© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Jahreswechsel 2000: Nicolaus Copernicus begründete das heliozentrische Weltbild
Er setzte die Erde in Bewegung
Rüdiger Ruhnau

Zweieinhalb Jahrtausende menschlichen Denkens haben nicht alle Rätsel dieser Welt zu lösen vermocht. Ist Heraklits Lehrsatz "panta rhei" ("alles fließt") der Schlüssel zum Verständnis jedes Geschehens, die Welt gesehen als unaufhörlicher Wandel und ewiges Werden und Vergehen? Nach dem ältesten, griechischen Weltbild war die Erde eine flache, vom Ozean umflossene Scheibe. Durch Öffnungen im Himmelsgewölbe leuchtete das dahinter lodernde ewige Weltenfeuer hindurch und ließ die Gestirne erstrahlen. Der Sonnengott fuhr in einem goldenen Wagen von Osten nach Westen über das Firmament und kehrte unter der Erdscheibe wieder zum Ausgangpunkt zurück.

Die Idee von der Kugelgestalt der Erde tauchte zum erstenmal bei Pythagoras Hagoras (584–500 v. Chr.) auf, während Anaxagoras zur Ansicht gelangte, die Sonne sei kein vom Gott Helios gelenkter Wagen, sondern ein glühender Steinhaufen. Das kam einer Gotteslästerung gleich. Trotz seiner Freundschaft mit dem Staatsmann Perikles wurde Anaxagoras aus Athen verbannt. Wenn die Frage nach der geistigen Urheberschaft des heliozentrischen Systems gestellt wird, dann kann gesagt werden, daß es wohl Vorläufer von Copernicus gegeben hat, diese aber ihre Ideen nicht überzeugend genug vertreten haben und so in Vergessenheit gerieten.

Für viele Jahrhunderte beherrschte die Weltsicht des Ägypters Ptolemäus (85–160 v. Chr.) die Köpfe der Menschheit. In seinem berühmten Buch "Almagest" beschreibt er die Erde als Mittelpunkt der sie umkreisenden Planeten. Erst 1425 Jahre nach Ptolemäus war die Zeit reif für das Werk eines Mannes, der die Welt aus den Angeln heben sollte: am 19. Februar 1473 wurde Nicolaus Copernicus in Thorn an der Weichsel geboren.

Nach dem frühen Tod des Vaters übernahm ein Onkel, Lukas Watzenrode, die Erziehung. Watzenrode, Bischof des Ermlandes, schickte Nicolaus zum Studium an die Universität Krakau. Dort lehrte man noch das ptolemäische System, dessen Ende sich allerdings in den Reformversuchen eines Peuerbach und Regiomontanus schon ankündigte. Nachdem Nicolaus ohne einen akademischen Grad wieder nach Preußen zurückgekehrt war, verhalf ihm der bischöfliche Onkel zu einer Domherrenstelle im ermländischen Frauenburg. Solche begehrten Pfründen hatten nicht unbedingt eine Priesterweihe zur Voraussetzung, dagegen involvierten sie eine lebenslange, großzügige finanzielle Versorgung. Dem Domkapitel lag viel an einer umfassenden Bildung seiner 16 Domkapitulare, Copernicus erhielt daher nach knapp einjähriger Amtstätigkeit die Erlaubnis, seine kirchenrechtlichen Studien an einer italienischen Hochschule fortzusetzen.

Unter den Professoren der Universität Bologna ragte der Astronom Domenico Novara hervor, der bald zu dem jungen Kanoniker in ein freundschaftliches Verhältnis trat. Novara, der an der Richtigkeit des ptolemäischen Weltbildes zweifelte, leitete Copernicus zu astronomischen Beobachtungen an. Im Frühling des Jahres 1500 unterbrach Nicolaus sein Studium. Er pilgerte nach Rom, verbrachte dort fast ein ganzes Jahr, erlebte den Glanz des Renaissancepapstes Alexander Borgia und sah, welche Macht die Kurie auf die Gläubigen ausübte. Wer wollte es wagen, gegen die allgegenwärtige katholische Kirche aufzutreten? War nicht erst vor zwei Jahren der Dominikanermönch Savonarola auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, weil er es gewagt hatte, den Sittenverfall am päpstlichen Hof anzuprangern!

In Bologna hatte der preußische Domherr den Magistertitel erworben, griechische Sprachstudien getrieben und schließlich den neuesten astronomischen Wissensstand erreicht. Wieder in Frauenburg, bat er das Domkapitel um erneuten Urlaub, diesmal wollte er Medizin studieren. Zusammen mit seinem Bruder ließ er sich in Padua, an der berühmtesten medizinischen Hochschule seiner Zeit, zum Arzt ausbilden. In den reichhaltigen Bibliotheken stöberte Copernicus nach astronomischen Schriften der Antike, längst war noch nicht alles in Lateinische übersetzt. Dabei stieß er auf Hinweise des platonischen und pythagoräischen Gedankengutes, daß die Sonne möglicherweise still stehe und der Erde sich bewege.

Von Padua ist es nicht weit nach Ferrara. Dort händigte man dem "Canonicus Vermiensis" am 31. Mai 1503 das Doktordiplom aus. Die insgesamt zwölf Jahre dauernde Studien- und Wanderzeit formte Copernicus zu einem umfassend gebildeten Manne, der als Jurist, Mathematiker, Arzt und Sprachforscher zugleich alle Voraussetzungen mitbrachte, die im zweiten Lebensabschnitt an ihn herantretenden Aufgaben optimal zu lösen. Nicolaus Copernicus hatte übrigens als einziger seiner Familie den deutschen Familiennamen Koppernigk latinisiert (1942 legte man amtlich die Schreibweise Kopernikus fest, obwohl er seinen Namen stets mit "C" schrieb).

Für einige Jahre stand Copernicus nun im Dienst des bischöflichen Oheims, der ihn in die praktische Verwaltungsarbeit der Diözese einführte. Watzenrode, gleichzeitig Landesherr des Ermlandes, amtierte in Heilsberg, einem kleinen Städtchen an der Straße von Allenstein nach Königsberg. Erst nach dem Tode des Onkels bezog Copernicus eine Wohnung im Nordwestturm der Frauenburger Domburg, von wo aus er die regelmäßigen Beobachtungen der Himmelskörper fortsetzte. Zu seinen einfachen Meßgeräten gehörten das parallaktische Lineal zur Messung der Höhenwinkel, der Quadrant zur Bestimmung der Sonnenhöhe und die Armillasphäre, ein altes Instrument zum Messen von Längen- und Breitendifferenzen; ein Fernrohr kannte man damals noch nicht.

Noch vor dem Jahre 1514 faßte Copernicus die Grundgedanken seiner heliozentrischen Lehre in einer Schrift mit dem Kurztitel "Commentariolus" zusammen. Diese Abhandlung existierte nur in wenigen Exemplaren. Erst 1877 entdeckte man ein Stück in der Wiener Hofbiliothek. Der "Commentariolus" postuliert sieben Axiome der heliozentrischen Lehre. In klassischer Einfachheit wird darin ausgesprochen, daß die Erde nun nicht mehr das erhabene Zentrum ist, um das sich alles dreht. Sie ist nur eine Kugel mit einer dünnen Haut, die mit rasender Geschwindigkeit durch die Unendlichkeit des Alls wirbelt. Copernicus versprach, weitere Beweise in einem späteren Werk zu liefern, zunächst nahm ihn noch die Verwaltung aller geistlichen und weltlichen Angelegenheiten des Bistums voll in Anspruch. Unter den erhalten gebliebenen Schriftstücken, die entweder in deutscher oder lateinischer Sprache abgefaßt sind, befindet sich auch eine Denkschrift zur Münzreform im Preußenland.

Um 1530 lag das astronomische Hauptwerk mit dem Titel "De revolutionibus orbium coelestium Libri VI" ("Von den Umläufen der Himmelsbahnen, dargelegt in VI Büchern") als Manuskript fertig vor. Der Meister zögerte lange, es in Druck zu geben, zu weltumstürzend erschienen ihm seine darin festgehaltenen Ergebnisse. Den Anstoß gab schließlich Rheticus, Professor für Mathematik in Wittenberg. Rheticus hatte für die Bekanntmachung der copernicanischen Lehre viel getan. Bei einem Besuch in Frauenburg konnte er von Copernicus die Erlaubnis erhalten, "De revolutionibus" drucken zu lassen. Vorsichtshalber hatte der Astronom sein Werk in einer Widmung an den Papst unter den Schutz der Kirche gestellt, was diese aber nicht daran hinderte, "De revolutionibus" auf den Index zu setzen.

Das Buch wurde von Joh. Petreius in Nürnberg gedruckt, es enthält neben vielen Holzschnitten die Umlaufzeiten der Planeten um die Sonne. Osiander, der mit Rheticus die Drucklegung in Nürnberg beaufsichtigte, führte ohne Einverständnis des Verfassers ein Vorwort ein, das die heliozentrische Lehre nur als eine "Hypothese" bezeichnete. Der ermländische Domherr, der zu denken wagte, was Millionen Menschen vor ihm undenkbar erschienen ist, konnte die Verbreitung seiner Lehre nicht mehr erleben. Als das erste gedruckte Exemplar in Frauenburg eintraf, lag Nicolaus Copernicus am 24. Mai 1543 auf dem Sterbebett.


 
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