© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Unantastbar
von Bernd-Thomas Ramb

Je mehr sich das wütende Protestgeschrei des Europaparlaments gegenüber der verschwenderischen und korrupten EU-Kommission steigert, um so gelassener bleibt EU-Präsident Santer. Auch die EU-Kommissare bleiben zynisch und kalt wie kommunistische Despoten auf der Höhe ihrer Macht. Santer durchschaut und beherrscht das Brüsseler Spiel um Macht und Ohnmacht wie kein anderer und läßt Europaparlamentarierer wie Regierungschefs nach seiner Pfeife tanzen. Sein Taktstock ist eine Keule mit dem Namen EU-Krise.

Nichts wird – noch dazu in Zeiten der Euro-Einführung – in Europa so gefürchtet wie eine sogenannte EU-Krise. Das ist eine im Kern begründete Kritik an der Fehlentwicklung des Maastricht-Europas, die den angeblichen Fortschritt der europäischen Vereinigung in Frage stellt. Ein solches Mäkeln ist europafeindlich und damit tunlichst zu unterlassen. Nach diesem bewährten Muster hat sich EU-Greenhorn Schröder in Rekordzeit über den Tisch ziehen lassen. Santers Drohung, ein Mißtrauensvotum gegenüber der EU-Kommission würde der deutschen EU-Präsidentschaft eine blamable Amtszeit bescheren und sowohl die Osterweiterung als auch die Agenda 2000 in Frage stellen, reichte dem Kanzler aus, seinen sozialistischen Genossen im Europaparlament durch dezente Neutralitätshinweise die Unterstützung zu entziehen. Diese hatten ohnedies ihren Mißtrauensantrag allein aus taktischen Gesichtspunkten gestellt. Der konkurrierende und ernsthaftere Mißtrauensantrag der liberalen Fraktion und der Europa-Grünen sollte damit mehrheitsunfähig werden. Das Operettenparlament konnte beruhigt tagen.

Die EU-Burleske mit melodramatischem Anstrich ist in mehrfacher Hinsicht ein Lehrstück. Erstens verdeutlicht sie, daß das Europaparlament gerade dann, wenn es wirklich einmal die Chance hat, der EU-Kommission die Zähne zu zeigen, letzendlich untertänig brüsselhörig wird. Vorrang hat stets die "Meisterung der Krise", die den Bestand der Europäischen Union gefährden könnte – und Maßstab dafür ist der Bestand der EU-Kommission. Zweitens wird erneut bewiesen, daß die EU-Krisen-Keule auch nationale Staatschefs zu beeindrucken vermag, insbesondere wenn diese die Präsidentschaft im EU-Ministerrat innehaben und sich zu europapolitischen Erfolgsmeldungen genötigt sehen. Drittens demonstriert dies nicht nur die Allmacht des EU-Präsidenten. Seine kollektivistische Sicht der untrennbaren Verantwortung in der Brüsseler Kommission erhebt jeden EU-Kommissar zur unantastbaren Person – auch den korruptesten.


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