© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/99 15. Januar 1999


Irak: UN-Waffeninspekteure sollen für die USA spioniert haben
Ein Land unter Kontrolle
Michael Wiesberg

Mit dem Vorwurf, daß die UN-Waffeninspekteure ihr UN-Mandat für Spionagetätigkeit zugunsten der USA mißbraucht haben sollen, hat die Konfrontation zwischen dem Irak und den USA eine neue Qualität erreicht. Zum ersten Mal kommen westliche Medien und Politiker nicht mehr umhin, einzuräumen, daß ein zentraler Vorwurf der Iraker an die Adresse der USA einer gewissen Substanz nicht entbehrt. Daß der Spionagevorwurf, der insbesondere auf den Vorsitzenden der Unscom, Richard Butler, gemünzt ist, von diesem bisher bestritten wird, spielt dabei kaum noch eine Rolle.

Auffällig ist weiter, wie stark sich in dieser Affäre amerikanische Zeitungen wie z.B. die New York Times oder die Washington Post engagieren. Sie berichteten, daß Waffeninspekteure der Unscom die amerikanischen Geheimdienste vor allem über Gespräche zwischen Mitarbeitern der irakischen Sicherheitsdienste informiert hätten. Darüber hinaus sollen die Erkenntnisse der Waffeninspekteure den Amerikanern zur Vorbereitung des jüngsten Militärschlages gegen den Irak gedient haben. Dieser Vorgang käme einer eklatanten Verletzung des UN-Mandats gleich.

Die Reaktion des Irak auf diese Enthüllungen ist bisher eher verhalten ausgefallen. Warum dem so ist, darüber können nur Mutmaßungen angestellt werden. Am wahrscheinlichsten ist, daß sich die USA entschlossen haben, den Stein des Anstoßes der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen dem Irak und der USA, Richard Butler, aus dem Verkehr zu ziehen. Mit einer möglichen Abberufung Butlers, die der sogenannten "Weltöffentlichkeit" mit ziemlicher Sicherheit als großzügige Konzession gegenüber dem Irak verkauft werden wird, wird der Irak unter erheblichen Zugzwang gesetzt werden, erneut Waffeninspekteure ins Land zu lassen.

In der Vergangenheit wurde der Unscom-Vorsitzende Butler immer wieder von seiten des Irak für sein "dreckiges Spiel" angegriffen. Konkret wurde ihm vorgeworfen, die Untersuchungsresultate in Bezug auf das Nervengas VX an irakischen Raketen-Gefechtsköpfen manipuliert zu haben. Butler soll damit den USA und der UNO die Argumente für den Militärschlag gegen den Irak geliefert haben.

Daß die irakische Sichtweise eine gewisse Plausiblität hat, dafür spricht zum Beispiel ein Bericht der französischen Zeitung Le Monde Diplomatique vom 12. Dezember 1997. Danach wurde in Unscom-Berichten festgestellt, "daß das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering" seien. Und weiter: "Unter Rolf Ekeus, dem Vorgänger des gegenwärtigen Leiters der Unscom (Richard Butler, d.V.), wurde sogar der Wortlaut von Berichten verändert, nachdem das State Department interveniert hatte." Warum dringen die Amerikaner trotzdem weiter mit Vehemenz darauf, Waffeninspekteure in den Irak zu entsenden?

Eine mögliche Antwort findet sich in der amerikanischen Zeitschrift Military Technology. In deren Ausgabe 3/98 wird über die politischen Folgen nachgedacht, den ein möglicher atomarer Vergeltungsschlag Israels gegen eine mögliche irakische Attacke mittels biologischer oder chemischer Waffensysteme auslösen könnte. Dieser Vergeltungsschlag würde, so die Autoren Marvin Leibstone und Ezio Bonsignore, die in dieser Region durchgesetzte "Pax Americana" zum Einsturz bringen, weil alle arabischen Regierungen vor die Wahl gestellt werden würden, entweder ihre Beziehungen zu den USA abzubrechen oder andernfalls von der eigenen Bevölkerung gestürzt zu werden. Die Konsequenz, die die Zeitschrift aus diesem Szenario zieht: Dem Irak müsse jede Möglichkeit genommen werden, Lang- oder Mittelstreckenraketen abzufeuern. So gesehen bekommen die Spionagevorwürfe gegen die UN-Waffeninspekteure, insbesondere aber gegen den Unscom-Vorsitzenden Richard Butler, einen nachvollziehbaren Hintergrund.

Den Amerikanern geht es keineswegs nur um den Zugriff auf die Ölreserven in dieser Region. Von wesentlich größerem Interesse ist die präventive Sicherung des finanziellen Gewinns, den insbesondere Saudi-Arabien und Kuwait aus dem Ölgeschäft ziehen. Der Publizist Sukumar Muralidharan beschrieb diesen Gewinn in der Zeitschrift Economic and Political Weekly (3/91) als lebenswichtig für die politische Stabilität der USA und Englands. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait zusammen haben bis 1991 etwa 670 Milliarden Dollar in den USA investiert. Allein die Kuwaitis, vor allem aber die Herrscher-Familie Sabah, haben allein rund 200 Milliarden US-Dollar in Joint Ventures mit britischen und amerikanischen Unternehmen investiert. Kuwait war damit der elftgrößte ausländische Investor in den USA. Dieser Hintergrund erhellt ein wesentliches Motiv für die pathologische Haßkampagne westlicher Medien gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Dessen "Schuld" besteht augenscheinlich darin, es gewagt zu haben, den finanziellen Hegemonieanspruch der USA bzw. Englands in der Golfregion herausgefordert zu haben.

Nicht übersehen werden darf weiter, daß die USA nach dem Iran-Debakel der Carter-Ära Saudi-Arabien zu einer regionalen Militärmacht im Mittleren Osten geformt haben, der sie bis 1991 für etwa 50 Milliarden Dollar Waffen verkauft haben. Darüber hinaus hat die USA in Saudi-Arabien eine entsprechende militärische Infrastruktur aufgebaut, die in Krisenzeiten für militärische Aktionen in dieser Region aktiviert werden kann.

Hier dürften die eigentlichen Gründe für den Anspruch der USA liegen, den Irak, dessen militärische und politische Potenz eine dauernde Bedrohung für die US-Interessen in dieser Region darstellt, solange zu kontrollieren, bis dieser politisch und militärisch bedeutungslos geworden ist.


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