© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gedenkverantwortung
Karl Heinzen

Wer gedenkt, will auch etwas davon haben. Möglicherweise stehen Einkommensalternativen zu Verfügung, die man im Gedenkfall ausschlagen müßte. Zumindest gibt es aber die eingesetzte Lebenszeit, die als Gedenkaufwand eine Bewertung verdiente. In einer freien Marktgesellschaft wird niemandem etwas geschenkt. Alles hat seinen Preis, es fragt sich nur, ob dann jemand auch bereit ist, das Entgelt hinzublätter. Bernd F. Lunkewitz zum Beispiel hätte vieleicht Mittel genug, um gedenken zu lassen.Wenn es ernst wird, packt ihn offenkundig aber doch wieder der Geiz: Dann wird sein ganz privater Wunsch nach einer möglichst breiten Bekundung großer Anteilnahme an vielerlei Schrecken – dokumentiert als Hirtenbrief in der "FAZ" – zum bloßen Appell an die lieben Mitmenschen, es ihm an Besinnlichkeit gleichzutun. Das ist nicht nur kaum zu leisten, es ist vor allem zu billig für jemanden wie Bernd F. Lunkewitz. Was ist damit erreicht, wenn alle diejenigen, die sowieso eines Sinnes mit ihm sind, ihrer Gedenkfreude nun ein klein wenig bewußter frönen können?

Sehr vielen Menschen ist es, jedem nach seiner Facon, längst ein inneres Bedürfnis, all die Bilder der Vergangenheit in sich wachzuhalten. Was will man bei diesen Menschen noch zusätzlich bewirken, zumal sie bereits heute oft an die physischen Grenzen ihrer Gedenkkapazität stoßen? Viel sinnvoller wäre es, endlich darüber nachzudenken, wie alle diejenigen interessiert werden können, die bislang noch keine eigenen Erfahrungen mit dem Gedenken gesammelt haben. Hier ist aber behutsam zu verfahren, ein Zuviel an moralischem Rigorismus kann schnell gegenteilige Wirkungen haben: Die Gedenkanforderungen dürfen nicht als unerfüllbar empfunden werden, ein bißchen Freude und Unterhaltung muß dabei sein, und vor allem sollten sich auch hin und wieder Erfolgserlebnisse einstellen. Doch selbst diese weniger mißmutige Herangehensweise an das Gedenken ist in ihren Möglichkeiten beschränkt. Das Phänomen, das in unserer Gesellschaft ehrenamtliches Engagement insgesamt abnehmen läßt, schlägt auch hier durch: Ohne glaubwürdige finanzielle Anreize für diejenigen, die mitmachen, wird der Gedenkkultur im 21. Jahrhundert keine lange Zukunft beschert sein. Darüber kann man sich mokieren, ändern kann man es nicht: Auch der Treibhauseffekt wird schließlich nicht durch eine freiwillige Verhaltensänderung der Menschen gestoppt, sondern durch neue Anreize, die die ökologische Steuerreform setzen wird. Die neue Mitte ist sicher pragmatisch genug, um die Gedenkverantwortung des Staates finanzpolitisch wirksam umzusetzen. Zuvor sollte man jedoch nichts unversucht lassen, um die großen Vermögen unseres Landes auf die Möglichkeiten eines Sponsorings aufmerksam zu machen. Wer dazu in der Lage ist, sollte sich der Gedenkloyalität anderer finanziell vergewissern. Wes Brot ich eß, des Lied ich sing: Warum sollte das ausgerechnet für das Lied der Moorsoldaten nicht gelten?


 
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