© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/99  01. Januar 1999

 
 
Pankraz,
das Jahr 2000 und der Rottenmeister Gaukelzack

Ein sehr unerquickliches Jahr bricht nun an, 1999, das "Endzeitjahr", das Jahr der Adventisten und Chiliasten, die etwas "erwarten": einen "grundlegenden Wandel", einen Messias, eine Apokalypse gar, wo alles mit Riesenholterdipolter den Bach hinuntergeht. "Jahrtausendwende". Wer jetzt Ruhe und Übersicht bewahren will, sollte sich warm anziehen.

Die Zahl "tausend" (griechisch: "Chilioi") übt eine magische Anziehungskraft auf alle Spinner und Rottenmeister aus, sie ist, um mit Luther zu sprechen, ihr "Gaukelzack". Sie ist ja so schön rund und groß, aber auch wieder nicht allzu groß, man kann sich unter ihr gerade noch etwas vorstellen. Kein Wunder also, daß mit ihr immer wieder Hoffnungen auf ganz und gar neue politische Reiche verknüpft wurden, "tausendjährige Reiche" eben, die faktisch schon das Himmelreich auf Erden sein sollten, die Lösung aller sozialen und geistigen Probleme.

Am harmlosesten unter den Chiliasten waren noch die sogenannten Montanisten, die auf den Selbstlauf der Dinge vertrauten, auf das Erscheinen himmlischer Heerscharen, welche einem faktisch alle Arbeit abnehmen würden. Folglich stellten die Montanisten jegliche eigene Arbeit ein, zahlten keine Steuern mehr, beteten nur noch, geißelten sich und warteten auf den großen Kladderaddatsch. Wenn der dann nicht kam, verkrümelten sie sich friedlich, irgendwie enttäuscht natürlich, doch auch irgendwie erleichtert.

Gefährlicher waren jene Formationen, die glaubten, einer Jahrtausendwende aktiv unter die Arme greifen zu müssen, indem man beispielsweise schon vorher alle Ungläubigen und alle Vertreter des "alten Regimes" ausschaltete, enteignete, abschlachtete. Als erster praktizierte das im alten Persien Zarathustra, der die Menschen fein säuberlich in Gute und Böse aufteilte und zum "Endkampf" aufrief, in dem die Bösen allesamt noch vor Anbruch des neuen Aions massakriert werden sollten. "Dann weichen Bedrückung und Feindschaft aus der Welt, und für tausend Jahre stelle ich den Anfang wieder her." Das hat Schule gemacht.

Das zarathustrische Pathos, das heute, am Beginn des Endjahres 1999, herrscht, ist geradezu beängstigend. "Das zu Ende gegangene Jahrtausend", so liest man allenthalben in den demokratischen Medien, "war ein schlimmes, besonders seine letzten hundert Jahre. Doch jetzt, am Beginn des neuen Jahrtausends, stehen der Weltfrieden, der freie Weltmarkt, die einige Weltrepublik direkt vor der Tür. Nur noch einige Schurkenstaaten beseitigt, nur noch einige Diktatoren umgelegt, nur noch einige Handelsschranken niedergelegt, und das Reich der Menschenrechte bricht aus, das Reich der Gerechtigkeit, hurra!"

Aus "fundamentalistischen" Medien tönt es dagegen: "Das alte Jahrtausend, besonders seine letzten hundert Jahre, waren geprägt vom Reiche des großen Satans, in dem jeder Glaube an höhere Werte erstickt und verhöhnt wurde, geopfert dem Widergott des Mammons, des materiellen Konsums, der entfesselten Lebensgier. Doch jetzt, am Beginn des neuen Aions, keimt Licht der Hoffnung. Nur noch einige Schubse, und die alten Tafeln zerbrechen, das Reich der Wahrheit kehrt wieder. Allah akhbar!"

Pankraz hat immer bewundert, mit welcher Scharfsicht die großen Kirchenväter des Christentums die Gefahr des Chiliasmus erkannt und mit welcher Konsequenz sie ihn bekämpft haben, Hieronymus in seinem Jeremia-Kommentar, Augustinus in der "civitas Dei". Es wird nie ein Reich Gottes hier auf Erden geben, donnerten sie gegen Tertullian und Irenäus und alle möglichen sybillinischen Weissagungen, das Reich Gottes ist in unserem Inneren, oder es ist inkarniert in der Kirche als einer Gemeinschaft, die sich gerade nicht als ein irdisches Regnum versteht, sondern als sittliche Instanz, deren Gebote in der Hoffnung auf Transzendenz aufgerichtet werden. Damit war allen Schwarmgeistern ein für allemal eine Grenze gesetzt.

Chiliasmus verzog sich in dubiose Sekten, die weder das Geistesleben noch gar die Politik dauerhaft beeinflussen konnten. Auch fehlte ihm, nachdem das Schlüsseljahr 1000 ohne Apokalypse und Messiasankunft vorübergegangen war, der kalendarisch überzeugende Bezugspunkt. Alle Weissagungen zum tausendjährigen Reich litten von da an unter der Tatsache, daß es bis zur nächsten Wende ja noch gute Weile hatte.

Wenn etwa zur Zeit der napolenischen Kriege Jung-Stilling den Tag der "Ankunft des Reiches" auf 1816 festlegte, so konnte er damit buchstäblich keinen einzigen echten Chiliasten mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Man muß sich sogar wundern, daß es ihm damals immerhin gelang, an die siebentausend wackere Württemberger zu motivieren, die sich alsbald allen Ernstes zu einer mühsamen Wanderung zum Berge Ararat aufmachten, um dort voller Gläubigkeit die Landung des Messias in einer neuen, diesmal fliegenden (und über und über vergoldeten) Arche Noah zu erwarten.

Nun, in zwölf Monaten wird es keine krumme Datierung geben, die Zeit ist wieder einmal erfüllt, das tausendjährige Reich, wenn es denn kommen will, kann endlich ordnungsgemäß anbrechen. Aber wahrscheinlich wird trotzdem keine Arche Noah auf dem Berg Ararat landen, was freilich nicht heißt, daß bis dato nicht noch allerlei semantischer Unfug angestellt wird, daß Messer gewetzt und irre Rechnungen aufgemacht werden, so daß man schon froh sein muß, wenn alles im montanistischen, württembergisch-pietistischen Rahmen bleibt.

Danach könnte eine allgemeine Besinnung darauf einsetzen, daß es im Leben weniger auf Zeitwenden denn auf Wenden in Inneren ankommt, genauer: auf die Abkehr vom chiliastischen, apokalyptischen Denken überhaupt. Tausend Jahre können sein wie ein Tag, aber was sich im Tagwerk nicht erfüllen will, das erfüllt sich auch in tausend Jahren nicht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen