© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Lebensschutz: Gerhard Schröders Signal zur Einführung der Abtreibungspille "Mifegyne" fordert die Kirche heraus
RU 486 – der Weg zur Selbstabtreibung
Ilona Keil

Es wäre tatsächlich eine unsägliche Tragödie, wenn sich am Ende dieses Jahrhunderts die chemische Industrie ein zweites Mal anschicken würde, in Deutschland ein chemisches Tötungsmittel für eine bestimmte gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe zur Verfügung zu stellen." Mit dieser ungewöhnlich harten Äußerung hat der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner erneut die Diskussion um die Abtreibungspille "Mifegyne" (früher: RU 486) angeheizt. Bereits vor einigen Wochen hatte ihm eine ähnliche Formulierung den Vorwurf eingebracht, er habe die Pillen-Abtreibung pauschal in die Nähe von Völkermord gerückt. Dieser Unterstellung müsse "entschieden widersprochen werden", so Kardinal Meisner jetzt, "weil damit der Holocaust instrumentalisiert wird, um eine öffentliche Aufklärung über RU 486 zu unterbinden". Und diese Aufklärung sei angesichts der "skandalösen, unverantwortlichen Verharmlosungen" der Abtreibungspille durch Bundesfamilienministerin Christine Bergmann dringend geboten. Denn die den Wirkstoff Mifepristone enthaltende RU 486 sei ein "chemisches Tötungsinstrument speziell für ungeborene Kinder" und bahne den Weg zu einer "Privatisierung der Abtreibung".

Die Abtreibungsmentalität "ist frauenfeindlich"

Ähnlich scharf wie Kardinal Meisner äußerte sich auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann. Mit der Abtreibungspille werde die "Tötung von ungeborenem Leben in einer gefährlichen Weise verharmlost". Und der Münchner Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter kündigte an, daß die katholische Kirche sich auch künftig gegen eine Privatisierung des Schwangerschaftsabbruchs wenden werde. In seiner Silvesterpredigt bezeichnete er die "in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitete Abtreibungsmentalität" als frauenfeindlich und griff gleichzeitig das Bundesverfassungsgericht an, das den bayerischen Sonderweg im Abtreibungsrecht in zentralen Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Gericht habe einen Irrweg eingeschlagen, der in eine "todbringende Zukunft" führe.

Bundeskanzler Schröder gab das "positive Signal"

Während sich in der SPD, FDP, PDS und bei den Grünen die Stimmen Prominenter für eine Zulassung mehren, weil damit "eine schonendere Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs besteht" (Gudrun Schaich-Walch), findet die Union nicht zu einer klaren Linie: Einige CDU-Politiker sehen in der Abtreibungspille eine "Tötungschemikalie", andere warnen davor, diese "zu verketzern" (Rita Süssmuth), und die große Masse hält sich eher bedeckt oder will sich ganz aus der Affäre ziehen, wie etwa die CDU-Generalsekretärin Angela Merkel, die der Familienministerin unterstellt, die Debatte politisch zu instrumentalisieren und deshalb fordert, die Politik solle sich aus dem Streit über die Abtreibungspille ganz heraushalten. Welches der medizinisch richtige Weg für eine Abtreibung sei, hätten nicht Politiker zu befinden, sondern "die Medizin", so die ehemalige Bundesumweltministerin.

Ausgebrochen war der Streit vor vier Wochen, als bekannt wurde, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Brief an Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer äußerte, daß die Bundesregierung es begrüße, "wenn auch Ärzten und Frauen in Deutschland die Möglichkeit eröffnet würde, im Falle eines Schwangerschaftsabbruches zwischen chirurgischen und medikamentösen Methoden zu wählen".

Der Patentinhaber der umstrittenen Abtreibungspille RU 486, Edouard Sakiz, wertete dieses Kanzlerwort als "positives Signal" und kündigte an, noch im Januar die Zulassung des Präparats auch für Deutschland bei der zuständigen Behörde zu beantragen. Er rechnet damit, daß RU 486 noch 1999 in den meisten europäischen Ländern auf den Markt kommen kann. Bisher hatte Sakiz einen solchen Schritt stets von einer positiven Stellungnahme der Bundesregierung abhängig gemacht. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) hatte ein solches Signal jedoch mit der Begründung abgelehnt, sie würde mit einer positiven Stellungnahme für die Abtreibungspille gegen ihre Aufsichtspflicht verstoßen, da ihr Ministerium die Aufsicht über die Behörde führe, die für die Zulassung von Medikamenten zuständig sei. Für diese Zurückhaltung wurde Andrea Bergmann schließlich von der Zeitschrift Emma angegriffen.

Bisher ist RU 486 in Frankreich, Großbritannien und Schweden zugelassen, nicht aber in den anderen EU-Staaten. Allein in Frankreich, wo das Mittel seit 1988 auf dem Markt ist, werden jährlich 60.000 der 240.000 legalen Abtreibungen mit RU 486 durchgeführt. Nur 600 speziell zugelassene Kliniken sind in Frankreich zur Pillen-Abtreibung berechtigt. In einigen dieser Kliniken soll es üblich sein, den abgetriebenen Fötus anschließend in einem Glasgefäß der Patientin zu zeigen, um der Frau die Tragweite ihrer Handlung vor Augen zu führen.

In Schweden und Großbritannien wurden im gleichen Jahr weitere 240.000 Abtreibungen nach dieser Methode vorgenommen. Patentinhaber Sakiz, der über die Pariser Aktiengesellschaft Exelgyn (Stammkapital: 75.000 Mark) das Mittel vermarktete, besitzt seit 1997 die Europarechte an der Abtreibungspille. Davor lagen diese bei der französischen Herstellerfirma Roussel-Uclaf (Chef: Edouard Sakiz), einem Tochterunternehmen des Hoechst-Konzerns. Dieser entschloß sich im Frühjahr 1997, sich von dem umstrittenen Präparat zu trennen. Allerdings gaben wohl weniger moralische Bedenken den Ausschlag, sondern der drohende Verlust wichtiger Auslandsmärkte: Vor allem in den USA hätte ein Boykott von Hoechst-Produkten durch Lebensschutzgruppen dem Konzern empfindliche Einbußen verursacht. Exelgyn ("exzellente Gynäkologie"), dessen Anteilnehmer wohlweislich verschwiegen werden, erwirtschaftete mit der Abtreibungspille allein im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 7,5 Millionen Mark.

Salzvergiftungen und hormonelle Abtreibungen

Von den fünf gängigen Methoden der Abtreibung werden in Deutschland derzeit vier Methoden angewandt:

Curettage: Bei der Ausschabung wird der Gebärmutterhals mit Metallstiften erweitert, damit der Arzt mit den Instrumenten in die Gebärmutter eindringen kann. Die Abort-Zange ergreift das Kind und zieht es aus der Gebärmutter heraus. Vielfach wird dabei das Kind in Stücke gerissen. Mit einem stumpfen Schabeisen (Curette) wird dann die Gebärmutterwand ausgekratzt. Diese Methode wird zwischen der 7. und 15 Schwangerschaftswoche angewandt. In vielen Fällen kommt zu Infektionen und gesundheitlichen Schäden der Mutter.

Absaugen: Durch den erweiterten Muttermund führt der Arzt einen flexiblen Plastikschlauch in die Gebärmutter ein. Mittels eines Sauggerätes, dessen Sog etwa zehnmal stärker ist als der eines Haushaltsgerätes, wird das Kind in Stücke gerissen. Zuerst werden die Arme und Beine vom Körper getrennt, dann der Rumpf vom Kopf. Da der Kopf für den Schlauch zu groß ist, zerdrückt der Arzt ihn mit Spezialinstrumenten und saugt die Bruchstücke einzeln ab. Die Absaugmethode ist die verbreitetste Form der Abtreibung.

Salzvergiftung: Nach der 16. Lebenswoche wird eine hochkonzentrierte Salzlösung in die Fruchtblase eingespritzt. Das Kind schluckt die zerstörend wirkende Flüssigkeit. Unter heftigen Zuckungen verbrennt es buchstäblich bei lebendigem Leibe. Der Vorgang dauert etwas mehr als eine Stunde. Innerhalb von 24 Stunden bringt die Mutter ein totes Kind zur Welt, dessen Haut völlig verbrannt ist. In manchen Fällen hat das Kind eine solche Abtreibung überlebt.

Prostaglandin: Bei dieser hormonalen Abtreibung verursachen Hormonsubstanzen, die in die Gebärmutter-Muskulatur gespritzt werden, so starke Kontraktionen des Uterus, daß das Kind aus dem Mutterleib ausgestoßen wird. In manchen Fällen wird dabei der Kopf vom Rumpf gerissen, manchmal wird das Kind aber auch lebendig ausgestoßen und dann dem Tod überlassen. Wehenauslösende Mittel werden bei Abtreibungen nach der 12. Schwangerschaftswoche eingesetzt.

Der "Tötungsfahrplan" der Abtreibungspille

Gegenüber diesen chirurgischen Methoden wird die Abtreibungspille RU 486 vielfach als "sanfte und schonende" medikamentöse Methode propagiert. Das sei falsch und irreführend, so der Sprecher der Lebensschutzorganisation KALEB, Walter Schrader. Die Tötungsprozedur mit diesem Präparat sei vielmehr "langwierig, schmerzhaft und risikoreich". Einzelheiten dieses "Tötungsfahrplanes" werden deshalb wohlweislich verschwiegen: Begonnen wird mit einer Ultraschalluntersuchung, um das genaue Alter des Kindes zu bestimmen. Seit der Empfängnis dürfen höchstens 49 Tage vergangen sein. Die Schwangere schluckt dann unter ärztlicher Aufsicht drei Tabletten, die jeweils 200 Milligramm Mifepriston enthalten, und wird mindestens zwei Stunden überwacht, da der mütterliche Körper das Kind oft durch Erbrechen des Mittels zu schützen versucht. Danach wird die Schwangere entlassen. Binnen 48 Stunden können Blutungen und sogar Krämpfe auftreten. Zwei Tage später wird der Schwangeren zur Austreibung des Kindes ein künstliches Prostaglandin verabreicht. Bei bis zu 90 Prozent der Frauen ist das Kind nach sechs Stunden dann ausgestoßen. Bei einem Prozent der Frauen sind Notausschabung und Bluttransfusion erforderlich. Nachträgliche Blutungen von zehn bis zwölf Tagen sind keine Seltenheit. Nicht angewandt werden kann RU 486 bei starken Raucherinnen und Schwangeren, die älter als 35 Jahre sind, sowie bei Frauen, die an Kreislaufbeschwerden, Asthma oder chronischer Bronchitis leiden.

Die Pille entzieht dem Kind die Nährstoffe

Ähnlich wie bei anderen Methoden muß auch bei der Abtreibungspille das Ungeborene höllische Qualen erleiden: RU 486 verdrängt die Wirkung des natürlichen Schwangerschaftshormons, das für adäquate Ernährung des wachsenden Kindes sorgen soll. Der mütterliche Organismus stoppt somit die Zufuhr der Nährstoffe und läßt das Kind langsam verhungern, verdursten und ersticken.

Der besondere "Vorteil" der Abtreibungspille liegt vor allem also darin, daß der Arzt in der Regel nicht selbst Hand anlegen muß. Abtreibender ist nicht mehr der Arzt, sondern die Schwangere selbst. Die psychischen Folgen für die Frauen sind verheerend. RU 486 ist also "allein gut für verantwortungslose Männer und die Bilanzen des Pharmaunternehmens", so Ursula Toaspern, KALEB-Vorsitzende. Ähnlich sieht es auch die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), Johanna Gräfin von Westphalen: "Mit der Einführung der Abtreibungspille wird die Tötung der ungeborenen Kinder weiter privatisiert. Das ist eine unerträgliche Zumutung für die Frauen und entläßt die Männer aus ihrer Verantwortung für Mutter und Kind."

Was aber schon jetzt in der Diskussion um die Zulassung der Abtreibungspille deutlich wird: Die Hemmschwelle gegen Schwangerschaftsabbrüche wird weiter sinken, die Schwangeren werden sich dem Druck der Partner ("Nimm die Pille!") immer schwerer widersetzen können. Auf ihnen allein lastet die Verantwortung. Die psychischen Spätfolgen bei Frauen werden zunehmen, da eine Verantwortungs- und Schuldverlagerung auf den abbrechenden Arzt nicht mehr möglich sein wird. Alpträume, Depressionen und Selbstmordversuche können die Folge sein. Und auch die kurze Zeitspanne, in der die Entscheidung getroffen werden muß, läßt die Befürchtung aufkommen, daß den Frauen keine Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten bleibt und todbringende Entscheidungen Hals über Kopf gefällt werden.

Daß RU 486 tatsächlich kein "Heilmittel" ist und selbst von Feministinnen als "Strafe für die Frauen" angesehen wird (verwiesen sei auf den von Renate Klein herausgegebenen Band "Die Abtreibungspille RU 486. Wundermittel oder Gefahr", Konkret Literatur Verlag), sollte ebenfalls nachdenklich stimmen.


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