© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Mistkäfer in Nadelstreifen
von Michael Wiesberg

"Wilhelminismus" warf der Historiker Michael Wolffsohn Bundeskanzler Schröder vor kurzem im Deutschlandradio vor. Wolffsohn geißelte mit dieser Charakterisierung die verschämt vorgetragenen Versuche Schröders, so etwas wie "deutsche Interessen" zu artikulieren. Schröders Politik berge ob des zu offen demonstrierten Selbstbewußtseins die Gefahr in sich, so beschied Wolffsohn dem Bundeskanzler, daß Deutschland erneut außenpolitisch isoliert werden könnte. Irritation im Ausland löst mit Sicherheit auch das naßforsche Auftreten des Bundesumweltministers Trittin aus, der die Forderungen nach Entschädigungszahlen für den Ausstieg aus der atomaren Wiederaufbereitung, die jetzt in Frankreich und England laut werden, mit dem Argument abbügelte, diese Forderungen seien unberechtigt, weil der rot-grüne Ausstieg aus der Kernenergie einen Akt "höherer Gewalt" darstelle.

Haben wir es nun bei Schröder und Trittin mit Politikern zu tun, die die servile Bedenkenträgerei ihrer Vorgänger überwunden haben? Oder speist sich deren Selbstbewußtsein aus der altlinken Parole "Wer für die Menschheit kämpft, hat immer recht?" Zumindestens bei Trittin wird man diese Art von Sendungsbewußtsein vermuten dürfen. Nein, an einer "selbstbewußten Nation" sind insbesondere die bündnisgrünen Regierungsvertreter nicht interessiert. Sie kämpfen vielmehr für eine "menschlichere Gesellschaft". Für viele grüne, aber auch für manche rote Politiker gilt immer noch das, was der grüne Politiker Rainer Trampert 1983 feststellte: "Laßt uns ... niemals mit Deutschland ... argumentieren. Laßt uns den Adler nur als Karikatur benutzen, die Farben schwarz-rot-gold niemals..."

Das Parlament stellt in diesem Zusammenhang laut den Worten des ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Eckehard Stratmann "nichts anderes als eine neu herausgeputzte Staffage für eine elitär und autoritär strukturierte Gesellschaft" dar. Wenn die Grünen dennoch im Parlament mitarbeiten, so erklärte Stratmann 1984 im Bundestag, dann deshalb, um das Parlament zu nutzen, "um außerparlamentarischen Bewegungen, die an der radikalen Veränderung der Gesellschaft arbeiten, größeren politischen Spielraum (zu) geben".

Diese Ziele haben die grünen, aber auch die roten Gesellschaftsveränderer trotz ihrer inzwischen an den Zeitgeist angepaßten Terminologie keineswegs aus den Augen verloren. Von Joschka Fischer stammt die Charakterisierung, daß die Grünen "ein schöner Unkrautgarten" seien, in dem "so mancher ’Mistkäfer‘ um die Ecke komme". Diese "Mistkäfer", um in der Diktion zu bleiben, werden auch in Designer-Anzügen nicht erträglicher.


 
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