© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Zitate

"Während des halbstündigen Interviews, das Helmut Kohl dem ZDF am Donnerstagabend gegeben hat, fiel unsichtbar, aber ganz unverkennbar der Mantel der Geschichte von seinen Schultern. Am Ende saß wieder der Kohl der achtziger Jahre im Studio, die beleidigte Unschuld vom Lande, der patzige, schlecht erzogene, schlecht formulierende, sich in einem Gewirr widersprüchlicher Affekte verheddernde Provinzpolitiker; jene Verkörperung der Peinlichkeit, die von langer Folter weich-gekochte Intellektuelle irgendwann einmal zu lieben vorgaben, um ihre endlose Niederlage gegenüber dieser zähen Niedrigkeit zu bedecken wie eine Blöße, für die man sich schämen muß. (...) Redliche deutsche Staatsbürgr, die für einen guten Zweck Gesetze brechen, dürfen sich auf das Wort ihres Spießgesellen verlassen, auch wenn es sich dabei um den deutschen Bundeskanzler handelt, der sich auf die Einhaltung der Gesetze und Treue zur Verfassung eigens verpflichtet hat. Klarer kann man die Prioritäten, mit denen das System Kohl offenbar funktionierte, nicht offenlegen: Die mafiose Abmachung unter Privatleuten fern von allem Regierungshandeln genießt höhere Geltung als ein Artikel des Grundgesetzes."

Gustav Seibt in der "Berliner Zeitung" vom 18. Dezember 1999

 

 

"Manche Geldgeber haben ihre Spenden nur unter der Bedingung gegeben, daß sie anonym blieben. Ihre Anonymität war die Voraussetzung dafür, daß sie überhaupt spendeten. Deshalb erfolgten die Spenden auch in bar, weil sonst die Anonymität nicht gewährleistet gewesen wäre. Ich selbst habe solche Beträge entgegengenomen und sie an einen Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle für die Parteiarbeit weitergereicht. Niemand sonst von der Parteiführung hat davon gewußt – weder der damalige Generalsekretär Peter Hintze, auch nicht sein Vorgänger Volker Rühe und auch nicht der jetzige Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble."

Helmut Kohl in der "Welt am Sonntag" vom 19. Dezember 1999

 

 

"Helmut Kohl wird von seinem Parteivorsitzenden Schäuble im Feudalstil als ‘Patriarch’ gekennzeichnet. Ohne die Spur eines Unrechtsbewußtseins erklärt Kohl, er brauche sich nicht an Gesetze zu halten, wenn sie seinen persönlichen Vorstellungen widersprechen. Bemerkenswert, daß all dies nur per Zufall aufflog und bis heute Parteifreunde Nachprüfungen von CDU-Kassen blockieren. Die Ausflüchte von Kohl sind in Deutschland kein Thema. In den USA wären sie dies. Für das Establishment der Berufspolitiker ist ein Leitmotiv kennzeichnend. Für Politiker gelten nicht die Maßstäbe, denen wir uns als Bürger – dem ersten Teil der Gesellschaft – verpflichtet fühlen sollen."

Erwin K. Scheuch, Soziologie-Professor und Parteienkritiker, in der "BZ am Sonntag" vom 19. Dezember 1999

 

 

"Die immer wieder gestreuten Spekulationen, daß Entscheidungen der von Kohl geführten Regierung käuflich gewesen seien, sind bisher auch durch Wiederholung nicht plausibler geworden. Kohl könnte solche Angriffe am besten dadurch abwehren, daß er sich auch in dieser (...) Lage staatsmännisch verhält, also nicht nur von ‘Fehlern’ spricht, sondern ohne Wenn und Aber eingesteht, daß er gegen Gesetze verstoßen hat. Dazu gehörte es, daß er seine in vielen Jahre eingeübte Attitüde aufgibt, von den vielen Stürmen zu sprechen, denen er in seinem politischen Leben getrotzt habe. (...) Und noch schwerer tun sich historische Ausnahmegestalten mit der Einsicht, daß es für sie keine Ausnahmeethik geben darf, sondern daß die moralischen und rechtlichen Anforderungen an Politiker, die viel Macht haben, in der Demokratie nicht geringer, sondern größer sind als diejenigen, die an den ‘kleinen Mann’ gestellt werden."

Günther Nonnenmacher in der "FAZ" vom 18. Dezember 1999


 
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