© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Familienpolitik: Die Bilanz der Regierungszeit Helmut Kohls fällt mager aus
Verlorene Jahre für die Familien
Mina Buts

Mehr als 90 Prozent aller Deutschen feiern Weihnachten im Kreise ihrer Familie. Während dies bis weit in die 80er Jahre hinein bedeutete, daß Eltern das Fest mit ihren kleinen Kindern und gegebenenfalls deren Großeltern zusammen begingen, dürfte es in den 90er Jahren immer häufiger zu beobachten sein, daß die Angehörigen der "jüngsten Generationen" 30 Jahre oder weit älter sind. Die demographische Entwicklung verändert das Gesicht auch der Weihnachtszeit.

Mittlerweile bleiben fast 40 Prozent aller deutschen Frauen dauerhaft kinderlos, die Ein-Kind-Familie dominiert, nur etwa 6.000 Familien in Deutschland haben sechs oder mehr Kinder. Ernsthafte Versuche, dieser demographischen Entwicklung entgegenzusteuern oder zumindest ihr Rechnung zu tragen, hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.

Deutschland ist unterdessen schon fast traditionell in der Spitzengruppe der Industrieländer mit den niedrigsten Geburtenziffern zu finden. Gleichzeitig sind Kinder bei uns das "Armutsrisiko Nummer Eins". Längst sind selbst die Interessenvertreter der Rentner nicht allzu schrill in ihren Lamentos über die finanzielle Situation der Senioren, da sich die Situation der kinderreichen Familien erheblich schlechter darstellt.

Als vor 16 Jahren die Christdemokraten die Regierung in der Bundesrepublik übernahmen, war damit auch die Hoffnung auf eine Familienpolitik verbunden, die dem Anspruch gerecht werden könnte, der mit diesem Namen verbunden wird. Nach dem Ende dieser Ära lassen sich jedoch vor allem Versäumnisse und nur wenige ernsthafte Bemühungen bilanzieren. Hatte man sich hinsichtlich der vollmundig verkündeten geistig-moralischen Wende vielleicht tatsächlich ein wenig zu viel vorgenommen, so unterblieben auch pragmatische Korrekturen und Richtungsentscheidungen, die durchaus im Bereich des Möglichen lagen.

Schon unmittelbar nach ihrem Amtsantritt sorgte die Regierung Kohl für Desillusionierung: Eine ihrer ersten Maßnahmen war die massive Reduzierung des Kindergeldes für sogenannte "Besserverdienende". Daß diese Entscheidung zum Ende der Ära Kohl wieder rückgängig gemacht wurde, war keineswegs einem irgendwie gearteten Willen der Christdemokraten zu verdanken. Vielmehr hatte das Bundesverfassungsgericht angemahnt, daß nicht nur Erwachsenen, sondern eben auch den Kindern ein Existenzminimum steuerlich freizustellen sei, eine einkommenabhängige Reduzierung des Kindergeldes somit verfassungswidrig sei.

Kindergeld ist keine Leistung des Staates

Das Kindergeld wurde 1996 von 70 auf 200 Mark, schließlich auf 220 Mark für das jeweils erste Kind einer Familie erhöht. Diese massive Steigerung relativiert sich aber, wenn man berücksichtigt, daß gleichzeitig der Kinderfreibetrag gestrichen wurde bzw. nur alternativ gewährt wird. Man sollte sich davor hüten, die Zahlung des Kindergeldes als Leistung des Staates für seine Kinder zu verstehen: Sie hat keine andere Funktion, als das Existenzminimum zu decken.

Auch bei der Reform des Abtreibungsrechtes, die nach der Wiedervereinigung wegen der unterschiedlichen Rechtslage in beiden Teilen Deutschlands notwendig geworden war, bedurfte es der Nachhilfe durch das Bundesverfassungsgericht. Im Westen Deutschlands war bis dato eine Indikation notwendig, um abtreiben zu dürfen, wobei die "soziale Indikation" längst zum Freibrief für eine kassenfinanzierte Abtreibung geworden war. Im Osten war eine Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt.

Bei den parlamentarischen Beratungen hatte sich ein Gruppenantrag durchgesetzt, der eine "Fristenlösung mit Beratungspflicht" vorsah. Innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen sollte jede Frau, die sich vorher einem Beratungsgespräch unterzogen hatte, abtreiben dürfen: "Voraussetzung für eine Abtreibung ist das Vorliegen einer Not- oder Konfliktlage. Ob eine solche vorliegt, soll letztlich die Frau entscheiden." Als möglichen Anreiz, eine Schwangerschaft doch auszutragen, sollte jedes dreijährige Kind ab dem 1. Januar 1996 einen garantierten Kindergartenplatz erhalten.

Tränenerfüllt vor lauter Freude waren sich die linksliberalen Frauen der CDU in die Arme gefallen, als der Antrag den Bundestag passiert hatte. Doch nach einer Klage des Landes Bayern befand das Bundesverfassungsgericht, daß dem Schutz des ungeborenen Lebens zu wenig Rechnung getragen worden sei. Eine Modifizierung war notwendig, wobei den Christdemokraten 1995 ein zweifelhafter Erfolg gelang: Zwar konnten sie sich mit ihrer Forderung nach einem verbesserten Schutz des ungeborenen gesunden Lebens nicht durchsetzen, dafür schafften sie die embryopathische Indikation, die eine Abtreibung bei einer schwerwiegenden Behinderung des Kindes erlaubt, ab.

Die jetzige Bundesregierung aus SPD und Bündnisgrünen wird sich gar nicht mehr an das heiße Eisen Abtreibung heranwagen müssen: liberaler hätte auch sie es kaum lösen können.

Die Einführung des Erziehungsurlaubs, der 1986 den Mutterschaftsurlaub ablöste, ist wohl die wichtigste familienpolitische Errungenschaft der Regierung Kohl. Allerdings ist auch hier anzumerken, daß sie nicht ganz freiwillig, sondern aufgrund einer EU-Richtlinie erfolgte, die in nationales Recht umgesetzt werden mußte.

Die Erziehenden sind zu 98 Prozent weiblich

Für die Dauer von drei Jahren können Mütter und Väter sich vom Arbeitgeber beurlauben lassen – bei gleichzeitiger Weiterbeschäftigungsgarantie. Sie erhalten dafür einkommensabhängig ein Salär von bis zu 600 Mark im Monat.

Darüber hinaus werden die Erziehungszeiten auf die Rentenversicherung angerechnet: Ein Kind gilt wie drei durchschnittliche Beitragsjahre.

"Das Erziehungsgeld ist eine Anerkennung, an der es bisher gefehlt hat." Allerdings wurden die Einkommensgrenzen im Laufe der Jahre nicht angepaßt, nur noch die Hälfte aller Erziehungsurlauber erhalten ein ungeschmälertes Erziehungsgeld. Auch die Hoffnung, Männer würden vom Angebot des Erziehungsurlaubs Gebrauch machen und somit zu mehr Partnerschaft in der Familie beitragen, trog: Zu etwa 98 Prozent sind die Erziehenden weiblich.

Um den Frauen nach dem Erziehungsurlaub den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, darf nebenher eine Berufstätigkeit beim alten Arbeitgeber von bis zu 19 Stunden in der Woche aufgenommen werden. Das klingt praktikabel, wäre es aber nun dann, wenn auch ein weiteres Problem mitbedacht worden wäre: Wer soll auf das Kind aufpassen, wenn die Mutter nicht da ist?

Betreuungsangebote für Kinder unter drei sind Mangelware. Für die wenigen Hortplätze gibt es monate- und jahrelange Warteschlangen. Private Tagesmütter wären eine Alternative, doch sind sie kaum bezahlbar, schon gar nicht, wenn mehr als ein Kind betreut werden muß. Etwa die Hälfte des Nettoverdienstes einer wieder berufstätigen Mutter muß für die private Betreuung veranschlagt werden. In Spitzengegenden zahlt man bis zu 1.500 Mark monatlich für die Betreuung eines Kindes, von einem zweiten ganz zu schweigen.

Während Fahrten zum Arbeitsplatz als berufsbedingte Sonderausgaben steuerlich geltend gemacht werden können, gilt dies für die Kinderbetreuung nicht. Lediglich Alleinstehende können die Kinderbetreuung absetzen, sie erhalten in aller Regel auch einen Zuschuß zu den Betreuungskosten vom Jugendamt.

Übermittagsbetreuung in Kindergärten und Schulen ist immer noch eine Seltenheit, eine Berufstätigkeit beider Elternteile daher oft schon aus organisatorischen Gründen ausgeschlossen. Solange sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie so darstellt, ist es nicht verwunderlich, daß immer mehr Frauen auf Kinder verzichten.

Eine zukunftsweisende Familienpolitik müßte eine ehrliche Wahlfreiheit zwischen der häuslichen Erziehungsarbeit und der zusätzlichen Erwerbsarbeit lassen und die Rahmenbedingungen für beides verbessern. Die Aufwertung der Erziehungsarbeit könnte zum Beispiel durch die Einführung eines einkommenunabhängigen Erziehungsgehaltes erfolgen, wie es der "Deutsche Arbeiterkreis für Familienhilfe" zu Beginn diees Jahres vorschlug. Allen Müttern oder Vätern, die sich ausschließlich der Kindererziehung widmen, sollte ein Gehalt von mindestens 2.000 Mark monatlich gezahlt werden. Damit würde nicht nur die Erziehungsarbeit gewürdigt, sondern vor allem die wirtschaftlichen Belastungen der Familie gemildert und auf alle Einkommensbezieher verteilt.

Damit Frauen trotz ihrer Kinder einer Berufstätigkeit nachkommen können, müßten die Kinderbetreuungsmöglichkeiten massiv ausgeweitet werden. Das Land Schleswig-Holstein ist beispielsweise mit einem Modellprojekt vorangegangen, bei dem Tagesmütter ausgebildet werden, ein festes, sozialversicherungspflichtiges Monatsgehalt bekommen und dafür bis zu fünf Kinder betreuen. Der Elternsatz an die Tagesmutter ist festgelegt und damit eingedämmt.

Kein Tabu sollte sein, zu überlegen, ob das Ehegattensplitting noch zeitgemäß ist. Wenn mehr als 40 Prozent aller Ehen dauerhaft kinderlos bleiben, wenn gleichgeschlechtliche Paare in immer mehr Lebensbereichen einen eheähnlichen Status erhalten, stellt sich die Frage, warum die Ehe noch besonders geschützt werden soll. Die Lockerung des Zusammenhanges von Ehe und Familie in der Praxis sollte auch steuerrechtlich nachvollzogen werden.


 
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