© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Parteien: Machthierarchien müssen druchbrochen werden
Schröder büßt für Kohl
Eberhard Hamer

Bei der Bundestagswahl vor über einem Jahr wollten die Wähler nicht die SPD honorieren; diese war als Partei damals ebenso armselig wie heute. Sie hatte außer Gerhard Schröder weder attraktive Köpfe noch ein attraktives Programm, noch wußte sie damals Lösungen für die Zukunftsprobleme.

Der Wahlsieg der SPD kam auch nicht überraschend, hätte auch für die Presse nicht überraschend kommen können, wenn sie sich nicht so einseitig auf die Hofberichterstattung Kohls festgelegt hätte. Schon Jahre vorher grummelte es an der Basis gegen Kohl und seine Clique, die nach Gutsherrenart regierten. Kohl hatte das demokratische Prinzip der Willensbildung von unten nach oben längst durch ein autokratisches ersetzt, in dem sein Wille von oben nach unten rücksichtslos durchgesetzt wurde. Die großen Probleme unseres Volkes hat Kohl nicht gelöst, sondern ausgesessen:

l Der Aufbau Ost war ihm ein rein finanzielles Problem. Den Auftrag des Grundgesetzes, nach der Wiedervereinigung eine neue Verfassung auszuarbeiten, zur Abstimmung zu stellen und gemeinsam zu verabschieden, leugnete er ebenso wie jede Form nationaler Einheit. Originalton Kohl: "Eine deutsche Nation darf es nie wieder geben!" Aus welchen Gründen der Westen außer für die nationale Gemeinsamkeit jährlich für den Osten zahlen müsse, blieb ebenso unbeantwortet wie die Frage nach den ethischen Grundwerten, welche unsere Gesellschaft zusammenhalten. Die versprochene Diskussion über die Grundwerte als Basis einer Wiedervereinigung blieb aus.

l Kohl war Kumpel der Konzerne. Er hat ihnen mehr als zehn Milliarden Mark Steuererleichterungen beschert (Gewerbekapitalsteuer, Vermögensteuer der Unternehmen), für welche er beim Mittelstand gegenfinanzieren ließ (u.a. Abschreibungen). Die Konzerne haben ihm dies durch Abwanderung der Betriebsstätten in die Billiglohnländer und dadurch gedankt, daß sie netto keine Steuern mehr zahlten, sondern diese verlagerten.

l Statt sich wie Adenauer und Erhard um den Aufbau eines Mittelstandes zu kümmern, aus dessen Betrieben allein Steuern, Arbeitsplätze und Sozialbeiträge kommen, verachtete er diesen, weil dieser keine den Wirtschaftsverbänden der Konzerne oder den Gewerkschaften gleichwertige politische Macht präsentieren konnte. So hat er ihn als Zielgruppe der FDP überlassen, welche allerdings diese Aufgabe auch nicht glaubhaft übernommen, sondern ebenfalls um die Konzerne gebuhlt hat. Daß deshalb der Frust gegen die Regierung Kohl vor allem im Mittelstand kulminierte und dieser seit Jahren sich immer stärker von der Regierung Kohl verraten fühlte, kam trotz entsprechender Befragungsergebnisse des Mittelstandsinstituts Hannover bei Kohl nicht an oder wurde übergangen. Der Mittelstand wurde so zum entscheidenden Machtwechselpotential.

l Auch das Problem der wachsenden Verschuldung – die höchste Verschuldung der deutschen Geschichte – hat Kohl nicht ernsthaft interessiert, solange seine Regierung noch finanzierbar blieb. Im Unterschied zu Frau Thatcher, welche aus Zukunftsgründen drastisch im öffentlichen Sektor gespart und sogar Schulden wieder zurückgezahlt hat, blähte sich unter Kohl der öffentliche Sektor und der Staatsanteil am BSP auf 54 Prozent auf. Die Schuldenlawine wurde ohne wesentliche Stoppversuche immer größer. Kohl hat nur für die Gegenwart regiert, nicht aber die Zukunft finanziell gesichert.

l Nie sind die Sozialleistungen und die Sozialkosten so explodiert wie unter Kohl. Ein Drittel unserer gesamten Wirtschaftsleistung wird für die soziale Umverteilung ausgegeben. Auch hierbei wurde Gegenwartskonsum auf Zukunftskosten betrieben. Daß bei sinkender Erwerbstätigenquote und steigender Quote von Rentnern und Sozialhilfeempfängern die Sozialleistungen und vor allem die Renten nicht mehr aus laufenden Beiträgen bezahlt werden können, ist seit Jahren unstrittig, wurde aber vom Sozialknappen Blüm nicht nur wider besseres Wissen geleugnet, sondern sogar noch durch ein zusätzliches Sozialsystem (Pflegeversicherung) nach dem gleichen falschen Umlagesystem verstärkt. Der Zusammenbruch dieser falsch konstruierten Sozialsysteme wurde von Kohl in Kauf genommen.

Schröder ist zugute zu halten, daß er diese Versäumnisse der Kohl-Ära nicht nur erkannt hat, sondern sie sogar korrigieren möchte. Nur hat er den Fehler gemacht, daß er die Bevölkerung nicht über die katastrophale Situation zum Beispiel bei den Sozialsystemen aufgeklärt und sie als Altlasten der Regierung Kohl ins Bewußtsein gerückt hat. Die Versuchung für Schröder ist groß, solange weiterzuwursteln, wie es eine ernstzunehmende Opposition gegen dieses Weiterwursteln und Aussitzen der Probleme nicht gibt.

Wo sind die glaubwürdigen Politiker? Wo wird den Menschen um der Ehrlichkeit willen Wohlstand nur aus harter eigener Leistung statt aus Sozialleistung anderer versprochen? Wann werden wieder deutsche Interessen aufrichtig in Europa und gegenüber überseeischen Forderungen vertreten? Wo traut sich ein Politiker, die größte Völkerwanderung der europäischen Geschichte nach Deutschland durch Beendigung der sozialen Anreizsysteme für Armutsflüchtlinge zu beenden? Daß nur noch die Hälfte der Wähler angesichts solcher Fragen bereit ist, überhaupt irgendeine der Versagerparteien zu wählen, ist doch verständlich.

Eine Reform der Parteien und ihres Machtmonopols, eine Reform unserer Demokratiestrukturen (zum Beispiel Ämter und Mandate nur für zwei Wahlperioden) und eine geistig-ethische Wende im Volk wären notwendig, um die verfahrene Situation von verfilzter Bürokratie und Machthierarchie wieder zu durchbrechen.

 

Prof. Dr. Eberhard Hamer ist Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen.


 
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