© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/99 22. Januar 1999


Ernst Jünger: Der Jahrhundertschriftsteller und sein Verhältnis zur deutschen Rechten nach 1945
Feldschlacht um einen toten Dichter
Michael Meyer

Die Rezeption des Werks und die Wahrnehmung der Person Ernst Jüngers in der Bundesrepublik Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren in erstaunlichem Ausmaß verändert. Bis in die 80er Jahre hinein galt der Autor von "In Stahlgewittern" als "umstritten". Diese Vokabel wurde aber nicht in ihrem eigentlichen Sinn verwandt; vielmehr meinte man damit, Jünger sei ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen und könne identifiziert werden mit Kriegsverherrlichung und elitärem Gehabe. Das Niveau des bundesdeutschen Jünger-"Diskurses" war nicht besser als das bezüglich anderer Themen. Wie auch?

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele: Zum 100. Geburtstag des großen Schriftstellers titelte die wenig später eingestellte Info-Illustrierte Tango: "Ralph Giordano gratuliert nicht". Die Überschrift des zweiseitigen Artikels lautete: "Ernst Jünger. Wo bleibt sein Wort zu Auschwitz?" Die Aussage des Textes läßt sich leicht zusammenfassen: Giordano hat zwar nichts von Jünger verstanden, das macht aber auch nix, weil Giordano ist betroffen. Denn was Auschwitz betreffe, "so hat Ernst Jüngers Werk für mich etwas tief Unverpflichtetes an sich".

Im Gegensatz zu anderen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Öffentlichkeit umgarnt wurden, hat Jünger allerdings schon in seinen während der nationalsozialistischen Herrschaft veröffentlichten Büchern Widerstand geübt und sich in mehreren Werken dezidiert zum Massenmord geäußert.

Auf ähnlichem diskursiven Niveau der Stern vom 16. März 1995. Siegfried Schober blamiert sich in seinem groß angelegten Artikel zum Hundertsten mit seiner Interpretation einer Tagbuch-Eintragung Jüngers vom 27. Mai 1944. "Paris, seine ’zweite geistige Heimat‘, könnte eigentlich auch ruhig untergehen. Kein Bedauern, als er englische Luftangriffe vom Dach des Hotels ’Raphael‘ aus beobachtet – ’bei Sonnenuntergang‘ dandyhaft mit einem Glas ’Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen‘, in der Hand. In dieser berüchtigten Eintragung seines ’Zweiten Pariser Tagebuchs‘ heißt es dann: ’Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird.’"

Dazu schrieb Klaus Podak in der Süddeutschen Zeitung: "Oft schreibt ein Widersacher vom anderen ab. Die falschen Interpretationen übernehmen sie dabei gleich mit. So auch jetzt wieder in den ersten Geburtstagsartikeln zum Hundertsten. In den ‘Strahlungen’ gibt es eine Stelle, die wird unausrottbar mißdeutet, seit Jahrzehnten (...) Jünger, nach dem Sinn seiner Aktion befragt, antwortet: ‘Ich habe mit dem Tode Brüderschaft getrunken.’ Man mag halten, was man will, von diesem Zusatz zur Götterdämmerung. Vorfreude auf den Untergang von Paris, das Jünger liebt, sprach nicht daraus."

Kontroverse um Verleihung des Goethe-Preises 1982

Das letzte Gefecht um Jünger, das nach dem alten Ritual von hartem Angriff der Gegner und reaktivem Inschutznehmen verlief, war die Kontroverse um die Goethe-Preis-Verleihung der Stadt Frankfurt am Main im Jahr 1982. Und dennoch kündigte sich hier bereits eine Änderung der Stimmung an. Am 18. Mai 1982 gab das Kuratorium des Goethe-Preises bekannt, daß es Ernst Jünger einstimmig zum Preisträger im Goethe-Gedenkjahr 1982 erkoren hatte. Die Agenturmeldungen in den überregionalen Zeitungen blieben zunächst ohne bemerkenswerte Reaktion. Erst nachdem die Grünen in den Magistrat der Stadt einen Antrag einbrachten, der zu einer fünfstündigen Diskussion im Frankfurter Stadtparlament führte, wurde eine Debatte in den überregionalen Feuilletons entfacht. Der Frontalangriff durch die Frankfurter Grünen verlief noch nach dem alten Schema: "Wir stellen fest, daß Jünger im Zentrum des deutschen Faschismus stand und bis heute ein ungebrochenes Verhältnis zu seiner Vergangenheit hat." Neben den üblichen pawlowschen Verhaltensreflexen (Fritz J. Raddatz schrieb in der Zeit von Jüngers "Herrenreiter-Prosa") waren aber auch zunehmend differenzierte Töne zu hören. Peter von Matt konstatierte in der Schweizer Weltwoche bei den bundesdeutschen Intellektuellen reflexhaften "antifaschistischen Grundkonses" und hält dem westdeutschen intellektuellen Establish-ment den Spiegel vor: "Er (der Goethe-Preis für Ernst Jünger; M. M.) signalisiert gewiß keine allgemeine Tendenzwende, wohl aber das Ende der massiven Schwarz-Weiß-Konstruktionen, mit deren Hilfe man sich in den siebziger Jahren historisch eingerichtet hat (...)"

Eine weitere Bresche in die gängigen Jünger-Tabus wurde durch die Auseinandersetzung im Anschluß an die Erstveröffentlichung von Tagebuchaufzeichnungen Jüngers in der Zeitschrift Sinn und Form geschlagen. In der ersten Ausgabe des Jahres 1993 der von der (damaligen Ost-)Berliner Akademie der Künste herausgegebenen Zeitschrift macht sich Jünger unter anderem ausgiebige Gedanken über den französischen Schriftsteller-Bekannten und Kollaborateur Pierre Drieu la Rochelle.

Der damalige Präsident der West-Berliner Akademie der Künste, Walter Jens, äußerte daraufhin, er sei kein Zensor, aber die Veröffentlichung Jüngers werde Folgen haben. Jens sagte, er sei "verwundert", daß ein Mann in der Zeitschrift eine Plattform erhalten habe, der in den 20er Jahren "extrem antisemitische Äußerungen" getan habe, die er "nie zurückgenommen" habe, und der als "dezidierter Militarist" bekannt geworden sei.

Interessant an dieser Kontroverse ist, daß gerade der für seine vorurteilslastige Mainstream-Haltung bekannte Berliner Tagesspiegel eine scharfe Replik auf Jens von Stephan Reimertz veröffentlichte. Man staunte nicht schlecht, als man in dieser Zeitung von der Einheit des Jüngerschen Werks und von den "Stahlgewittern" als "einem der großen Kriegstagebücher der europäischen Literatur" las.

Diese und andere Kontroversen innerhalb der bundesdeutschen Jünger-Rezeption dokumentiert Horst Seferens in seiner ausführlichen Untersuchung über Ernst Jünger und "die deutsche Rechte nach 1945". Seferens untersucht die "Wandlungen des Jünger-Bildes seit Beginn der achtziger Jahre", um in diese Entwicklung letztlich das eigentliche Thema seiner Arbeit einbetten zu können. Dieses ist die "Aktualität Ernst Jüngers im Diskurs der Neuen Rechten". Jeweils ein eigenes Unterkapitel ist dabei gewidmet Gerd-Klaus Kaltenbrunner, dem Thule-Seminar, der inzwischen eingestellten Neuen Zeit, der JUNGEN FREIHEIT, dem Jahrbuch des Matthes & Seitz-Verlags, Der Pfahl, der sich ebenfalls zum Jahrbuch entwickelnden Zeitschrift Etappe und dem von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebenen Sammelband Die selbstbewußte Nation.

Nach Verlagsangaben ist Horst Seferens 1965 geboren, hat in Bonn und Berlin Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und 1997 promoviert. Hute lebt er als Publizist in Berlin und ist Pressesprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

Ergebnis der Untersuchung steht von vornherein fest

In seiner Einleitung macht Seferens keinen Hehl aus der Absicht seiner Untersuchung: "Auch wenn die Rechte sich nach 1945 in der Defensive befindet, bestärkt Jünger die Veteranen und Erben der Konservativen Revolution in ihrem elitären ideologischen Selbstverständnis, daß sie die ’Auslese‘, die ’erste Garnitur‘ darstellen, deren Zeit wieder kommen werde (...)". Seferens stellt klar, daß es ihm um eine Warnung vor dem Einfluß von Jünger geht: "Seit etwa 1980 ist eine allmähliche Annäherung zwischen der rechtsintellektuellen Szene und Jünger zu beobachten, die den scheinbar unpolitischen Dichter als Gegenwartsautor und Vordenker ihrer strategischen Option entdeckt (...). In den rechtsintellektuellen Theoriezeitschriften und in Jüngers Schriften der siebziger und achtziger Jahre sind verborgene Diskursparallelen zu beobachten, die in den neunziger Jahren immer offener miteinander verwoben werden, wobei Jünger sich gegen jedwede Vereinnahmung wehrt und auf seiner Autonomie beharrt." Das Ergebnis der Studie steht also eigentlich schon fest.

Im Schlußkapitel schreibt der Jünger-Forscher: "Bedenklich stimmt, daß die Entwicklung der Jünger-Rezeption in den vergangenen 15 Jahren seine literarisch-politische Doppelstrategie auf eindrucksvolle Weise bestätigt. Die intellektuelle Rechte, die ihn immer schon als führenden Denker der Konservativen Revolution schätzte, ist dabei, sich sein Spätwerk als ideologisches und strategisches Rüstzeug in aktuellen politischen Handlungszusammenhängen zu erschließen. Das mehrheitskulturelle Jünger-Bild hat Jüngers Selbststilisierungen weitgehend übernommen und rezipiert seine Diagnosen und Prognosen am Ende des 20. Jahrhunderts als bedenkenswerte, ja bedeutsame Parabeln einer – zumindest partiell – gescheiterten Moderne." Äußerungen Jüngers dürfen noch nicht einmal für "bedenkenswert" gehalten werden, weil Person und Werk per se unter einer Art Faschismus-Verdacht stehen.

Seferens’ Buch zerfällt daher deutlich in zwei Teile. Es hat einen wirklich guten analytischen Teil, in dem der Autor konservative und rechte Publikationen untersucht. Allein deren Auswahl (siehe oben) zeugt von einem gewissen Verständnis und Überblick. Fraglich ist aber bereits die Einbeziehung des Pfahls von Axel Matthes in eine Studie über die "Neue Rechte". Dieses Jahrbuch war doch wohl vielmehr ein Kompendium der Nonkonformität. Aber genau damit hat Seferens ein Problem. Denn alles, was nicht ins Übliche, die herrschenden Verhältnisse Bejubelnde paßt, dient ihm zur Untermauerung seiner Warnung vor dem bösen Jünger. Seferens hat aber seine liebe Not, im Unterkapitel Der Pfahl den Beweis anzutreten, daß dieses Jahrbuch zur "Neuen Rechten" gehört und welchen Bezug die anderen Beiträge darin zu Ernst Jünger haben. Lediglich in wenigen Sätzen wird eine Parallele hergestellt zwischen der Moderneskepsis des Pfahl und Jüngerschen Positionen.

Symptomatisch für Seferens’ Art der Argumentation ist seine Beurteilung der JUNGEN FREIHEIT, mit der er sich in verschiedenen Abschnitten ausführlich beschäftigt: "Hier sucht offenbar die Neue Rechte eine neue fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Werk des undogmatischen Denkers der Gegenaufklärung, den die alte extreme Rechte (‘Erzkonservative’) jahrzehntelang mißachtet hatte. Dabei ist das Bemühen, Jünger als einen interessanten und ‘nonkonformen’ Autor, der sich einer ideologischen Rubrizierung entzieht, anzupreisen, bereits Teil der politischen Strategie." Also was jetzt? Wenn die JUNGE FREIHEIT das Leitorgan einer "Neuen Rechten" ist, warum preist sie dann einen Autor an, "der sich einer ideologischen Rubrizierung entzieht"? Seferens läßt im Dunkeln, was denn mit der "’unvoreingenommenen’ Jünger-Betrachtung" bezweckt wird.

Dieser Bruch zwischen einer sauberen und recht intensiven Analyse der Publikationen der "Neuen Rechten" und Seferens’ fragwürdigen und recht einfachen Folgerungen zieht sich durch das gesamte Buch. Der Eindruck, den Seferens’ Einleitung vermittelt, daß er mit erhobenem Zeigefinger vor einer gefährlichen Gemeinsamkeit des im Februar vergangenen Jahres verstorbenen Schriftstellers mit der "Neuen Rechten" warnt, wird von Kapitel zu Kapitel verfestigt. Inwieweit hier allerdings tatsächlich eine gegenseitige oder einseitige Beeinflussung stattfindet, wird nicht ausreichend nachgewiesen. "Verborgene Diskursparallelen" können beabsichtigt – durchaus aber auch zufällig sein.

Einem der profundesten Jünger-Kenner, der auch selbst Zugang zum Wilflinger hatte, widmet Seferens einen eigenen Abschnitt: "Heimo Schwilk – Jüngers Eckermann". Der Publizist hat 1988 mit dem in dem von ihm herausgegebenen Bildband enthaltenen werkbiographischen Essay einen Niveau-Pflog in die Jünger-Debatte geschlagen.

Mit Schwilks Interpretationen geht Seferens konform: "Schwilks Deutung, daß der politische Impetus in der hermetischen Poetik des "Abenteuerlichen Herzens" verborgen wirksam ist, entspricht dem hier vorgelegten textanalytischen Befund. Das gilt auch für Schwilks Interpretation der stereoskopischen Ästhetik, die er zum Dreh- und Angelpunkt von Jüngers Gesamtwerk und zur Trägerin politischer Implikationen erklärt." Die literarische und politische Entwicklung Jüngers, "wie Schwilk sie als entpolitisierenden Rückzug in einen kulturell-metaphysischen Diskurs beschreibt", gewinne "implizit eine paradigmatische Bedeutung für die kulturhegemoniale Strategie der ’Neuen Rechten‘". Ernst Jünger verkörpere nämlich eine Traditionslinie, die "bruchlos – d. h. frei von der diskreditierenden Belastung durch den Nationalsozialismus – von der Konservativen Revolution zur Neuen Rechten" führe.

These von der Einheit des Werks setzt sich durch

Gut arbeitet Seferens hier den Unterschied der beiden Deutungsschulen heraus, die durch Armin Mohler und Schwilk repräsentiert werden. Dabei ist Seferens’ Einschätzung zuzustimmen, daß Mohlers Kritik an Jünger, dieser sei nach dem Zweiten Weltkrieg unpolitisch geworden und würde seine nationalistischen Aufsätze aus der Zwischenkriegszeit verleugnen, durch die Schwilksche Auffassung von der Einheit des Werks zunehmend das Wasser abgegraben wird. Denn diese Einheitsthese wird – wohl in der Folge von Schwilk – von immer mehr gerade jüngeren Jünger-Kennern vertreten.

Schlußendlich bleibt festzustellen, daß – neben der guten Analyse – Seferens soweit zuzustimmen ist, als er metaphysisch und spirituell Früh- und Spätwerk aufeinander bezieht. Er folgt darin – phänomenologisch zutreffend – Heimo Schwilk, bringt aber auch selbst viele Belege für diese These. Fehl geht Seferens, wenn er interpretatorisch innerhalb dieser Perspektive des Zusammen-hangs von Früh- und Spätwerk einen Faschismusverdacht formuliert. Seferens’ Interpretation bleibt an der Oberfläche, weil er als Kind von emanzipatorischem aufgeklärten Rationalismus und political correctness jegliche Auseinandersetzung mit Glauben, Ganzheitlichkeit und Geschichtsspekulation ablehnt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen