© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Peter Sichrovsky: Der Antifa-Komplex. Das korrekte Weltbild
Flott erzählte Anekdoten
Rolf Stolz

Peter Sichrovsky, Publizist und FPÖ-Europa-Abgeordneter, "Österreicher, der der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört" und Verfasser von Bestsellern wie "Schuldig geboren", hat häufig einen Standpunkt zwischen den Fronten eingenommen und jene Unterwerfungsrituale verweigert, mit denen man sich die Aufnahme in die Gemeinschaft der (Schein)Heiligen und (Selbst)Gerechten sichert. Sein Buch "Der Antifa-Komplex" hat den autobiographisch-journalistischen Zuschnitt einer auch als Selbstvergewisserung angelegten Streitschrift und versucht eher eine aktuelle Annäherung an das Phänomen "Antifaschismus" als eine systematische historisch-philosophische Analyse. Auch dort, wo Kapitelüberschriften wie "Neofaschismus und Neo-Antifaschismus" oder "Antirassismus und Antifaschismus" systematisierte Ideologiekritik versprechen, bleibt der Autor stets auf der Ebene der Realiensammlung, der flott erzählten Anekdoten und Aperçus.

Seinen Standort beschreibt Sichrovsky einerseits als zwischen den Fronten liegend, andererseits gibt er sich durchaus als Konservativer der gleich zu Anfang des Buches aufzählt, wem alles sein Buch nicht gefallen wird, und der auch erwartet, den Rechten zu links zu sein. Gleichwohl verbeugt er sich deutlich in diese Richtung des politischen Spektrums, wenn er vehement jede Nähe des konservativen Denkens zum historischen Faschismus zurückweist. Eine solche Sichtweise hat ihre begrenzte Berechtigung, wo es gegen bequeme Gleichsetzungen von "Konservativer Revolution" und faschistischem Umsturz geht, aber sie verfehlt die historisch gegebene zeitweilige Kooperation zwischen den verschiedenen Gegnern der Zwischenkriegsdemokratien, die in Europa nach dem Versailler Raubfrieden entstanden waren. Während er zu Recht auf verschiedene Bezüge des Faschismus zur zeitgenössischen Linken hinweist, thematisiert Sichrovsky leider nicht jene Strukturkonservativen, die in den Faschisten Verbündete im antisozialistischen Abwehrkampf sahen, und jene Wertkonservativen, die eine Zeitlang sich einredeten, die Schwarz- und Braunhemden seien auf ihre zuweilen irritierende Art auch zu den Verteidigern der abendländischen Kultur zu rechnen. Solche teils unbewußte, teils ungewollte Schützenhilfe vieler (durchaus nicht aller!) Konservativer nüchtern festzustellen, würde zugleich begreifen helfen, wie die "kollektive Barbarei" des Nationalsozialismus sich heranbilden und durchsetzen konnte, obwohl nur ein kleiner Teil ihrer Funktionsträger offenkundige Barbaren und Politkriminelle waren.

Fragwürdig bis schlicht falsch wird es bei Sichrovsky immer dann, wenn es um den Kapitalismus im allgemeinen und die USA im besonderen geht. Statt zu differenzieren zwischen einer kritischen politisch-ökonomischen Analyse einerseits und stalinistischer Pauschaldiffamierung des westlichen Klassenfeindes andererseits, betätigt er sich als Verherrlicher des American way of life.

Wenig hilfreich ist es, daß Sichrovsky den deutschen Widerstand gegen Hitler bagatellisiert. Bei Sichrovsky ist es am Ende nur noch die europäische Friedensbewegung (er nennt in diesem Zusammenhang den Stalin-Enthusiasten Henri Barbusse!), die unabhängig von Kommunisten und Sozialdemokraten gegen die Hitlerei kämpft: "Das Volk stand geschlossen hinter Hitler. (...) Der Widerstand war marginal und fand vor allem keine Unterstützung in der Arbeiterschaft". Was Sichrovsky an der Gegenseite zu Recht kritisiert ("das pauschale Urteil und die Verallgemeinerung"), gilt hier auch für seine Argumentation. Vollends vergaloppiert sich Sichrovsky, wenn er vom "von den Deutschen geplanten und organisierten Massenmord an den Juden" spricht oder behauptet, daß "die Vorfahren" der heutigen Deutschen für den Judenmord verantwortlich waren. Es sei hier daran erinnert, mit welcher Vehemenz gerade jüdische Publizisten – man denke nur an Elie Wiesel – die Kollektivschuld-These zurückgewiesen haben und daß auch Sichrovsky selbst sich an anderer Stelle gegen die Kollektivschuld-These wendet.

Von zweifelhaftem Wert für ein klares Bild der historischen Wirklichkeit ist seine Behauptung, die Kommunisten hätten die Hauptschuld am Versagen der Linken gegenüber dem aufkommenden Faschismus. Erstens war die verhängnisvolle Doktrin des "Sozialfaschismus" auch eine Reaktion auf den Verrat sozialdemokratischer Führer und auf eine Terrorpolitik regierender SPD-Führer im Stile der Noske und Zörgiebel. Zweitens waren es gerade die SPD-Führer, die mit ihrer Restaurationspolitik und ihrer Feigheit vor dem Feind die kampflose Niederlage des Januar 1933 heraufbeschworen und es dem ZK der KPD ermöglichten, erfolgreich Ruhe als die allererste Proletenpflicht zu propagieren. Im übrigen ist es schlichtweg erfunden, daß "kaum einer" der im sozialistischen Widerstand kämpfenden Juden überlebt hat. Genausowenig waren alle kommunistischen Widerständler Feinde der Demokratie und nutzten, wenn sie überlebten, ihre Machtstellung in der DDR "wie die Führer des NS-Regimes". Mit solchen Pauschalurteilen stellt sich der Autor leider immer wieder selbst ein Bein.

Erst recht verstellt man sich eine klare Einsicht in die moralische Verkommenheit des heutigen Pseudo-Antifaschismus, wenn man diejenigen, die in den zwanziger, dreißiger und frühen vierziger Jahren trotz mancher fataler Irrtümer tatsächlich kämpften, auf eine Stufe stellt mit den Maulhelden der heutigen "Antifa". Wenn man verstanden hat, die Grundzüge faschistischer Herrschaft (Orientierung auf eine weder durch legale Schranken noch durch reformerische Kompromisse eingeschränkte Maximierung von Profit und Macht durch Ausbeutung aller Ressourcen und gewaltsames Hinzugewinnen neuer Ressourcen; Führerstaat mit chauvinistisch-rassistischer Ideologie; eine sozial auf das Kleinbürgertum und politisch auf für einen Bürgerkrieg bewaffnete und ausgebildete Verbände gestützte, durch reaktionär-antikapitalistische Demagogie mobilisierte Massenbasis; Verbindung von Terror und Sozialfürsorge bei Vorrang des Terrors usw.) zu unterscheiden von Begleiterscheinungen und Beiwerk, dann wird auch deutlich, daß der deutsche "Nationalsozialismus" eine Spielart des historischen Phänomens "Faschismus" darstellt und keine eigene, isolierte Gattung und daß Franco-Spanien nicht nur, wie Sichrovsky meint, eine "moderne Form der Ein-Parteien-Diktatur" war, sondern eine der Spielarten des faschistischen Staates, während das Griechenland der Obristen trotz allen Terrors und aller Propaganda nicht in den Formenkreis faschistischer Herrschaft gehören. Damit fällt er zurück hinter das, was bei allem Meinungsstreit und aller Setzung unterschiedlicher Akzente die Faschismusforschung seit Jahren herausgearbeitet hat. Er tut so, als gäbe es nichts als ein heilloses Chaos von Faschismustheorien, erzeugt durch Forscher, die im Parteiauftrag oder aus persönlicher Borniertheit Seifenblasen produzieren, die nicht das mindeste mit der Geschichte zu tun haben.

Sehr widersprüchlich ist seine Haltung zum Volk. Einerseits sagt er den "Massen" eine unausweichliche Irrationalität der Motivationen nach, andererseits betont er, daß es gerade die schweigende Mehrheit der Bevölkerung ist, die mit ihrer Ablehnung des Extremismus heute die Demokratie stabilisiert.

Ausgesprochen mutig ist es, daß Sichrovsky sich deutlich abgrenzt vom "Shoa-Business" und von den ebenso dümmlichen wie kontraproduktiven Versuchen mancher jüdischen Aktivisten und Organisationen, Anhänger und Wähler mißliebiger demokratischer Parteien als Neonazis zu verteufeln. Mutig ist, daß er die Frage aufwirft, welche Folgen es für das Rechtsgefühl der Bevölkerung haben wird, wenn das Leugnen der stalinistischen Massenmorde straffrei bleibt, aber gleichzeitig das Leugnen des Judenmords strafrechtlich verfolgt werden soll. Der Autor wagt es sogar, einige der Leichen im untersten Keller der zionistischen Bewegung der dreißiger und vierziger Jahre ans Tageslicht zu ziehen, so Ben Gurions skandalöse Aussage vom 7. Dezember 1938: "Wenn ich wüßte, daß es möglich wäre, alle jüdischen Kinder aus Deutschland nach England zu retten, oder nur die Hälfte von ihnen, wenn wir sie nach Israel bringen, würde ich mich für die zweite Lösung entscheiden." Diese gegen jede Art von jüdischer Assimilation gerichtete, für einen gewaltsam zu errichtenden Staat reinrassiger Juden eintretende Politik führte folgerichtig zur Sabotierung des antifaschistischen Widerstands und zum Teil sogar zu direkter Zusammenarbeit mit Naziführern wie Eichmann. Angesichts dieser geschichtlichen Gegebenheiten sollte Sichrovsky allerdings auch die notwendige Konsequenz ziehen, nicht von vornherein die gesamte linke Kritik am Zionismus als antisemitisch abzutun. Daß angeblicher "Antizionismus" gerade im einstigen Ostblock vielfach verkappter Antisemitismus war und ist, stimmt. Aber auch dort sind es gerade Juden, die den Zionismus als lebensgefährliche Sackgasse sehen und für ein von Chauvinismus und rassistischer Auserwähltheitsarroganz befreites Selbstbild werben – und damit für eine der wichtigsten Voraussetzungen eines friedlichen, multireligiösen und multiethnischen Zusammenlebens in Israel/Palästina.

Entschlossen wehrt Sichrovsky sich gegen alle Versuche, die realen Probleme einer massenhaften Zuwanderung nach Europa abzuleugnen und den Einheimischen die Schelle des fremdenfeindlichen Rassisten umzuhängen. Zu Recht kennzeichnet er Angst als wichtigen Schutzmechanismus und beschreibt die berechtigten Befürchtungen der Inländer, Opfer einer von ihnen mehrheitlich nicht gewollten und politisch-kulturell weder steuerbaren noch verantwortbaren Zuwanderung zu werden. Er betont, daß die erforderlichen "realpolitischen Lösungen" gegen die Anhänger extremen Laufenlassens wie gegen die Anhänger totaler Abschottung durchgesetzt werden müssen und daß es sich bei den selbsthasserischen Ausländerfreunden wie bei den selbstverliebten Ausländerhassern um Opfer einer politischen Neurose handelt. Zuzustimmen ist ihm auch in seiner Ansicht, daß die "Antirassisten" erheblich zur Verhärtung der innenpolitischen Fronten und zum Abdriften in blinden Haß beitragen. Auch was Sichrovsky über den "antirassistischen Philosemitismus" schreibt, ist sehr zutreffend: Er sieht die Juden durch diese selbsternannten Judenfreunde genauso diskriminiert wie durch die Judenfresser – als eine zu schützende oder auszurottende Minderheit. Und daß eine Versteinerung des Antifaschismus im Sinne einer "totalitären" Ideologie zu Zensur, Kulturverhinderung und Barbarei führt, ist ebenso wie die Kritik an der autoritären bis faschistoiden Unterdrückung eines sich rechts gebärdenden Jugendprotestes oder wie der Nachweis der inneren, organischen Verbindung zwischen den einstigen Haßorgien der Faschisten und den heutigen Haßorgien von in SS-Schwarz kostümierten Pseudo-Antifaschisten keine neue Einsicht, aber eine von der Sorte, an die nicht oft genug erinnert werden kann.

Dem "Antifa-Komplex" sind viele Leser zu wünschen. Allein schon deshalb, weil diese Veröffentlichung mit ihren Gedankenanstößen, Provokationen und lebensnahen Beispielen dazu beitragen könnte, die ins Stocken geratene öffentliche Diskussion über Faschismus und Antifaschismus neu anzufachen.

 

Peter Sichrovsky: Der Antifa-Komplex. Das korrekte Weltbild, Universitas Verlag, München 1999, 208 Seiten, 34 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen