© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Schleswig-Holstein: Die Landtagswahlen im Februar werfen ihre Schatten voraus
In Berlin warten höhere Weihen
Jochen Arp

In knapp sieben Wochen, am 27. Februar 2000, findet in Schleswig-Holstein die erste Landtagswahl nach Bekanntwerden der zahlreichen Affären der beiden großen Parteien statt. Sie könnte erweisen, ob durch die Skandale die politische Großwetterlage in Deutschland umgeschlagen ist.

Nachdem bei der Landtagswahl 1996 die bis dahin mit absoluter Mehrheit regierende SPD über sechs Prozent der Wähler verloren hatte und damit gezwungen war, mit den zum ersten Mal ins Kieler Landeshaus eingezogenen Grünen eine Koalitionsregierung zu bilden, ist der nach der Barschel-Pfeiffer-Affäre aufpolierte Glanz der SPD erheblich gedunkelt. Heide Simonis, die einzige Ministerpräsidentin in der Bundesrepublik, ist zwar immer noch gut für einen Jargon, der zwischen gewollter Jugendlichkeit und angenommenem Schein-Proletarier-Ton schwankt, doch hatte sie in der letzten Zeit deutlich Anzeichen von Ermüdung, auch wohl aus Enttäuschung, daß Schröder sie nicht ins Bundeskabinett geholt hatte, erkennen lassen. Zudem hat sich erwiesen, daß ihre Landespolitik in wichtigen Zügen, soweit sie sich von bisherigen Landesregierungen unterschied, keineswegs so erfolgreich war, wie sie es angekündigt hatte. Die immer wieder propagierte Verschlankung des Verwaltungsapparates brachte nicht viel. Es fällt auf, daß in früheren Landeskabinetten jeder Minister über einen persönlichen Referenten und manche noch über einen Pressesprecher verfügten, während bei Heide Simonis jedem Minister ein ganzes Ministerbüro zugeordnet ist mit bis zu acht Mitarbeitern. Gewisse Lieblingsbereiche wurden aufgebläht. So wurde eine ganz neue Energiewirtschaftsabteilung geschaffen, von der keiner recht weiß, was sie eigentlich gebracht hat, außer daß Arbeitsplätze entstanden, die in den meisten Fällen politischen Freunden der SPD oder der Grünen offenstanden.

Eine Eigenart der Landesregierung ist die erstaunliche Zahl von Beauftragten, die ernannt werden, wenn offenbar der Ministerialbürokratie und den Landtagsausschlüssen nicht zugetraut wird, die jeweiligen Probleme fach- und sachgerecht zu betreuen. So gibt es in Schleswig-Holstein nicht nur einen Grenzlandbeauftragten für Minderheitenfragen, sondern auch Beauftrage für Behinderte, für Sekten, für Bürger im allgemeinen, für Datenschutz, für Schwule und Lesben und schließlich für Ausländer. Sie kosten insgesamt über 4,5 Millionen Mark Steuergelder. Den Roten und Grünen steht eine CDU gegenüber, die sich nur schwer erholen konnte sowohl von der Barschel-Pfeiffer-Affäre als auch von ihrem Übervater Stoltenberg, der neben sich – bis auf Uwe Barschel – keine allzu selbständigen Köpfe hochkommen ließ. Immerhin hatten die Christdemokraten schon bei der letzten Wahl ihr Tief zu einem Gutteil überwunden und waren bis auf 2,6 Prozent an die SPD herangerückt, nachdem der Abstand im Jahre 1992 noch über zwölf Prozent betrug.

Die schleswig-holsteinische CDU galt immer als in ihren Grundzügen konservativ, wenn auch nach der Barschel-Pfeiffer-Affäre gewisse linksliberale Tendenzen erkennbar wurden, die sich vor allem in der Landtagsfraktion durchzusetzen versuchten. Trotzdem wählte die Nord-CDU noch im Frühjahr 1997 einen betont konservativen Landesvorsitzenden, nämlich den früheren Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Kurt Würzbach, der auch alsbald deutlich konservative Richtlinien für seinen Landesverband verkündete.

Das forderte sofort die Kritik der meisten schleswig-holsteinischen Zeitungen heraus wie auch der linksliberalen schleswig-holsteinischen FDP. Sie mäkelten im Einvernehmen mit den liberalen Teilen der CDU-Landtagsfraktion an Würzbach und den von ihm auf interessante Posten gebrachten gleichgesinnten Leuten herum, so daß der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki, schließlich unverhohlen fordern konnte, die CDU möge für die Landtagswahl 2000 einen liberal gesinnten Spitzenkandidaten präsentieren, wenn sie Wert lege auf die FDP als Koalitionspartner. Dabei schielen er und einige Gesinnungsfreunde der CDU-Fraktion nicht nur nach Volker Rühe, der als Verteidigungsminister arbeitlos geworden war, aber als Macher galt, sondern sie intrigierten auch gegen ihren Landesvorsitzenden. Der gab sich manche Schwäche und zeigte sich der Situation nicht gewachsen, so daß die Landtagsfraktion an ihm vorbei und in Übereinstimmung mit der FDP und den schicken Linken in den Zeitungsredaktionen Rühe tatsächlich aus Hamburg-Harburg nach Schleswig-Holstein holte und ihn zum Ministerpräsidentenkandidaten wählen ließ.

Mit harter Hand drehte Rühe den Grundkurs der CDU um. Das von ihm maßgeblich bestimmte CDU-Programm weist dann auch keine Ziele mehr auf, die man konservativ nennen könnte. Noch vor der Bundes-CDU hat Rühe den schleswig-holsteinischen Christdemokraten ein neues Familienbild aufs Auge gedrückt, indem die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften angestrebt wird. Abgerückt ist die CDU von ihrer bisherigen Forderung nach Abschaffung der Gesamtschulen. Ein Antrag der Jungen Union auf dem letzten Landesparteitag, schrittweise die Gesamtschulen abzuschaffen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Dafür aber soll geprüft werden, ob an den schleswig-holsteinischen Schulen in Zukunft deutschsprachiger Islam-Unterricht eingeführt wird. Auch will man die Abgabe von Heroin an nicht mehr heilbare Süchtige legalisieren. So bestätigte die CDU eine Schlagzeile der Zeitung Die Woche: "Die CDU wird der SPD immer ähnlicher".

Während noch vor zwei Monaten alle Welt der Überzeugung war, daß es der CDU gelingen werde, Heide Simonis vom Ministerpräsidentensessel zu kippen, so hat sich in den letzten zwei Wochen angesichts der Finanzskandale der Bundes-CDU die Lage grundlegend verändert. Ein Beleg dafür ist das für die CDU enttäuschende Ergebnis der Bürgermeisterwahl in Lübeck. Auch hier konnte die CDU vor den Affären in dem Befragungen einen erheblichen Stimmenvorsprung vor dem SPD-Kandidaten registrieren, der aber rapido dahinschmolz, bis am 19. Dezember die SPD siegte.

Mitte Dezember ermittelten die Meinungsforscher für die CDU nur noch einen Stimmenvorsprung von einem Prozent. Für einen Regierungswechsel in Kiel wird auch die FDP benötigt, doch die balanciert bei Befragungen um die fünf Prozent. Ähnlich ergeht es allerdings auch den Grünen. Hinzu kommt, daß 46 Prozent der Bevölkerung zufrieden sind mit den Leistungen der jetzigen Landesregierung und nur 25 Prozent die Meinung vertreten, die CDU könnte es besser machen.

Schafft die CDU den Sprung in die Landesregierung nicht, dann ist zu erwarten, daß der Spitzenkandidat Volker Rühe sich aus Schleswig-Holstein verabschiedet und nach Berlin geht, wo – wie er hofft – bedeutendere Aufgaben auf ihn warten. Er hinterläßt den schleswig-holsteinischen Landesverband, nachdem er dessen Landesvorsitzenden demoniert hat, als Trümmerhaufen.

Ganz trübe sieht es für die Parteien auf dem rechten Flügel aus. Freys DVU mußte auf Befehl der Münchener Zentrale auf die Teilnahme verzichten, weil nach fundierter Einschätzung die eingesetzten Wahlkampfgelder in keinem vernünftigen Verhältnis zum mickerigen Wahlergebnis stünden. Die Republikaner, die seit Jahren in Schleswig-Holstein durch Abwesenheit glänzen, haben fünfmal Anläufe genommen, die notwendige Anzahl von Mitgliedern zu versammeln, die über eine Wahlbeteiligung entscheiden können. Es ist ihnen fünfmal nicht gelungen, was zur Folge hatte, daß gegen mehrere leitende Repubilkaner-Mitglieder Ausschlußverfahren eingeleitet wurde. Geschafft hat es allerdings die NPD unter ihrem Landesvorsitzenden Ingo Stawitz, der früher die DVU-Fraktion im Kieler Landtag leitete, sich dann mit Frey überwarf und nun sein Organisationstalent einsetzte, um die notwendigen Unterstützungsunterschriften für die NPD zu sammeln.

Der Ausgang der Wahl ist offen. Er hängt ab von der Entwicklung der Affären und Skandale. Doch auch ein Wechsel dürfte nur einen Austausch von Personen mit sich bringen, nicht aber eine in Grundzügen veränderte Landespolitik.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen