© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


Bundesregierung: Die rot-grünen Machthaber verknüpfen Politik und Lebensart
Politik macht Spaß
Hans-Georg Münster

Edmund Stoiber, endlich als kompletter Nachfolger von Franz Josef Strauß geadelt, kann genauso granteln wie seinerzeit FJS im Bierzelt: Von der guten Laune des Bundeskanzlers Gerhard Schröder hätten Arbeitnehmer und Selbständige überhaupt nichts, schimpfte der neue CSU-Chef auf dem Münchner Parteitag. Natürlich hat der Bayer recht. Aber den lächelnden Niedersachsen bekommt er damit nicht zu packen. Die neue rot-grüne Regierung in Bonn steht für die perfekte Verknüpfung von Politik und Lebensart. Die deutsche "Spaßgesellschaft" hat die Regierungsebene erreicht.

Von der kommenden Berliner Republik ist oft die Rede. Schröder selbst gab in seiner Regierungserklärung das Stichwort "Republik der neuen Mitte" aus. Bereits heute haben wir jedoch, um ein Wort des Historikers Arnulf Baring aufzugreifen, die "neckische Republik". Der kabarettreife Abschuß des designierten Wirtschaftsministers Jost Stollmann war der Anfang, das kuriose Hauen und Stechen um die weitere Verwendung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rudolf Scharping die Fortsetzung.

Auf Journalisten wirken Sitzungswochen des Bundestages inzwischen wie die unendliche Fortsetzung des rheinischen Karnevals. Exklusivberichte widersprechen sich täglich, und Überraschungen gibt es wie Sand am Meer: Die Arbeitslosenversicherung soll weg, die Pflegeversicherung auch, Rente ab 60 ist für alle geplant.

Dagegen waren Kohls Jahre langweilig. Zum Lachen ging man in den Keller. Eine Kohl-Pressekonferenz in Berlin hätte ein neues Programm zur Verbesserung des Aufschwungs Ost gebracht. Schröder dagegen präsentiert sein Dauerlächeln, gibt seinem Kulturchef Michael Naumann einige Millionen für Berliner Kultur und weitere 120 Millionen für Kultur in den neuen Ländern. Nachfragen nach Details zu Kultur, zur doppelten Staatsangehörigkeit und zu Steuern gehen in der allgemeinen Fröhlichkeit unter. Die Atomenergie, oft zur Glaubensfrage hochstilisiert, gerät unter Schröder zum Katz- und Maus-Spiel mit seinem grünen Umweltminister Jürgen Trittin. Altkommunist Trittin, ein hochrangiges Relikt deutscher Säuerlichkeit, mußte schon in der Niedersachsen-Koalition unter Schröder leiden und leidet jetzt in Bonn weiter.

Bei der Ökosteuer präsentieren Schröder und Co wahre Wunder: Die Umwelt wird gerettet, die Arbeitsplätze werden gesichert, da nur die viel bezahlen, die besonders wenig Energie verbrauchen. Lafontaines Steuerreform ist beschäftigungspolitisches Kasperltheater, die Rente mit 60 bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die vier Grundrechenarten. Nur im Sichern der einmal errungenen Macht, im Bauen Potemkischer Dörfer und Erzeugen von Massen-Halluzinationen sind sie Weltmeister. An den rot-grünen Trugbildern beißt sich jeder die Zähne aus. Mit genügend Rechnerkapazität und Sendezeit würde Franz Müntefering in der Sahara in zwei Tagen blühende Landschaften erzeugen. Schröder, der Mann mit ausgeprägter Unabhängigkeit von seinen eigenen Positionen, ist weiterhin nicht zu fassen. Oppositionsarbeit erinnert in diesen Tagen an eine Jagd auf das Phantom der Freizeitgesellschaft!

Der neue CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble ist tüchtig, argumentiert messerscharf, aber analysiert falsch. Das linke Lager ist eben nicht zersplittert, sondern die SPD und Schröder befinden sich in der Situation, ihre Partner frei wählen zu können – und tun dies: Hier die Grünen, dort die PDS, vielleicht auch mal die FDP.

Aber was tun gegen eine Politik, für die die Quadratur des Kreises kein Problem darstellt: Entlastung für alle, weniger Selbstbeteiligung, Zahnersatz für alle bei sinkenden Beiträgen, bleibendes Rentenniveau, volle Lohnfortzahlung, absoluter Kündigungsschutz usw. Was soll Schäuble dagegen noch ankämpfen mit Bemerkungen, daß der Weg nach oben anstrengend sei, während Rot-Grün die Kampagne mit dem internen Arbeitstitel "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen" fährt? Stoibers Bienenfleiß und asketische Lebensweise wirken auch irgendwie wie von vorgestern. Stoiber und Schäuble verstehen die Spaßgesellschaft nicht, und die Spaßgesellschaft versteht diese Unionsführer nicht. Viel sympathischer wirkt ein Lafontaine, der sich weigert, am Silvestertag zu einer langweiligen Sitzung nach Brüssel zu fahren, weil er lieber rechtzeitig die erste Flasche Champagner köpfen will.

Schon notierte die regierungsnahe Berliner taz, die CDU/CSU fühle sich immer noch wie im falschen Film. Ratlos sitzen Unionsabgeordnete in ihren Bonner Büros und wissen nicht, wie sie diese Regierung fassen sollen. Sie haben nicht begriffen, daß die Zeiten der Staatsräson vorbei sind. Der Spaß regiert, und eine Mehrheit will mit Spaß regiert werden.


 
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