschmutzungszertifikaten", mit dem in den USA seit einigen Jahren experimentiert wird. Das hätte den entscheidenen Vorteil, daß Umweltschutz international dort betrieben würde, wo er am effizientesten und die ökologische Belastung am größten ist.


 
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