© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Geld macht glücklich
Karl Heinzen

"Arm, aber glücklich. Das Sprichwort stimmt", meint die "Bild"-Zeitung und verrät dadurch unfreiwillig mehr Realitätssinn für das kommende Jahrhundert, als es alle Spiegel-Serien über das ausgehende je könnten. Genährt wird diese vorweihnachtliche Erkenntnis durch eine Studie von Robert Worcester, Professor an der London School of Economics, die Bangladesch als dasjenige Land benennt, in dem die Menschen am glücklichsten sind. Dicht gefolgt wird diese südasiatische Oase der Lebensqualität von Aserbeidschan, Nigeria, den Philippinen und Indien. Deutschland folgt abgeschlagen auf Rang 42 und läßt damit sogar noch die Japaner (44) und US-Amerikaner (46) hinter sich.

In einer Zeit, in der man auf unserem Planeten schon allein aufgrund seiner Kugelform nur noch in globalen Zusammenhängen denken kann, läßt uns diese Statistik nicht unberührt. Sicher wäre es arrogant und vor allem zuviel verlangt, wenn wir uns gleich an der Spitze orientieren wollen: Es gibt Mentalitäten, die kann man genauso wenig über Nacht abstreifen wie zum Beispiel das Libero-System. Wir sind nun einmal nicht die filigranen Lebenskünstler, die aus jeder Situation gleich das beste zu machen verstehen. Wir haben aber allemal die mentalen Ressourcen, mit unseren Ängsten besser umzugehen. Diese Statistik schon könnte dabei eine erste Orientierungsmarke sein, lehrt sie uns doch, die anstehende makroökonomische Anpassung an neue politische Zielvorgaben nicht länger als eine Gefahr für unser Wohlbefinden mißzuverstehen. Die Standortdebatte ist aus ihrer isolierten, ausschließlich ökonomischen Betrachtungsweise zu befreien. Wir dürfen das subjektive Empfinden der Mensch nicht länger ausklammern, wenn wir unser Bruttosozialprodukt messen. Um mit Robert Worcester zu sprechen: Die Menschen in den Industrieländern sind skeptisch, ob ihnen mehr Geld auch mehr Glück bringt, während die Bewohner der Dritten Welt diesen positiven Zusammenhang uneingeschränkt bejahen.

Was können wir von diesen neuerlichen Hopi-Weisheiten für unser Leben im 21. Jahrhundert lernen? Eine neue Wertschätzung des Geldes wäre möglich. Wir müssen uns nur in die Situation all der ungezählten Weltmitbürger hineindenken, die arm sind, um den Wert jedes noch so kleinen Betrages für unser Wohlergehen gerecht zu würdigen. Das heißt nicht, daß Geld zum Selbstzweck würde: Wir müssen aber in unseren Forderungen an das Leben steigerungsfähig sein, um dem Streben nach Erwerb und Vermögen neue Vitalität einzuhauchen.

Niemandem soll genommen werden, worüber er sowieso nicht verfügt: Arme sollen glücklich bleiben, Reiche sollen es aber auch werden dürfen. Die postmaterialistische Interessenverlagerung von der Einkommenserzielung auf die Einkommensverwendung gilt es umzukehren. Dann erst haben wir wieder die Chance, das Glück von Bangladesch nachzuempfinden.


 
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