© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


CDU: Peter Altmaier über den Sinn der Umfrageaktion von CDU/CSU zur Einbürgerung
"Die Integration hat Vorrang"
Karl-P. Gerigk

Sie gehörten zu den Kritikern innerhalb der CDU zur Fragebogenaktion über das Staatsbürgerschaftsrecht. Sind Sie nach der Klausur in Königswinter jetzt auf der Linie von Parteichef Wolfgang Schäuble?

Altmaier: Die Frage der Integration steht für die CDU jetzt eindeutig im Vordergrund. Es wird von der CDU ausdrücklich gesagt, daß wir die hier lebenden Ausländer als eine Bereicherung für unser Land betrachten. Nun kommt es darauf an, auch die Unterschriftenaktion in diesem Sinne zu formulieren. Es muß auch der geringste Anschein vermieden werden, daß sie gegen ausländische Mitbürger gerichtet ist.

Worin besteht denn jetzt noch der Dissens zwischen Ihnen und der Parteiführung?

Altmaier: Die CDU hat in den letzten Jahren versäumt, ein schlüssiges Konzept zur Zuwanderungs- und Staatsbürgerschaftsproblematik vorzulegen. Dies hat dazu geführt, daß wir Wähler sowohl am rechten Rand wie in der Mitte verunsichert und verloren haben. Dies muß korrigiert werden. Wenn wir die Pläne von Rot-Grün zur generellen Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft überzeugend und glaubwürdig ablehnen wollen, dann müssen wir auch ein überzeugendes glaubwürdiges Konzept in der Frage des Staatsbürgerrechtes beschließen. Dieses Konzept liegt allerdings bislang nicht vor.

Welchen Sinn hat denn überhaupt eine solche Umfrage? Sie ändert die parlamentarischen Mehrheiten nicht und der Bürger hat sich im September doch offensichtlich für das rot-grüne Bündnis ausgesprochen?

Altmaier: Grundsätzlich sind Unterschriftensammlungen ein legitimes Mittel der Politik. Bei einem solchen Thema ist jedoch Vorsicht geboten. Denn unter dem Schlagwort doppelte Staatsbürgerschaft können sich vielfältige Ressentiments gegen Ausländer bündeln. Außerdem besteht die Gefahr, daß eine letztendlich erfolglose Unterschriftenaktion unsere Basis zusätzlich demotiviert.

Belegt die CDU damit die Themen rechter Parteien?

Altmaier: Ich sehe für die Union keinen Nutzen in einer Emotionalisierung dieser Fragen. Der Schuß könnte schnell nach hinten losgehen. Deshalb muß das Ziel klar sein. Die Integration steht im Vordergrund, und wir müssen die gesellschaftliche Realität von acht Millionen Ausländern akzeptieren. Wenn wir im wohlverstandenen deutschen Interesse Politik machen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß über die nächsten 20 bis 30 Jahre eine erfolgreiche Integration stattfinden kann. Wachsende soziale Spannungen führen zu Desintegration und gefährden den inneren Frieden.

Mit der Einbürgerung macht Otto Schily etwa vier Millionen Ausländer zu neuen Wählern. Sehen Sie eine Chance, daß die CDU dieses Wählerpotential erschließt oder sind das jetzt alles potentielle SPD-Mitglieder?

Altmaier: In den letzten Jahren haben wir sehr viel dafür getan, diese Wähler in die Arme der SPD zu treiben. Es wird ein schwieriger und mühseliger Prozeß sein, diese Menschen wieder für die Christdemokraten zu gewinnen. Aber die Mehrheitsfähigkeit der CDU, vor allem in großen Städten wie Frankfurt oder Berlin wird davon abhängen, ob sie im Stande sein wird, bei den neuen Bürgern in vergleichbarer Weise Akzeptanz zu finden wie beim Rest der Bevölkerung.

Mit einer doppelten Staatsbürgerschaft entstehen doppelte Loyalitäten, insbesondere im Krisenfall. Schon die Ableistung des Wehrdienstes stellt die Paß-Inhaber vor die Frage, für wen er gegebenenfalls in den Krieg ziehen soll, wenn es soweit kommt. Wie beantworten Sie dieses grundlegende Problem?

Altmaier: Loyalität ist keine juristische Kategorie. Wie man im Herzen fühlt, hängt nicht davon ab, ob man einen oder zwei Pässe besitzt. Viele Türken, die seit Jahren in Deutschland leben und arbeiten, sind unserem Staat gegenüber loyaler als zum Beispiel RAF-Terroristen und vergleichbare Gruppierungen der siebziger Jahre. Probleme wie die Ableistung des Wehrdienstes oder Ersatzdienstes lassen sich immer und vor allem im konkreten Fall lösen. Zum Beispiel unterliegen Deutsche, die ihren ständigen Wohnsitz im Ausland haben, der Wehrerfassung. Und auch bei den jungen Türken in Deutschland ist es im Augenblick so, daß die allermeisten weder in Deutschland noch in der Türkei ihren Dienst ableisten. Das halten wir nicht für gut. Es wäre in unserem Interesse, diese Menschen in die Bundeswehr zu integrieren. Wenn sie sich dort als gleichberechtig und gleichwertig akzeptiert fühlen, wird dies ihre Hinwendung zu Deutschland erleichtern. Deshalb haben wir schon früher vorgeschlagen, daß hier in Deutschland geborene Kinder (sofern ihre Eltern rechtmäßig und dauerhaft hier leben) mit der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, sich allerdings nach Erreichen der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Wir wollen keine doppelte Staatsangehörigkeit auf Dauer, aber die hier geborenen Kinder müssen die Möglichkeit haben, als Bürger diese Landes aufzuwachsen: Von Anfang an und mit allen Rechten und Pflichten. Dazu gehört auch die Ableistung des Wehr- oder Ersatzdienstes.

Zu den Rechten, die mit dem Paß erworben werden gehört auch die Absicherung für Notfälle, also die Sozialhilfe. Der Ausländer, der einen deutschen Paß haben will, muß sich, so die SPD-Vorstellungen, jedoch selbst ernähren können. In der Praxis soll dies aber großzügig gehandhabt werden. Führt das nicht zu enormen finanziellen Mehrbelastungen?

Altmair: Die gesamte Diskussion um Randfragen die lösbar sind, verdeckt doch das eigentliche Problem. Es geht um die Frage, wer eigentlich Deutscher werden soll. Große Demokratien wie die Vereinigten Staaten oder Großbritannien und Frankreich stellen hohe Anforderungen an die Vergabe der Staatsangehörigkeit. In diesen Ländern ist es dann aber egal, ob der betreffende danach noch eine, zwei oder drei weitere Staatsanghörigkeiten hat. Ich denke wir können nur jemanden zu einem Deutschen machen, der sich zu den Grundsätzen unserer Verfassung bekennt. Demokratie und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gehören zu diesen Grundsätzen. Auch muß er hinreichende Deutschkenntnisse haben und darf nicht vorbestraft sein. Darüber hinaus muß er imstande sein, seinen eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.Wenn jemand aber viel Jahre hier gearbeitet hat, Steuren und Abgaben gezahlt hat, dann muß er schon jetzt unser Land nicht verlassen, wenn er unverschuldet arbeitslos wird und irgendwann Leistungen der Sozialhilfe erhält. Die Reform wird keinesfalls dazu führen, daß Menschen ohne eigene Ressourcen neu in unser Land kommen können.

Nach den Aussagen von Wolfgang Schäuble will die CDU auch darauf hinwirken, daß es eben keine unkontrollierte Einwanderung gibt. Existiert hier ein konkretes Konzept, wie dies verwirklicht werden soll?

Altmaier: Das ist meine Kritik. Wir haben die Unterschriftenaktion angekündigt ohne ein überzeugendes Konzept zu haben, das einerseits die Ängste der deutschen Mitbürger ernstnimmt und andererseits auch den Erwartungen der ausländischen Mitbürger Rechnung trägt.Wir müssen eingestehen, daß wir es nicht geschafft haben, die Ängste der Menschen vor Zuwanderung rechtzeitig auszuschalten. Otto Schily hat uns da mit seiner These, die Grenze der Belastbarkeit sei überschritten, populistisch überholt.Wir haben auch kein Konzept vorgelegt, das von den ausländischen Mitbürgern als Signal für eine umfassende Integration hätte verstanden werden können. Dazu gehört allerdings auch der intensive Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen, die in irgendeiner Weise betroffen sind. So hat es der Bundesvorstand in Königswinter beschlossen. Ich stelle mir vor, daß die Union, bevor sie eine Gesetzesvorlage in den Bundestag einbringt, eine breite Anhörung zum Beispiel unter der Beteiligung von Ausländerorganisationen und Kindern durchführt.

Der Staatsrechtler Karl Döring hat gegenüber unserer Zeitung erklärt, daß das Grundgesetz vor dem Hintergrund eines eindeutigen kulturellen Verständnisses verfaßt worden ist. Mit der Zusammensetzung des Staatsvolkes wird sich dieser kulturelle Hintergrund verändern.

Altmaier: Unsere Verfassung ist zwar vor dem Hintergrund eines damalig existierenden kulurellen Kontextes entstanden. Dieser hat sich jedoch verändert. Die Verfassungswirklichkeit ist heute eine andere. Letztlich entscheiden die Menschen, die in Deutschland zusammen leben, auch gemeinsam, was ihre Kultur ist.

Bundesinnenminister Otto Schily spricht ausdrücklich von einer grundlegenden Änderung des Staatsverständnisses. Denken Sie auch, daß das abstammungsgebundene Staatsbürgerrecht überholt ist?

Altmaier: Nein. Das Abstammungsprinzip gilt in allen Demokratien. Wir müssen es lediglich ergänzen, und zwar aus unserem eigenen nationalen Interesse heraus. Es ergibt keinen Sinn, Kinder, die hier geboren werden, 18 Jahre lang als Ausländer aufwachsen zu lassen, um sie dann unter großen Schwierigkeiten zu "integrieren".

Edmund Stoiber warnt vor der Einbürgerung potentieller Terroristen und Krimineller.

Altmaier: Es gibt auch potentielle Terroristen, die Deutsche sind. Nicht jeder Kurde ist ein potentieller Terrorist. Nicht jeder Ausländer ist potentiell kriminell, genausowenig wie die Deutschen. Deshalb habe ich die pauschalen Äußerungen von Edmund Stoiber als unerträglich empfunden. Sie haben der Union auch geschadet. Durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz kann man zum Beispiel verhindern, daß tatsächliche oder potentielle Gewalttäter eingebürgert werden.

 

Peter Altmaier ist Mitglied im Rechts- und Europa-Ausschuß des Deutschen Bundestages. Nach Abitur und Grundwehrdienst studierte er Rechtswissenschaft an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Der am 18. Juni 1958 geborene Jurist qualifizierte sich zu europäischen Fragen im Aufbaustudiengang Europäische Integration am Europa-Institut der Saar-Uni. Zwischen 1985 und 1987 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Staats- und Völkerrecht, danach, von 1988 bis 1990, am Europa-Institut. Als Beamter der Europäischen Kommission arbeitete er in der Generaldirektion V (Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten) von 1990 bis 1994 in Brüssel. Für den Wahlkreis Merzig und Saarlouis ist er seit 1994 im Bundestag.


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