© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Karlheinz Weißmann: Der nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890 bis 1933
Propagandistischer Trommler
Lothar Höbelt

Karlheinz Weißmann hat mit seinem letzten Buch "Der Weg in den Abgrund" gleichzeitig ein Stück Sittengeschichte der BRD geschrieben – ein Stück, das Moralisten zur Empörung über ein Akt versuchter Zensur verführen könnte, dessen Ausgang aber doch mehr zu homerischem Gelächter über die "Geschäfts-Führer" eines Verlages herausfordern sollte, die eine Menge gutes Geld zahlen, um ein gewinnbringendes Buch nicht mehr vertreiben zu müssen. So verweist die deutsche Wirtschaftselite der neunziger Jahre sogar noch die sowjetische der achtziger in ihre Schranken.

Nun hat Weißmann die Vorgeschichte zu seiner Geschichte nachgeliefert. Die freilich nicht als Vorgeschichte konzipiert ist, obwohl sie meistens so dargestellt wird. Es geht nicht um Hitlers Vorläufer, sondern um Hitler als Epigone einer Tradition, die lange vor den Krieg zurückreicht. Der Nationalsozialismus als Herrschaftssystem ist Teil des Phänomens des Totalitarismus, wie es überhaupt erst nach dem "Großen Krieg" 1914/18 praktisch möglich erschien, der alle bisherigen Maßstäbe von persönlicher Autonomie und staatlicher Gewalt nachhaltig verrückt hatte. Der Nationalsozialismus als politische Bewegung jedoch griff auf zwei Muster zurück, die seit der fundamentalen Umwälzung der alteuropäischen Lebensformen im neunzehnten Jahrhundert, seit Industrieller Revolution und Urbanisierung, im Raum standen.

Da war zum einen eben der nationale Sozialismus: Theoretisch mochte sich der Sozialismus international gebärden, für Gewerkschafts- und Untergrundbewegungen war diese Solidarität über die bestehenden Grenzen hinweg auch ein praktisches Erfordernis. Ein zur Macht gelangter Sozialismus aber war notwendigerweise auf den Rahmen des bestehenden Nationalstaates angewiesen. Ein Impuls wie z.B. der Nationalitätenkonflikt innerhalb der Habsburger Monarchie ließ diesen Sprung auch theoretisch nachvollziehen. Die tschechischen Nationalsozialisten und Mussolini sind nur die besten Beispiele dafür.

Die zweite Wurzel aber war der Cäsarismus, "die Massenpolitik von oben", der Rückgriff auf plebiszitäre Bestätigung durch charismatische Führergestalten mit ambivalenter politischer Stoßrichtung, ein "Bonapartismus", oder besser noch: Boulangismus, wie Weißmann es mit Bezug auf das französische Beispiel vorexerziert. Dort sammelte sich hinter dem General Boulanger in den achtziger Jahren eine Bewegung, die mit dem Revanchegedanken für die Niederlage von 1870/71 eine explosive innenpolitische Mischung verband, die traditionelle "linke" und "rechte" Elemente kombinierte. Niemand geringerer als André Gide bezeichnete die Machtergreifung Hitlers 1933 denn auch als einen "Boulangismus, der Erfolg hat".

Mehr als ihre Epigonen trug diese französische Bewegung gegen ihr "Weimar", gegen die "Dritte Republik", den Charakter einer "Revolte gegen den Positivismus", einer "ästhetischen Opposition" gegen die herrschenden Zustände, die in vielem den "heroischen Realismus" der Konservativen Revolution der Weimarer Zeit vorwegnahm – doch das war, wie Weißmann treffend anmerkt, eben eine Haltung, kein Programm einer politischen Konfession. Der nationale Sozialismus brachte demgegenüber eine technokratische Komponente planmäßig in Szene gesetzter gesellschaftlicher Umwälzungen ein, das Konzept des "social engineering", wie es sogar in England mit Lord Milners Kreis Fuß faßte. Gemeinsam war ihnen der Ausgangspunkt im "Glaubwürdigkeitsverlust jener Zukunftserwartungen", die ursprünglich mit dem Liberalismus verknüpft gewesen waren.

Weißmanns Geschick besteht darin, keine dieser beiden Wurzeln zu verabsolutieren, sondern das Wechselspiel zwischen beiden zu verfolgen, die Pendelausschläge zwischen links und rechts, die den Aufstieg Mussolinis wie Hitlers begleiten. Seine knappe Darstellung des Aufstiegs der NSDAP bringt den Leser in übersichtlicher und lesbarer Form auf den neuesten Stand der Forschung. Das Wesen dieses Nationalsozialismus ließ sich schwer auf eine Formel bringen. Nationalökonomisch mochte die noch einfach lauten: Autarkie plus Keynesianismus. Doch für Hitler war die Wirtschaft nur Mittel zum Zweck. Diesen Zweck faßt Weißmann zusammen: "die umfassende soziale Integration der Glieder einer Nation zum Zwecke einer wie auch immer definierten Selbstbehauptung". Hitler war kein Theoretiker: Er wehrte sich gegen "die ewig schwankende und unsichere wissenschaftliche Theorie"; der Trommler war in erster Linie Propagandist, ein Praktiker des post-demokratischen Zeitalters. Diese Konzentration auf die Kommunikation, unabhängig von den Inhalten, macht den "Führer", mögen seine rhetorischen Kniffe auch zuweilen altmodisch und zeitbedingt erscheinen, wiederum zu einem sehr modernen Menschen.

Weißmann ist für seine Generation gelungen, was der Geschichtsphilosoph Ernst Nolte erstmals Anfang der sechziger Jahre mit seinem bahnbrechenden "Faschismus in seiner Epoche" als Pioniertat angepeilt hatte: Die Einordnung des angeblich Einmaligen und spezifisch Deutschen in den Kontext der europäischen Politik. Epigonen hat der Boulangist, der Erfolg hatte, aber vor allem außerhalb Europas gefunden, wo jede Menge nationaler Sozialismen grassieren. Dieser Perspektive nicht energischer nachgegangen zu sein, hat Hitler sich gegen Ende des Dritten Reiches schon selber vorgeworfen. Aber das wäre schon wieder ein Thema für einen weiteren Band. Lothar Höbelt

 

Karlheinz Weißmann: Der nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890 bis 1933, Herbig Verlag, München 1998, 368 Seiten, 44 Mark


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