© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Doppelte Staatsbürgerschaft: Der Widerstand gegen das Regierungsvorhaben wächst
Putsch gegen das Volk
Dieter Stein

Die frischgebackenen Oppositionsparteien CDU und CSU befinden sich in einem schwierigen Drahtseilakt. Selbst an der Regierung waren sie vehemente Gegner von Plebisziten auf Bundesebene. Volksabstimmungen sahen die Regierenden stets als Einschränkung ihrer Allmacht. Eben erst bei der Einführung des Euro war die Kohl-CDU heilfroh gewesen, daß man das Volk nicht hatte fragen müssen – es hätte die Gemeinschaftswährung mehrheitlich abgelehnt. Nun ist plötzlich alles anders.

Kaum selbst auf den Oppositionsbänken gelandet, entdeckt die Union die Liebe zum eigenen Volk neu und fordert in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft eine Einbeziehung des demokratischen Souveräns, des deutschen Volkes. Eine grandiose Idee. Nur wird sie der Union wegen ihres früheren entgegengesetzten Verhaltens zu Recht von Kritikern um die Ohren gehauen.

Dabei artikuliert die Union mit Recht Sorgen angesichts des rot-grünen Regierungsvorhabens. Innenminister Otto Schily hatte gegenüber der Presse erklärt, daß die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Staatsbürgerrechtsnovelle eine fundamentale Änderung des deutschen Staatsverständnisses bedeute. Der Bonner Staatsrechtler Joseph Isensee sprach infolgedessen gar vor einigen Tagen in einem Zeitungsinterview von einem "Staatsstreich durch das Parlament". Die generelle doppelte Staatsbürgerschaft bedeute eine obrigkeitliche Umdefinition außerhalb der verfassungsrechtlichen Befugnisse des Parlaments. Isensee bestätigt Schilys Aussage und erklärt, daß es bei diesem Vorhaben die "Fundamente unseres Staates" bedroht seien und "die nationale Einheit planmäßig aufgesprengt" werde.

In den vergangenen Tagen haben sich nun die Kontrahenten im Bundestag leicht aufeinander zubewegt. Zu erwarten ist wohl, daß die Vorschläge der Bundesregierung noch einmal modifiziert werden. Anstelle der doppelten Staatsbürgerschaft wird dann der von der FDP gemachte Vorschlag aufgegriffen werden, in Deutschland geborenen ausländischen Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr die Möglichkeit zweier Staatsangehörigkeiten zu eröffnen und diese mit einer Optionspflicht nach dem 18. Lebensjahr zu versehen.

So oder so bleiben die Pläne der Bundesregierung abenteuerliche Augenwischerei. Mit dem Mittel massenhafter Einbürgerungen mittels "Discountstaatsangehörigkeit im Doppelpack" (Isensee) versuchen die Befürworter eklatante Probleme in den sozialen Brennpunkten zu kaschieren. Ob mit oder ohne Paß: In vielen Stadtteilen von Berlin, Frankfurt und Hamburg sind Abwanderungsbewegungen deutscher Einwohner aus den anwachsenden Ghettos zu registrieren. Die ursächlichen Probleme werden nicht durch das Verteilen von Pässen per Postwurfsendung gelöst. Es degradiert zudem die deutsche Staatsangehörigkeit zu einem läppischen Stück Papier zwischen zwei Pappdeckeln, zu dessen Erwerb keine Integrationsleistungen zu erbringen sind. Trotz seines "modernen" Staatsbürgerrechts nach dem jus soli kämpft Frankreich mit schweren sozialen Problemen der aus Nordafrika stammenden französische Staatsbürger.

Die Mehrheit der SPD-Wähler und auch der Mitglieder sind keine Anhänger der doppelten Staatsbürgerschaft. Darüber hinaus ist es bezeichnend, daß die SPD bei der Staatsbürgerrechtsnovelle sogar die beiden großen Kirchen gegen sich hat, die zaghaft Bedenken gegen den Doppelpaß angemeldet haben. Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, Hans Joachim Meyer, kritisierte das Entstehen doppelter Loyalitäten: "Nur wer über die Rechte die Pflichten vergißt, kann aus der doppelten Staatsbürgerschaft ein Ideal machen."

Wenn es der Union gelingt, nachhaltigen öffentlichen Widerstand gegen das Vorhaben der Bundesregierung zu organisieren, könnte sie Erfolg haben und auch einen Grundstein für kommende Wahlsiege legen. Die Entschlußfreude scheint jedoch gebremst. Zudem muß sich die Union gegen den publizistischen Widerstand selbst von Zeitungen durchsetzen, die nicht als SPD-nah gelten. So sieht die FAZ bei der Aktion "Hilflosigkeit und Desorientierung": "Wünschen Unions-Wähler in dieser Weise mobilisiert zu werden? Lieben sie es, sich mit Unterschriften, auf Flugblättern zu verewigen?"

Die Union müßte den Mut aufbringen zu einem politischen Kulturkampf: Es geht um die Wahrung der Demokratie! Elementare Veränderungen der verfassungsrechtlichen Ordnung dürfen eben nicht "hinter dem Rücken des Souveräns" (Thomas Schmid in der Welt) vollzogen werden. Ob jüngere CDU-Politiker dazu in der Lage sind? Das bedeutet, einzugestehen, daß Entscheidungen am Souverän vorbei wie die Euro-Einführung ein fundamentaler Fehler waren.


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