© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Willenlose Deutsche
von Michael Wiesberg

Zahlreich sind in diesen Tagen die Kommentare zum Militärschlag der "westlichen Wertegemeinschaft" gegen den Irak. Der Tenor ist in der Regel der gleiche: Hier der "menschenverachtende" Diktator Saddam Hussein, dort Amerikaner und Briten als Speerspitze der westlichen Zivilisation, die mit militärischem High Tech den angeblich ABC-Waffen-vernarrten Mesopotamier seiner gerechten Strafe zuführen, um "die Welt sicherer zu machen". Ihrer eigenen Lesart gemäß verteidigten die USA mit ihren Kampfbombern ihre "nationale Sicherheit". Kann ein seit Jahren schärfstens überwachtes und durch ein Wirtschaftsembargo beschnittenes 22-Millionen-Volk wirklich die "nationale Sicherheit" der Supermacht USA bedrohen? Eine Antwort auf diese Frage erübrigt sich.

Der "Kehraus" der US-Kampfbomber im Irak folgte einer klaren TV-Dramaturgie: Die "couch potatoes" in den USA und anderswo wurden mediengerecht zur "Prime Time" bedient, um das große Strafgericht "live" verfolgen zu können. Darauf wies am 19. Dezember im Südwestrundfunk ein Korrespondent hin, der den Feuerzauber in Bagdad vor Ort miterleben durfte. Natürlich: Ein "Event" wie die Demonstration modernster amerikanischer Waffentechnik im Irak verursacht Kosten. Darauf machte US-Präsident Clinton bereits in seiner Rede vom 16. Dezember aufmerksam, als er feststellte, daß die Entscheidung, Gewalt zu gebrauchen, niemals "kostenfrei" sei. Eines ist in diesem Zusammenhang aber sicher: Zumindest die Einschaltquoten und damit die Werbeeinnahmen der amerikanischen Medienkonzerne werden gestimmt haben.

Noch ein anderer Aspekt soll an dieser Stelle zur Sprache kommen: Es gibt inzwischen eine mit äußerster Härte ausgefochtene Konkurrenz zwischen den Vertretern der sonst so konsenssüchtigen Bonner Parteien, wer denn nun der bedingungsloseste US-Freund ist. Dem CDU-Parteivorsitzenden Schäuble ließ der vorwitzige rot-grüne Schulterschluß mit den "Freunden" in Washington und London keine Ruhe. Fischer und Schröder, so schäumte Schäuble, hätten "mit ihren außenpolitischen Alleingängen Saddam Hussein erst zu seinem Verhalten ermuntert". Wieder also waren wir Deutschen mitbeteiligt, als das Böse in der Welt Fuß zu fassen drohte. Wir gestehen Wolfgang Schäuble, zweifellos der größte Freund aller Zeiten, den die Amerikaner jenseits des Atlantiks haben, zu, daß er in seiner grenzenlosen Ergebenheit zum Hort des Guten in der Welt von niemanden überboten werden kann. Dank Schäuble hat die Auseinandersetzung mit dem Irak für uns Deutsche eine zutiefst aufklärerische Wirkung: Wir wissen spätestens seit den Dezembertagen des Jahres 1998, daß von deutschem Boden politisch kein Eigensinn mehr ausgeht.


 
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