© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Energiewirtschaft: Über eine Tagung zum Braunkohletagebau in Berlin
Der Schnee in der Lausitz bleibt weiß
Ines Steding

Was dem Westen sein Garzweiler, ist der Braunkohletagebau in der Lausitz dem Osten. Unverändert stellen sich selbst in Anbetracht des einknickenden Widerstands gegen die großangelegten Raumverwerfungen die Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Ganzen. Damit beschäftigten sich jüngst das in Köln angesiedelte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie die Akademien der evangelischen und katholischen Kirche zu Berlin auf einer Tagung in den Berliner Räumen des Deutschen Instituts für Normung (DIN-Institut). Dessen oberster Hausherr, der Direktor des DIN-Insituts, Helmut Reihlein, hob einerseits die Segnungen der modernen Techniken hervor: So hat die im Strom verwertete Braunkohle zum erhöhten Wohlergeben der Menschen maßgeblich beigetragen. Andererseits wächst in den hochzivilisierten Staaten mehr denn je das Bewußtsein für eine kontrollierte Technikentwicklung. Freilich gab Reihlein zu bedenken, daß der Mensch im Kontinuum stehe, in einem unumwendbaren Fortgang: So gibt es keine Rückkehr ins Unwissen, wenn erstmal "Wissen gesetzt" ist, wobei er anschaulich auf eine zur Giftgasanlage umfunktionierte Düngeanlage des Irak verwies. Letztlich stehe der Mensch "als Mitarbeiter am Bauplan Gottes" beständig an der Scheidelinie zwischen Können und Tun.

Hier hakte sich der Technikphilosoph an der TU Dresden, Professor Bernhard Irrgang, mit einer auf den Bergbau bezogenen Technikfolgenabschätzung ein. In seiner Güterabwägung stellte er unter anderem dar, daß im Einzelfall Umsiedlungen oder eine mögliche Entwurzelung durch Arbeitslosigkeit ausgelotet werden müssen. Desweiteren, daß die regenerative Energien Wind und Sonne zwar nachhaltig sind (abgesehen von deren hohem Materialverbrauch), sie aber gerade mal ein Prozent des Primärenergiebedarfs zu decken vermögen. Die Braunkohle hingegen deckt 16 Prozent des Energiebedarfs ab. Auch zeigen durch den Tagebau verwüstete Landschaften bei Rekultivierung oftmals eine größere biologische Diversität auf als die reinen Waldgebiete von früher.

Von einer lediglich zeitlich befristeten Inanspruchnahme des Raumes sprach dann auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag), Dieter Schwirten, wobei im Schnitt 10 bis 20 Jahre für die landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Rekultivierung veranschlagt werden. Im übrigen arbeiten die Anlagen der Laubag nach neuestem Stand der Technik, was zu einem Rückgang des Wasserbedarfs führe und die Luftqualität verbessere: Der Schnee behält heute seine weiße Farbe, so Schwirten. Die hierzu benötigten sechs Miliarden teuren Investitionen wurden zu drei Viertel durch Lieferungen und Leistungen aus den neuen Bundesländern erbracht.

Von einem Quantenfortschritt in der Energieproduktion sprach das Vorstandsmitglied der Vereinigten Energiewerke (Veag), Martin Martiny. Der ostdeutsche Stromversorger betreibt modernste Kraftwerke mit dem Energieträger Braunkohle. In aller Deutlichkeit wandte er sich deshalb gegen eine Ökosteuer, die den Osten für seine in Potenz umweltfreundlicheren Techniken und dieses hohe finanzielle Engagement geradezu "bestrafe".

Einig waren sich die Teilnehmer des Symposiums darin, daß die großen Fragen der künftigen Energieversorgung nicht am OECD-Raum hängen, wo beständig Spareffekte zu Buche schlagen. Vielmehr tun sich diese in den Entwicklungs- und Schwellenländern auf, wie die rasant wachsende Nachfrage schon heute zeige. Insofern fragten sowohl Schwirten wie Martiny tabubrechend, ob die zu deckenden Zuwächse des Energieverbrauchs durch letzte Promilleeinsparungen gedrosselt werden sollen oder aber die technische Intelligenz zielführend darauf abstellt, finanzierbare, energieeffektive Systeme auf niedrigerer Wirkungsbasis den südlichen Ländern verfügbar zu machen. Die gewünschte Eindämmung des Bevölkerungswachstums hängt entscheidend auch mit bezahlbarer wohlstandsfördernder Energie zusammen.


 
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