© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Humane Finanzpolitik
Karl Heinzen

Mit Oskar Lafontaine scheint die Soziale Marktwirtschaft den Bogen zurück zu ihren Anfängen zu schlagen, vielleicht sogar noch ein bißchen über diese hinaus. Gibt es heute überhaupt eine Legitimation für den Staat? Diese Frage gilt es verantwortungsbewußt zu stellen, könnte sie doch das Vertrauen in die Selbstorganisation der Gesellschaft unterminieren und Wirtschaftsführungssubjekte zum Massenexodus von Leib und Kapital provozieren. Als historisches Zitat sei sie aber zugelassen: Immerhin sahen die Gründerväter von Freiheit und Wohlstand für den Staat die Aufgaben vor, ja fleißig Ordnungsrahmen zu setzen, verdienstvolle Anreize zu schaffen und sich sogar in der Gerechtigkeitspflege zu engagieren.

In der Epoche Kohl entfernte man sich bruchlos von dieser altersweisen Form des Etatismus: Die beste Regierung, so läßt sich im Rückblick das Programm der letzten Legislaturperiode zusammenfassen, ist jene, über welche die Menschen zwar reden, die sie aber ansonsten nicht zu spüren bekommen. Die Aktivbürger wissen selber am besten, wie sie schnell und mühelos reich werden, sie brauchen dazu keine staatliche Belehrung. Steuern haben nur noch als Löse- und Schweigegeld eine Berechtigung.

All das soll nun mit einer Wahl vorbei sein? Will Oskar Lafontaine tatsächlich das Rad der Geschichte zurückdrehen? Mitnichten. Als Ministerpräsident des Saarlandes hat er allerdings gelernt, daß man etwas in die Waagschale werfen muß, wenn man sich entschlossen hat, vom Geld anderer Menschen zu leben. Da es weder opportun noch möglich ist, die Bürger, die nicht vom Staat unterhalten werden, für diesen zu begeistern, ist es im Interesse unserer Grundordnung, erpresserische Methoden nicht vorschnell von der Hand zu weisen. Jede Kapitalflucht –zum Beispiel – verursacht Kosten, und seien diese auch bloß in Unsicherheit begründet. Unterschreitet die steuerliche Mehrbelastung diese Kosten auch nur knapp, wäre es für die Kapitaleigner irrational, den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Die Kunst der Politik besteht nur darin, die Wirtschaft eben nur in dem Maße in die Verantwortung zu nehmen, das ihr gerade noch ein Bleiben erlaubt. Oskar Lafontaine wird es hier leichtfallen, ein finanzpolitisches Format zu entwickeln, das keiner seiner Vorgänger zuerkannt werden konnte.

Die Voraussetzung für den Erfolg ist aber nicht allein Mut, sondern auch eine zielorientierte Herangehensweise an Politik. Wer ständig über die Aufgaben des Staates nachdenkt, endet nahezu zwangsläufig bei dessen Abschaffung. Wer aber eher induktiv vorgeht und dabei auch noch global denkt, kann vielleicht sogar genug Phantasie für zusätzliche Politikfelder entwickeln. Es kann in der Politik nämlich nie darum gehen, letzte Antworten zu finden. So unberechtigt der Staat sein mag, so berechtigt sind die Anliegen der Menschen, die er ernährt: Oskar Lafontaines Politik des starken Staats hat eine humane Facette.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen