© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Arbeitnehmer: Die DGB-Gewerkschaften vor ihrer größten Fusionswelle
"ver.di" bittet zum Tanz
Werner Olles

Die erste Fusionswelle beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) begann bereits vor zehn Jahren. 1989 wurde die Industriegewerkschaft Medien-Druck und Papier, Publizistik und Kunst (IG Medien) aus der Taufe gehoben. Die bislang eigenständigen Organisationen IG Druck und Papier, die Gewerkschaft Kunst und die Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) sind allein nicht mehr lebensfähig gewesen. 1997/98 fusionierten die IG Chemie, Papier und Keramik, die IG Bergbau und Energie und die Gewerkschaft Leder zur IG Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE). 1998 schluckte die IG Metall als größte Einzelgewerkschaft des DGB die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK), die kleinste im DGB. Zuvor hatte sie sich die Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB) mit über 210.000 Mitgliedern und einem Vermögen von 140 Millionen Mark einverleibt. Bereits Anfang 1996 hatte sich die IG Bau,Steine,Erden (IGBSE) mit der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft zur IG Bauen, Agrar und Umwelt (IG BAU) zusammengeschlossen.

In den DGB-Gewerkschaften ist seitdem das Hauen und Stechen ausgebrochen, denn in dem ganzen Fusionsgerangel wurden auch durchaus rüde Methoden angewendet, um mißliebige Konkurrenten auszuschalten oder gar durch kollegiale Umarmung zu ersticken. So hatte zum Beispiel die IG Chemie auch bei den Funktionären der Textilgewerkschaft angeklopft, allerdings prompt einen Korb erhalten, genauso war es der IG Bau mit der Holzgewerkschaft ergangen. Hinter vorgehaltener Hand war der Grund für deren Fusionsentscheidung jedoch nicht zu überhören: Bei der mächtigen IG Metall bekommen die Funktionäre die höchsten Gehälter und Pensionen.

Die Fusionen sind Ausdruck des Wandlungsprozesses

Die bisherigen Fusionswellen waren nicht nur sichtbarer Ausdruck eines grundlegenden Wandlungsprozesses der Gewerkschaften, sondern auch eines recht weit fortgeschrittenen Fäulnisprozesses der Gewerkschaftsbürokratie, denn die Fusionsentscheidungen wurden bislang allein von einer kleinen Schicht ausgewählter Spitzenfunktionäre beschlossen. Während die Zahl der Funktionäre ständig ausgeweitet wurde, waren die Gewerkschaftsangestellten ständig von Rationalisierungsmaßnahmen und Personalabbau bedroht. Gleichzeitig entfernten sich die bürokratischen Apparate immer weiter von den einfachen Mitgliedern. Nach den Skandalen um die gewerkschaftseigene Neue Heimat, die Bank für Gemeinwirtschaft, der Volkswohl-Versicherung und die Gewerkschaftholding BGAG wurde vielen Mitgliedern klar, wie stark verbreitet die Korruption in den Chefetagen der DGB-Gewerkschaften ist. Eine Antwort der Einzelgewerkschaftschefs auf die zahlreichen Austritte war die Entscheidung zur Bildung einer Mega-Gewerkschaft aus ÖTV (Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), IG Medien, HBV (Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen), DPG (Deutsche Postgewerkschaft), GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) und DAG (Deutsche Angestellten Gewerkschaft), die als Standesgewerkschaft seit fünfzig Jahren außerhalb des DGB agierte. Zunächst erfolgte im Juli 1998 der Rückzieher der GEW, die befürchtete, durch den rein pragmatischen Zusammenschluß als weit links operierende Bildungsgewerkschaft ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu verlieren. Zudem beurteilten die GEW-Funktionäre den künstlich beschleunigten Prozeß der Entscheidungsfindung sehr skeptisch.

Die übriggebliebenen fünf Gewerkschaften betrachteten jedoch eine organisationspolitische Erneuerung ihrer Verbände aufgrund der angezeigten Veränderung der internationalen Vernetzung und Expansion der die nationalen Volkswirtschaften beherrschenden global agierenden Konzerne für dringend notwendig. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sollte auf der einen Seite den seit langem angeschlagenen DGB-Dachverband stärken und andererseits zu mehr Kampf- und Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften führen. Daß dies bei einigen Gewerkschaften, zum Beispiel bei der stark linkslastigen IG Medien, zu gewissen Identitätsproblemen führen würde, war zwar abzusehen, aber der Zwang, dem stetigen Mitgliederschwund, der wachsenden Bedeutung der Dienstleistungsbranchen, der abnehmenden Bereitschaft zur kollektiven Organisierung, den negativen Mitgliedersalden und dem weitgehenden Verlust einer gesellschaftlichen Utopie zu begegnen, obsiegte schließlich. Dennoch herrschte Ende November auf dem Außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Medien in Kassel eher eine gedämpfte Stimmung, und von einem Aufbruch war nur wenig zu spüren. Der Vorsitzende Detlef Hensche konnte die lustlos geführte Debatte nicht anheizen.

Trauer über das baldige Ende herrscht vor

Auch bei der DAG in Magdeburg überwog auf ihrem außerordentlichen Kongreß letztlich die Trauer über ihr baldiges Ende als eigenständige Organisation die Euphorie über den neuen Anfang im Jahre 2001 in der ver.di, und dies obwohl der Vorsitzende Roland Issen die historische Dimension skizzierte, daß mit der Eingliederung in den DGB nun endlich eine Spaltung rückgängig gemacht werde, die Ende der vierziger Jahre mit der Gründung der DAG außerhalb des DGB eingetreten sei. Während die HBV-Vorsitzende Margret Mönig-Raane in Würzburg ein forsches Abstimmungstempo vorgab, wäre es bei der ÖTV in Dortmund fast zu einem Eklat gekommen. Dem Bezirk Nordrhein-Westfalen fehlten gerade einmal zwei der 548 Stimmen, um das geplante Fusionsprojekt zurückzuweisen. Aber es gelang dem Vorsitzenden Herbert Mai schließlich doch noch, die Ängste der Delegierten vor einem drohenden Macht- und Identitätsverlust in der Mammutorganisation ver.di mit 3,2 Millionen Mitgliedern und über tausend verschiedenen Berufen zu mildern. In Frankfurt am Main bezeichnete der Vorsitzende der DPG, Kurt van Haaren, das anvisierte Gebilde als ein "Jahrhundertwerk voller Faszination", denn mehr als siebzig Prozent aller Arbeitnehmer würden zukünftig in der Dienstleistungsbranche arbeiten, wobei sich die bestehenden Strukturen als ungeeignet erwiesen hätten, um auf die anstehenden Veränderungen eine neue Antwort zu finden. Daher müßten die Gewerkschaften dort ihre Kräfte bündeln.

Die Delegierten aller fünf Dienstleistungsgewerkschaften stimmten schließlich mit großer Mehrheit für das Grundsatzpapier der geplanten Großgewerkschaft, die Notwendigkeit der Fusion wurde nur von Minderheiten in Frage gestellt. Alle beteiligten Gewerkschaften werden Mitglied in der ver.di-Vorläuferorganisation und zunächst in eingetragene Vereine umgewandelt. Dies ist die Voraussetzung dafür, daß bei der kommenden Vereinigung die in den jeweiligen Branchen ausgehandelten Tarifverträge weiterhin gültig bleiben und nicht noch einmal verhandelt werden müssen. Am heftigsten wurde in der "linken Speerspitze" IG Medien diskutiert, wo hessische Delegierte über eine "übergestülpte Zwangsjacke" schimpften und IG Medien-Chef Hensche erklärte, daß man sich nicht um jeden Preis der neuen Gewerkschaftsvereinigung anschließen werde.

Das Rennen um den Vorsitz von ver.di wird wohl zwischen dem ÖTV-Boß Mai und der HBV-Vorsitzenden Mönig-Raane entschieden werden, da die Vorsitzenden der drei anderen Gewerkschaften aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung stehen dürften. Und da die ÖTV mit knapp 1,6 Millionen Mitgliedern gegenüber der HBV mit gerade mal 470.000 Mitgliedern klar den größeren Anteil einbringt, wird auch dieses Problem bald keines mehr sein. Dennoch müssen bis zum Gründungskongreß im Frühjahr 2001 noch wesentliche Fragestellungen geklärt werden, bei denen es wohl vor allem um die Machtverteilung und künftige Einflußsphären innerhalb von ver.di gehen wird. Dabei geht es einerseits um die Machtgelüste von Bezirksfürsten, aber auch um die Befürchtung der kleineren Gewerkschaften, die allzu übermächtige ÖTV wolle die insgesamt dreizehn Fachbereiche von ver.di nicht autonom agieren lassen, sondern statt dessen die Regionalgliederungen finanziell bevorzugen. Außerdem sehen sich insbesondere die IG Medien und die HBV als linke Kampforganisationen, die sich nicht unter die eher moderaten und gemäßigten DAG und ÖTV unterordnen wollen. All diese Schwierigkeiten machen deutlich, daß die zur endgültigen Gründung erforderlichen Mehrheiten von bis zu achtzig Prozent bei den Urabstimmungen aller fünf Gewerkschaften noch lange nicht unter Dach und Fach sind.

Innerhalb des DGB würde die knapp drei Millionen Mitglieder starke IG Metall auf den zweiten Platz zurückfallen. Daher kommen von hier bereits die ersten Drohgebärden: die ver.di möge sich aus den Erbhöfen der IG Metall heraushalten, dürfe nicht in das Mitgliederreservoir von IG Metall eindringen und vor allem nicht den Anspruch erheben, alleinige Dienstleistungsgewerkschaft zu sein. Einigermaßen unlogisch erscheint in diesem Zusammenhang, warum die übrigen Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED), die innerhalb des DGB beide dem eher traditionalistischen und weniger linkslastigen Flügel um die IG Chemie zuneigen, nicht mit in das gemeinsame Boot gebeten wurden. Das Hauen und Stechen dürfte also weitergehen, wahrscheinlich in noch weit größeren Dimensionen als bisher. Und Hartmut Limbeck, ÖTV-Bezirksleiter von NRW II, der die Fusion fast hätte scheitern lassen, sieht in ver.di nicht den "Tarzan im kapitalistischen Dschungel", sondern schon jetzt eher einen "Papiertiger", der gerade wegen der anvisierten 3,2 Mitglieder instabil sei und ständiger Stütze bedürfe.


 
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