© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
John Steinbeck: Zur Erinnerung an den vor 30 Jahren verstorbenen US-Autor
Mehrdeutige menschliche Motive
Werner Olles

John (Ernst) Steinbeck wurde am 27. Februar 1902 im kalifornischen Salinas geboren. Der Vater war Schatzmeister einer nahegelegenen Kleinstadt, die Mutter Lehrerin. Steinbeck studierte zunächst Naturwissenschaften, speziell Meeresbiologie, zwischendurch arbeitete er in den verschiedensten Berufen. So war er für kurze Zeit in New York als Journalist tätig, dann jedoch wieder als Gelegenheitsarbeiter in Kalifornien. Besonders hier im fruchtbaren Salinas-Tal – auch die "Salatschüssel" Amerikas genannt – lernte er das Schicksal der modernen Wanderarbeiter kennen, deren trauriges Los ihn zu vielen seiner besten und größten Romane inspirierte.

Vor allem die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die Große Depression der dreißiger Jahre, lieferte den anschaulichen und bewegenden Stoff für seinen erfolgreichen Erstlingsroman "Tortilla Flat" (1935; dt. "Die wunderlichen Schelme von Tortilla Flat"). Es folgten eine Sammlung von Erzählungen "The Pastures of Heaven" (dt. "Das Tal des Heimwehs"), in der der Autor eine romantische Pastorale über eine Handvoll verpfuschter Existenzen in einem stillen, friedlichen Tal Südkaliforniens entwirft und der Roman "To a God Unknown" (dt. "Der fremde Gott"), hier verherrlicht er sehr bezeichnend das Leben im Sinne von Zeugung, Geburt, Entwicklung und Tod.

Bei der Stoffsammlung für seine Bücher durchquert Steinbeck die Vereinigten Staaten mit einem "Rocinante" – nach Don Quichottes Pferd – genannten Klein-Laster. Die Eindrücke, die er hierbei sammelt, schilderte er 1936 in seinem Roman "Dubious Battle" (dt. "Stürmische Ernte"), in dem es um einen Streik in den kalifornischen Apfelplantagen geht. Zwar macht der Autor seinen humanistischen Standpunkt am Beispiel des harten Lebens des kalifornischen Landarbeiterproletariats eindeutig klar, letztlich erscheinen aber die Streikenden weniger als edle Ritter einer proletarischen Tafelrunde wie noch in "Tortilla Flat", sondern eher als bedauernswerte Opfer eines gnadenlosen Machtkampfes zwischen ausbeuterischen Plantagenbesitzern und politisch taktierenden Gewerkschaftsfunktionären.

Steinbeck zählt inzwischen zu den hervorragendsten Vertretern der sogenannten Primitivisten-Tradition von Schriftstellern wie D.H.Lawrence und Sherwood Anderson. Allerdings teilt er deren verworrene Gesellschaftstheorien und ihren sentimental-doktrinären Primitivismus nicht, seine Zeichnungen des Schicksals der im Leben gescheiterten kleinen Leute und ihr im Arbeitsmechanismus ersticktes Dasein endet bei ihm nicht zwangsweise in der Verkümmerung der menschlichen Existenz, sondern eher auf der Suche nach der eigenen Identität und vitalistischen Augenblicksbildern.

In dem kurzen Roman "Of Mice and Men" (1937, dt. "Von Mausen und Menschen") beschreibt der Autor die Tragödie zweier einsamer Saisonarbeiter. 1939 erscheint sein wohl bestes Buch, das auch von der Literaturkritik gewürdigt wird und ihm kurz nach Erscheinen den Pulitzer-Preis einbringt: "The Grapes of Wrath" (dt. "Die Früchte des Zorns"). Die Irrfahrt ruinierter Kleinbauern aus Oklahoma nach dem eingebildeten illusorischen Paradies Kaliforniens und ihren zermürbenden Kampf um das nackte Leben schildert Steinbeck mit einer Eindringlichkeit, Aufgeschlossenheit und Liebe zu seinen vom Schicksal gebeutelten Mitmenschen, die ihresgleichen sucht.

Im Mittelpunkt des Romans steht die zwölfköpfige Familie Joad, die miterleben muß, wie skrupellose Großgrundbesitzer weite Strecken des fruchtbaren Landes in Kalifornien brachliegen lassen, um die Preise stabil zu halten, während über sie selbst – als Streikbrecher eingepfercht in Lagern, gehaßt von den ansässigen Arbeitern und verachtet von den Wohlhabenden und den Staatsorganen – Hunger und Krankheit hereinbrechen. Steinbecks Geschichte der Wanderarbeiter aus Oklahoma ist eine der nachdrücklichsten Anklagen gegen eine Gesellschaft der anonymen Geld- und Ordnungsmächte, die den Unterprivilegierten keine Chance gibt, sondern sie ihrer sozialen Auswegslosigkeit und letztlich dem Hungertod überläßt. Die letzten Zeilen von "Früchte des Zorns" gehören zum bewegendsten, was die amerikanische Literatur jener Jahre hervorgebracht hat.

Während Steinbeck mit diesem Buch ein großes episches Thema adäquat erfaßte, und damit weit über die aktuelle Gesellschaftskritik hinausging, wurden seine nächsten Romane von der Kritik weit ungünstiger aufgenommen. Erst mit "Cannery Row" (1945, dt. "Die Straße der Ölsardinen") gelang ihm wieder ein großer Wurf, der aber von "East of Eden" (1952, dt. "Jenseits von Eden") noch weit übertroffen wurde.

Dieses seit "Früchte des Zorns" anspruchsvollste Werk des Autors ist eine figurenreiche, über drei Generationen gehende Familiengeschichte, die wieder in Steinbecks Heimatort Salinas angesiedelt ist. Das Grundproblem ist das des Bosen, das oft einem abgewiesenen und enttäuschten Liebesbedürfnis entstammt. Aber einem scheinbaren Zwang Böses zu tun, tritt auch immer der Gedanke der Entscheidungsmöglichkeiten zwischen Gut und Böse entgegen.

1955 von Elia Kazan kongenial verfilmt mit dem legendären James Dean in seiner ersten großen Rolle als Caleb, beschreibt Steinbeck in "Jenseits von Eden" auch die Fähigkeit des Einzelnen, sich von seinen dunklen Seiten zu distanzieren und zum wahren Menschentum zu finden. So findet Caleb, der vom Vater zurückgestoßene und verlorene Sohn in einem versöhnlichen Ende schließlich doch noch die Liebe seines Vaters. Starkes Formbewußtsein und eine für den Schriftsteller typische Unmittelbarkeit des Gefühlsausdrucks ließen den Roman zu einem der meistgelesenen Bücher der frühen fünfziger Jahre werden. Nie zuvor war die Ohnmacht des sündigen Menschen und das Chaos menschlicher Leidenschaften und Verirrungen, die dennoch der göttlichen Gnade zuteil werden, derart dramatisch und spannungsvoll thematisiert worden. In der mitfühlenden Beschreibung des jungen Cal, der aus Haß und Eifersucht seinen eigenen Bruder in den fast sicheren Tod gehen läßt, wird die ganze Mehrdeutigkeit der menschlichen Handlungen, Empfindungen und Motive sichtbar, die Steinbecks besten Werken zugrunde liegen.

Mit "Sweet Thursday", (1954, dt. "Wonniger Donnerstag") und "The Short Rain of Pippin IV") (1956, dt. "Laßt uns König spielen"), einem eher satirischen Buch, konnte der Autor zwar nicht mehr an diesen Erfolg anknüpfen, aber seine literarischen Klassiker machen John Steinbeck bis heute zu einem der bekanntesten und beliebtesten amerikanischen Autoren.

In den sechziger Jahren begann der Schriftsteller sich politisch zu wandeln. Wurde er früher, hauptsächlich wegen seiner auf die Not und bittere Armut der Wanderarbeiter aufmerksam machenden Romane, eher zur kulturellen Linken unter den amerikanischen Romanciers gezählt, engagierte er sich jetzt unter dem Eindruck des Vietnam-Krieges und der weltweiten Proteste dagegen, als glühender Patriot und Konservativer. Er distanzierte sich von den demonstrierenden Studenten und Intellektuellen, deren Happenings er als lächerlich empfand. Seine Abrechnung mit den kalifornischen Hippies, die durch sein geliebtes Salinas zogen, war bereits stark von depressiv anmutenden Formulierungen geprägt. Die Zerstörung der bürgerlichen Ordnung, der Moral, der Familie und des Staates, und die Ersetzung der sozialen Bindungen durch eine liberal-libertäre Ideologie hat Steinbeck nur noch negativ kommentiert. Nichts verband diesen wahren Humanisten, der noch 1962 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, mit den revoltierenden Wohlstandskindern der sechziger Jahre.

Im Alter von 66 Jahren starb John Steinbeck – fern von Salinas – am 22. Dezember 1968, zu ener Zeit, als Ressentiment, Haß und Gewalt der oppositionellen Subkulturen ihren Höhepunkt feierten, im kalten New York. Die apokalyptischen Zeichen der aufgehenden neuen Barbarei hatte der Dichter von einem klaren christlich humanistischen Standpunkt aus noch gedeutet, indem er dazu aufrief, die positiven Werte des Lebens zu verteidigen und gegen die Schrecken der Vermassung die lebensvolle Klassik und Tradition des amerikanischen Optimismus zu setzen.


 
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