© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Ausstellung: Der Bildhauer Otto Herbert Hajek in Stuttgart
Die Bank als Kunstform
Rüdiger Ruhnau

Bis zum 28. Januar 2000 ist in Stuttgart noch eine Ausstellung des Bildhauers Otto Herbert Hajek zu sehen. Anläßlich des 100jährigen Firmenjubiläums erfüllte sich die Sparda-Bank Baden-Württemberg den Wunsch, ihren vor fünf Jahren erstellten großzügigen Neubau mit künstlerischen Werken Hajeks innen und außen zu schmücken. Der international hoch geachtete Raumkünstler, dessen plastische Arbeiten an vielen Orten der Welt stehen, hatte in seinen Entwürfen freie Hand. Der Mäzen machte, was nicht gerade häufig vorkommt, keinerlei Auflagen für die kreative Gestaltung.

Hajek ist ein Mann von großem Ideenreichtum, dabei steht sein bildhauerisches Œuvre gleichrangig neben dem malerischen Werk. Für die Bank als Kunstform bedeutete dies, daß er die moderne Innenarchitektur der Schalterhalle mit ihren lichtdurchfluteten Durchgängen mit Bildern ausschmückte, während die etwas eintönige Außenfassade des Gebäudes mit Hilfe von plastischen Raumzeichen aufzulockern war. Von den fünf geplanten monumentalen Plastiken rings um das Bankgebäude sind erst zwei realisiert worden. Das "Wegezeichen 1", eine elf Meter hohe Bronzeskulptur, besteht aus einem leicht geneigten rechteckigen Pfeiler, auf dem, schräg aufgesetzt, eine an beiden Enden angeschnittene Säule ruht. Das Ganze ist dekorativ mit kräftigen Rot-, Gold- und Blautönen angemalt und weist auf den Eingangsbereich der Bank, der nach dem künstlerischen Gesamtkonzept durch zwei weitere Wegezeichen akzentuiert werden soll.

Am nördlichen Ende der Sparda-Bank erheben sich vor dem Eingang drei riesige, merkwürdig gezackte Stahlsäulen in den Himmel, als "Wegezeichen 4" bezeichnet. Die Buntheit der 16 Meter hohen Platzmale verleiht dem tristen Aussehen der Straßenfront ein freundlicheres Gesicht.

Otto Herbert Hajek, der wie kaum ein anderer Künstler seine Platzzeichen in die Öffentlichkeit stellt, wurde 1927 im Sudetenland geboren. Als Heimatvertriebener kam er in den vierziger Jahren nach Stuttgart, wo er an der staatlichen Akademie Bildhauerei studierte. In dieser Zeit entstanden gegenständliche und abstrakte Arbeiten. In den fünfziger Jahren nannte er seine Bronzeplastiken "Raumknoten", sie waren auf der Weltausstellung in Brüssel zu sehen. An der Biennale in Venedig 1959 nahm er als jüngster Bildhauer teil und stellte im gleichen Jahr erstmals während der documenta in Kassel aus. Mit seinem Beitrag für die documenta III 1964 gelang Hajek der endgültige internationale Durchbruch: Er schuf ein begehbares räumliches Ensemble aus sechs Betonelementen mit farbigen Streifen überzogen, sogenannten Farbwegen, was ihm den Spott der deutschen Presse eintrug. Diese neuartige Form des Künstlerlebens, heute als Environments allgemein anerkannt, bestimmte fortan seine Auftragsarbeiten.

In den Räumen der Sparda-Bank werden auch großformatige Ölbilder und Graphiken Hajeks präsentiert. In seinen malerischen Ausflügen bleiben die Bilder ohne figürlichen Bezug, allein die Leuchtkraft der Farben verleiht ihnen eine expressive Wirkung. Angelehnt an die russischen Konstruktivisten Malewitsch und El Lissitzky erobern Hajeks Balken, Scheiben, Dreiecke die Weite eines imaginären Raumes. Seine abstrakten Konstruktionen heißen beispielsweise "Farbwege durchdringen den Raum", die den Eindruck einer ausholenden Dynamik vermitteln. Schon die Meister des Bauhauses verwendeten diese streng geometrische Formensprache in der Typographie und in der Plakatkunst.

Zahlreiche Zeichnungen in Tusche oder Buntstift veranschaulichen in der Ausstellung das intensive Ringen des Künstlers um die adäquate Formgebung. Die Vielfalt seiner erprobten Farbvariationen läßt die Entstehungsgeschichte von Werken bis zur endgültigen Entscheidung mitverfolgen. Hajeks Anliegen, Kunst in die Architektur zu integrieren, fand seine Konkretisierung im australischen Adelaide ebenso wie im städtischen Mineralbad der schwäbischen Landeshauptstadt, wo er 1980 den Auftrag erhielt, die künstlerische Gestaltung des Leuzebades zu übernehmen. Ein Gesamtkonzept zu schaffen, einen "Farbformenkosmos" im plastischen und malerischen Bereich, das kommt den Wünschen und Vorstellungen des sudetendeutschen Bildhauers am nächsten. Und so entwickelte er in enger Zusammenarbeit mit den Architekten farbige Beton-Reliefwände, plastische Elemente aus Stahlbeton und in Naturstein gestaltete Farbwege, die bis in die Wasserbecken reichen.

O. H. Hajek gehört zu den engagierten Zunftgenossen, er will nicht nur gestalten, er möchte auf die Menschen einwirken, will sie verändern. Als Vorsitzender des Deutschen Künstlerbundes (1972–1979) vertrat er die deutsche Kunstszene bei zahlreichen offiziellen Tagungen. Ehrungen blieben nicht aus. Für seine Bemühungen um die zeitgemäße Kunst im Kirchenraum verlieh ihm die Katholische Theologische Fakultät der Universität Tübingen 1978 die Ehrenpromotion. Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe ernannte ihn zum Professor, und die Stadt Stuttgart überreichte ihm die Bürgermedaille.

Wägt man Hajeks bildhauerisches Schaffen gegenüber seinem malerischen Werk ab, dann gehört die größere Anerkennung den zweidimensionalen Kunstwerden. Die großflächige geometrische Farbornamentik ist zweifellos seine herausragende Stärke. Schon im kommenden Frühjahr plant Bonn, den ambivalenten Künstler mit einer umfangreichen Retrospektive zu ehren. Titel der Ausstellung: Eine Welt der Zeichen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen