© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/99 08. Januar 1999


Nachruf: Zum Tode des Historikers und Publizisten Sebastian Haffner
Ein legendärer Preuße
Georg Willig

Neben Sebastian Haffner,dem glänzenden Journalisten, dem es in diesem Metier darum ging, das, was er sah, zugespitzt und dramatisiert darzustellen, stand Sebastian Haffner, der Historiker, der behutsam den Kern der Probleme umkreiste und den Leser an der Entwicklung seiner Gedanken teilhaben ließ. In den besten seiner Werke ist ihm die Symbiose dieser beiden so konträren Fähigkeiten gelungen: In den Büchern "Churchill" (1967) "Anmerkungen zu Hitler" (1978) und "Preußen ohne Legende" (1979).

In den "Anmerkungen zu Hitler", ausgezeichnet mit dem Heine-Preis der Stadt Düsseldorf, zieht Haffner die Bilanz seiner lebenslangen Beschäftigung mit dieser verhängnisvollen Gestalt der deutschen Geschichte. Gleichzeitig behält er aber dabei im Auge, daß mit dieser Figur die deutsche Geschichte nicht erklärt ist. So schreibt er: "Hitlers Verhältnis zu Deutschland hatte von Anfang an Seltsamkeiten aufgewiesen. Einige englische Historiker haben im Krieg zu beweisen versucht, daß Hitler das sozusagen vorbestimmte Produkt der ganzen deutschen Geschichte gewesen sei; daß von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck eine gerade Linie auf Hitler zulaufe. Das Gegenteil ist richtig. Hitler steht in keiner deutschen Tradition, am wenigsten in der protestantisch-preußischen, die, Friedrich und Bismarck nicht ausgenommen, eine Tradition nüchtern-selbstlosen Dienstes am Staatswohl gewesen ist. Dreiunddreißig Jahre nach Hitlers Selbstmord hat niemand in Deutschland auch nur die kleinste politische Außenseiterchance, der sich auf Hitler beruft ... weniger gut ist, daß viele Deutsche sich seit Hitler nicht mehr trauen, Patrioten zu sein. Denn die deutsche Geschichte ist mit Hitler nicht zu Ende. Wer das Gegenteil glaubt und sich womöglich darüber freut, weiß gar nicht, wie sehr er damit Hitlers letzten Willen erfüllt."

Die deutsche Geschichte endet nicht mit Hitler

Haffner emigrierte 1938 nach England und arbeitete dort als Journalist, zuerst für die deutsche Die Zeitung, später vor allem für den Observer.1940 erschien in London sein Buch " Germany: Jekyil and Hyde", mit dem er seinen neuen Landsleuten die ja noch immer wirksamen Illusionen über das "Dritte Reich" zerstören wollte.

In diesem "leidenschaflichen Plädoyer gegen Hit1er und den Nationalsozialismus" sah der Historiker Hans Mommsen ein erstrangiges zeitgenössisches Zeugnis für die Auffassungen der entschiedenen Gegner des Regimes, die in mancher Hinsicht der späteren historischen Analyse vorgreifen.

Haffner kam darin zu der Einsicht, daß sich Hitler nicht an "sein Programm und seine Ideen gebunden fühle", daß er ein "Hasardeur" sei, ein "potentieller Selbstmörder par excellence", der alles risikieren werde, um seine Macht zu vergrößern, "die allein zwischen ihm und dem raschen Tod" liege, den er sich notfalls zufügen werde. Daß die Westmächte diesen nur "schlecht getarnten Banditen" als gleichgestellten Staatsmann anerkannten, war für den damals gerade erst 32- jährigen Haffner unverständlich.

Auch in dem schmalen Band "Der Teufelspakt. Die deutsch-russischen Beziehungen vom Ersten zum Zweiten Weltkriegt" ist die Fähigkeit Haffners, komplizierte Zusammenhänge und eine wechselvolle Geschichtsperiode in einem klaren und knappen Stil zu erhellen und verständlich zu machen, bewundernswert. Haffner erinnert in diesen Essay daran, daß es ohne die deutsche Starthilfe die Sowjetunion vermutlich gar nicht gäbe. Der "Teufelspakt" war für ihn schon 1917 der Pakt zwischen der deutschen Reichsleitung und Lenin, dem "unbewußten, aber unbezahlbaren Bundesgenossen" gegen den Zaren. Haffner ist davon überzeugt, daß nur durch die kostspielige deutsche Unterstützung die Krise der Revolution im Sommer 1918 überwunden werden konnte. Den Todeskampf zwischen Stalin und Hitler faßt er in einer Formel zusammen, der nur dann zu widersprechen ist, wenn man unter "Vernunft" etwas anderes als Folgerichtigkeit versteht: Stalins Grundgedanke hieß "Sozialismus in einem Land", Hitlers Grundgedanke "Lebensraum im Osten". Nun sei klar, folgert Haffner, "warum es zwischen Hitlers Deutschland und Stalins Rußland zu einem Zusammenstoß von beispielloser Furchtbarkeit kommen mußte; und man erkennt mühelos, warum Rußland diesen Zusammenstoß überstand und Deutschland nicht: weil nämlich Stalins Grundgedanke, bei aller Maßlosigkeit und Grausamkeit seiner Methoden, vernünftig und Hitlers Grundgedanke phantastisch war."

Sein Urteil über die DDR war weniger hellsichtig

Die Hellsichtigkeit des Historikers, die Haffner schon frühzeitig gegenüber dem Nationalsozialismus bewies, wurde in seinen späteren Jahren beim Blick auf die Wirklichkeit des "realen Sozialismus" in der DDR getrübt, als er in seinen wöchentlichen Kolumnen für den Stern zu einem der entscheidenden Wegbereiter der Brandtschen Ostpolitik wurde. Er ging in seinem Enthusiasmus sogar so weit, 1966 Ulbricht, den ersten Staatsratsvorsitzenden der DDR, als den erfolgreichsten deutschen Politiker seit Bismarck und neben Adenauer zu würdigen: "Er hat einen Staat gegründet und hat ihn gegen alle Erwartungen konsolidiert. Seine DDR ist heute weder von innen noch von außen zu erschüttern; und in der kommunistischen Welt ist er eine Figur ersten Ranges geworden ... Der Beweis, daß eine intelligent geleitete sozialistische Planwirtschaft nicht weniger leistungsfähig sein muß als eine kapitalistische Marktwirtschaft, ist in der DDR – und nur dort – erbracht; und nichts verbindet die kommunistische Führung und die Bevölkerung der DDR so sehr wie der Stolz darauf, daß er gerade in Deutschland erbracht worden ist. Ulbrichts Staat steht, seine Wirtschaft steht." Hier konnte man wohl nicht mehr von Klarsichtigkeit sprechen.

Sebastian Haffner zog sich 1975 vom Tagesjournalismus zurück. Ihm blieben noch 23 Jahre, um sich dem zu widmen, was im Zentrum seines Denkens lag: Mit "Hitler" und "Preußen ohne Legende" wurde er in diesen Jahren zum großen historischen Schriftsteller. Erfolg und Bewunderung blieben nicht aus... Am 2. Januar 1999 starb der 1907 in Berlin als Raimund Pretzel geborene Sebastian Haffner in Berlin.


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