© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Extremismus: Anschlag auf die Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus verübt
Aus dem Ungeist der Bücherverbrenner
Thorsten Thaler

Der Vorstand der "Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus" hat den auf die Berliner Einrichtung verübten Anschlag als "zu diesem Zeitpunkt zwar überraschend, im Prinzip aber nicht unerwartet" bezeichnet. Seit Jahren unterliege die Arbeit des Vereins diversen Verleumdungskampagnen, in denen die Gedenkbibliothek als "rechtsradikaler" Verein denunziert werde, um dessen politische Aufklärungsarbeit zu diskreditieren und "letztlich zu liquidieren", wie es in einer von den Vorstandsmitgliedern Ulrich Schacht, Heinz Steudel, Siegmar Faust und der Geschäftsführerin des Vereins, Ursula Popiolek, unterschriebenen Erklärung heißt. Die Gedenkbibliothek beschäftigt sich im Sinne einer ungeteilten antitotalitären Aufklärung vor allem mit den Verbrechen der zweiten deutschen Diktatur.

Bislang unbekannte Täter hatten in der Nacht von Freitag zu Samstag voriger Woche einen Anschlag auf die Räume der Gedenkbibliothek in Berlin-Mitte verübt. Dabei wurden erhebliche Teile der Buch- und Dokumentenbestände beschädigt bzw. ganz zerstört. Nach ersten polizeilichen Ermittlungen drangen der oder die Täter gewaltsam in die leerstehenden Räume über der Gedenkbibliothek ein. Dort hebelten sie Fußbodendielen auf, schlossen einen mitgebrachten Schlauch an die Wasserleitung an und ließen gezielt Wasser auf die Decke der Gedenkbibliothek strömen. Zusätzlich zerschlugen sie an einem Zentralheizungskörper das Ventil, damit das heiße Wasser schneller in die Räume der Bibliothek einfließen konnte.

In der Erklärung des Vorstands der Gedenkbibliothek heißt es, die Einrichtung habe seit geraumer Zeit eine Eskalierung der Attacken registriert. Dazu gehörten Schmierereien an den Hauswänden und Gewaltaufrufe gegen sie bei öffentlichen Veranstaltungen wie zuletzt an der Freien Universität Berlin und der Volksbühne. Dort seien Angehörige und Freunde der Gedenkbibliothek als Teilnehmer eines "Faschistentreffpunktes" diffamiert worden.

Personen- und Objekt-Terror gegen politisch andersdenkende Menschen, Gruppen, Vereine, Parteien und Konfessionen habe in Deutschland "böse Tradition und erlebte in der NS- wie auch in der SED-Diktatur seine jeweiligen geschichtlichen Höhepunkte als staatlich organisierten Terror gegen jeden Abweichler von der allein seligmachenden politischen Linie", erklärten die Vorstandsmitglieder. Dieser totalitäre Haß reiche bis in die Gegenwart. Der Angriff auf die Gedenkbibliothek "stammt deshalb aus demselben inhumanen Handlungsabgrund wie die Taten der Bücherverbrenner vom 10. März 1933", heißt es in der Erklärung.


 
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