© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Frankreich: Yvan Blot, Vordenker des Front National, über die Spaltung seiner Partei
"Der Konflikt wird schärfer"
Dieter Stein

Noch bis vor kurzem galt der Front National manchem als Vorbild für eine sogenannte "Vereinigte Rechte" in Europa. Sie selbst reisten nach Deutschland, um rechten Splittergruppen Tips zu geben, wie sie sich zusammenschließen könnten. Nun haben Sie selbst einen Riesenkrach – die Partei steht vor der Spaltung. Wie kam es dazu?

Blot: Es handelt sich bei dem Streit zunächst nicht um eine ideologische Spaltung, sondern mehr um einen personellen Konflikt und einen Streit über Methoden. Die persönliche Umgebung des Vorsitzenden Le Pen hatte in den letzten Wochen die Absicht, Bruno Megret auszuschalten. Es handelt sich konkret um eine persönliche Konkurrenzsituation zwischen dem Schwiegersohn Le Pens, Maréchal und Bruno Megret. Beide wollen Le Pen als Parteivorsitzende beerben. Bislang hatte es immer so ausgesehen, als ob klar wäre, daß dies Megret sein wird. Megret mußte im Laufe dieses Jahres erkennen, daß man versucht, ihn aus der Partei zu drängen – er mußte also handeln.

Wann kam dieser Moment?

Blot: Der Augenblick war da, als Le Pen zwei Personen des Megret-Umfeldes, Frau de Baille und Herrn Fayard, Mitarbeiter der Ehefrau von Megret, der Bürgermeisterin von Vitrolles aus der Partei ausgeschlossen hat. Auf einem darauffolgenden Conseil National der Partei in Paris mit 350 Teilnehmern revoltierte die Hälfte der Teilnehmer gegen die Entscheidung Le Pens. Seitdem hat der Konflikt zwischen Le Pen und Megret ständig an Schärfe zugenommen. Einige Persönlichkeiten der Partei haben noch versucht, ein Einvernehmen zu organisieren – dies schlug jedoch fehl. Le Pen hatte die Wahl, die Situation zu verbessern und die Parteiausschlüsse zurückzunehmen oder immer wieder neue Leute auszuschließen. Die zweite Lösung hat er nun gewählt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht jemand aus der Partei ausgeschlossen wird. Die Mehrheit dieser Leute waren sehr gut qualifizierte Persönlichkeiten wie der Unternehmer Martinez, der Personaldirektor der Partei, der Europaabgeordnete Jean-Yves le Gallon, Fraktionsvorsitzender im Pariser Regionalparlament. Die Situation wird immer schlimmer.

Welchen Ausweg sehen Sie?

Blot: Die einzige Lösung ist ein Kongreß, ein Parteitag, der nach den Statuten unserer Partei einberufen werden muß, wenn dies über 20 Prozent der Mitglieder fordern. Diese Form der direkten Demokratie entspricht ja auch unserer politischen Vorstellung. Nun haben 12.000 Mitglieder ihre Unterschrift für diese Forderung gegeben und fordern diesen Kongreß. An Le Pen liegt es nun, ihn einzuberufen und eine neue Mehrheit zu gewinnen.

Können Sie einen Parteitag notfalls auch juristisch erzwingen?

Blot: Nach der Satzung der Partei ja. Die Unterschriften müssen aber geprüft werden etc. – man kann die Sache also höchstens verzögern.

Bestätigt Ihre Partei im Moment den Vorwurf, sie sei eine Führerpartei, die schlicht Probleme mit einer demokratischen Kultur hat?

Blot: Wir sind aus tiefstem Herzen Demokraten, und dies ist auch unsere Doktrin. Wir treten beispielsweise im Unterschied zu den übrigen französischen Parteien für eine Demokratie nach Schweizer Vorbild ein! Entgegen dieser Vorstellungen hat der Vorsitzende Le Pen in den letzten Tagen überraschenderweise erklärt, die Partei sei schlicht sein Eigentum. Hier gibt es tatsächlich einen Widerspruch zwischen dem, was der Vorsitzende sagt, und dem, was nach den Satzungen unserer Partei gültig ist. In der Vergangenheit konnte dieser Widerspruch nicht aufbrechen, weil die Partei geschlossen hinter Le Pen stand. Da nun erstmals nennenswerter Widerspruch laut wird, erklärt sich Le Pen plötzlich zu einem König – nach der Satzung ist er aber nur ein Vorsitzender.

Wird denn der Front National in Frankreich eher gewählt, weil er für demokratische Reformen eintritt oder weil er vielmehr einen starken Mann an seiner Spitze hat?

Blot: Aus beiden Gründen! Die Leute wünschen sich einen starken Mann, wollen aber keine Diktatur. Die Mehrheit der Mitglieder sind jedenfalls schockiert über das Verhalten Le Pens. Le Pen ist nicht mehr der selbe Mann wie vorher – er hat sich im Alter verändert. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb er die ursprünglichen Ideen nicht mehr vertritt.

Wie wird es weitergehen?

Blot: Im Laufe des Januar wird ein Parteitag stattfinden – mit oder ohne Le Pen. Natürlich wünschen wir uns eine Versöhnung, wir bezweifeln aber, ob das noch möglich ist, weil das Umfeld von Le Pen dies verhindern will. Die Mehrheit der Partei – zwei Drittel der Bezirksvorsitzenden, zwei Drittel der Regionalabgeordneten – sind für Megret. Wenn Le Pen Vorsitzender bleiben will, muß er eine Einigung mit Megret schaffen.

Wenn nicht, kommt es dann zur Spaltung?

Blot: Wenn es auf dem Parteitag nicht zu einer Einigung kommt, wird schlimmstenfalls eine Neugründung der Partei stattfinden. Es wird dann zwei Organisationen geben und vermutlich zwei Listen für die Europawahlen. Das ist traurig, aber dies wird wohl die Lösung sein.

Wie stehen die Chancen für eine Einigung des Front National?

Blot: Sie stehen 30 Prozent für eine Wiedervereinigung der Partei und 70 Prozent für eine Spaltung in zwei Listen. Leider.

War Megret nicht sogar der Wunschnachfolger Le Pens?

Blot: Aber nicht der einzige. In den Medien hat man Megret zum Nachfolger gemacht. Le Pen hat anfangs darauf zurückhaltend reagiert. Mir hat er persönlich noch vor einem Jahr gesagt, daß Megret ein sehr guter Nachfolger wäre – nur müsse er noch etwas zu lernen. Nur hat inzwischen der Schwiegersohn Le Pens, Maréchal, seine Ambitionen angemeldet. Und da dieser täglich mit Le Pen in seinem Haus verkehrt, hatte er dort eine bessere Position. Leider hört Le Pen auf ihn.

Nun tobt ein regelrechter Krieg in der Partei, es ist von Morddrohungen die Rede, man versucht Gegner aus der Partei auszuschließen. Sind Sie zu demokratischen Auseinandersetzungen nicht in der Lage? Bestätigen Sie den Vorwurf, der Front National sei keine demokratische Partei?

Blot: Die Mehrheit der Funktionäre steht hinter Megret. Sie wollen der demokratischen Satzung folgen. Wenn jemand Probleme mit demokratischen Spielregeln hat, dann sind es die Leute im Lager von Le Pen. Aber das Umfeld ist nicht schlimmer als der Vorsitzende selbst – Le Pen ist eine Geisel seiner Familie.

Le Pens Kampf gegen sein politisches Ende erinnert an die Abwahl von Franz Schönhuber 1994 in Deutschland bei den Republikanern. Ist die Entwicklung vergleichbar?

Blot: Es gibt Ähnlichkeiten bei den Auseinandersetzungen. Andererseits ist der Front National seit 15 Jahren in Frankreich fest verankert und ist im Unterschied zu den Republikanern in Deutschland hier nicht mehr aus der politischen Landschaft wegzudenken. Politikwissenschaftler sagen, daß der Front National nicht über Nacht verschwinden kann – er wird vielleicht etwas geschwächt durch eine Spaltung. Die soziologischen Gründe, auf die der Front National baut, bleiben erhalten.

Welche Probleme sind das?

Blot: Die Probleme der inneren Sicherheit, der Einwanderung, die wachsende Steuerlast – deshalb wählen die Menschen den FN und nicht die anderen Parteien. Selbst zwei nationale Parteien werden ihre Wähler im Juni 1999 noch haben und beide über die fünf Prozent kommen – das ist der größte, der quantitative Unterschied zu den Republikanern in Deutschland, die nicht etabliert genug sind.

Ist der Streit im Front National ein Generationenkonflikt zwischen Jung und Alt?

Blot: Das kann man bestätigen: Die Jungen sind eher hinter Megret, die Älteren hinter Le Pen.

 

Yvan Blot ist Deutschlandexperte des Front National; Absolvent der Elite-Hochschule ENA; 1974 bis 1985 Präsident des Club de l’horloge, 1978 Mitarbeiter des Senatspräsidenten Poher, 1979 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees des konservativen RPR, Redenschreiber von Jacques Chirac, seit 1984 enger Mitarbeiter von Charles Pasqua, von 1986 bis 1988 Abgeordneter des RPR in der Nationalversammlung, seit 1989 Europaabgeordneter des Front National und Regionalabgeordneter im Elsaß. Lebt in Straßburg.


 
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