© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Hessen: Impressionen aus dem Landtagswahlkampf
"Linksradikale Narren"
Werner Olles

Daß Wahlkämpfe so ihren eigenen Reiz haben, erlebte kürzlich Bundesaußenminister Joseph Fischer auf seiner Tour in Frankfurt am Main. Ausgerechnet im Nordend, einer Hochburg der Grünen, mußte Fischer die bittere Erfahrung machen, was es bedeutet, einer doch recht beträchtlichen Minderheit seiner eigenen Parteifreunde ständig neue und vor allem auch immer größere Kröten zum Schlucken zu geben.

Ein zahlenmäßig zwar relativ kleiner, aber nicht zu überhörender Teil der rund 800 Veranstaltungsbesucher empfing ihn nämlich durchaus unfreundlich und ließ sich auch durch noch so gutgemeinte Diskussionsangebote der Mehrheit der ungebrochenen Fischer-Anhänger nicht beruhigen. "Verräter", "Lügner", "Heuchler", gar "Kriegstreiber" schallte es durch den dicht besetzten Saal.

Der Außenminister – solcherlei Unbill seit seinen Washington-, Paris-, London-, Brüssel- und Warschau-Besuchen offensichtlich nicht mehr gewohnt – erinnerte sich kurzfristig an die guten alten Frankfurter Sponti-Zeiten, wo man es noch als schick empfunden hatte, in irgendwelchen dunklen, verpinkelten Ecken rumzurandalieren, und pöbelte ganz spontan, aber irgendwie auch wieder sehr souverän zurück. "Linksradikale Narren" seien diese Störenfriede, die nur das Spiel der "Rechten" spielten und "die ihm alle gestohlen bleiben könnten", wenn die CDU jetzt dadurch die Landtagswahlen gewinnen würde.

Nach diesem wenig netten Auftakt kam man aber dann doch schnell und sehr staatsmännisch wieder zur eigentlichen Sache zurück. Das lautstarke Intermezzo zeigte aber immerhin deutlich, daß innerhalb der grünen Basis die Kritik am offensichtlichen Opportunismus der Parteiführung im Wachsen begriffen ist. Hier spürt man den Verrat an den 68er-Idealen genau und ist wohl zumindest teilweise nicht länger bereit, die Machtversessenheit der Fischer-Gang und der schwäbischen Clans mit dem zerschlissenen Mäntelchen der Loyalität um des Parteifriedens und der Regierungsbeteiligung willen zuzudecken. Das wird gewiß noch zu Verwerfungen und weiteren Mißtönen führen, die man den Grünen nur allzu gerne gönnt. Denn in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es bislang wohl noch keine einzige Partei gegeben, die ihre hehren Grundsätze und ideellen Maßstäbe so schnell und vor allem so gründlich über Bord geworfen und dabei so tief versenkt hat wie die Grünen. Und dies alles nur, um nach Jahren der Opposition ein bißchen an der Macht riechen zu dürfen.

In Hochheim am Main glänzte als Stargast der hessischen Sozialdemokraten indes Frau Christa Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung und Ehefrau des Finanzministers Oskar Lafontaine. Im ausgebuchten Hochheimer Rieslingkeller war die diplomierte Volkswirtin kaum zu stoppen, die Herren Gerhard Bökel, amtierender hessischer Innenminister, und sein Vorgänger Herbert Günther kamen gegen das stark ausgeprägte Selbstbewußtsein der Dame kaum an. Das Publikum gab aber nach längeren Monologen Frau Müllers über Neo-Liberalismus, Globalisierung, Keynes, Adam Smith, Kapitalismus und soziale Marktwirtschaft langsam auf und begann in Teilen vor sich hin zu dösen. Erst als ein junger Mann die leicht bedrückt wirkenden Genossen Bökel und Günther aufforderte, auch einmal etwas zum drohenden Flughafenausbau in der Region zu sagen, kam langsam wieder etwas Leben in den Rieslingkeller. Christa Müller hielt sich zu diesem Thema wohltuend zurück, sicher auch in der Erkenntnis, daß ihre wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz inzwischen von allen Anwesenden anerkannt war. Ob die Hochheimer, Sulzbacher und Flörsheimer Sozialdemokraten vom Besuch Frau Müllers am 7. Februar profitieren werden, ist allerdings eine andere Frage.

Ähnliche Sorgen treiben offenbar auch die Liberalen um. Zwar ist die hessische FDP von etwas härterem Kaliber als die Bundespartei, die vom jahrzehntelangem Umgang mit Macht so ziemlich bis ins Mark korrumpiert ist, welcher Teufel allerdings jüngst den rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Brüderle geritten hat, konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Frankfurt am Main ließ Brüderle die Katze aus dem Sack mit seiner Forderung, es müßten noch viel mehr Deutsche zu "geistigen Mittelständlern" werden. Liberale, ihr seid ertappt!

Auch die CDU hat es in diesem Wahlkampf nicht leicht. Nachdem sie die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zum zentralen Thema gemacht hat, muß sie nun den gesammelten Haß des linken Medienkartells und der rot-grünen Gedankenpolizei über sich ergehen lassen. So wurde die CDU-Geschäftsstelle im Frankfurter Stadtteil Griesheim schon vor dem eigentlichen Beginn der Aktion mit einer Bombendrohung lahmgelegt, sämtliche Plakatständer der Union im Umkreis fielen dem Vandalismus zum Opfer.

Es kam aber noch härter. Bereits am ersten Wochenende versuchte eine zehnköpfige Sturmabteilung sogenannter "Autonomer" auf der Frankfurter Zeil einen Stand, an dem Unterschriftenlisten auslagen, aus den Angeln zu heben. Als dies nicht gelang, prügelten die Schläger auf mehrere Umstehende ein, wobei nach antirassistischer Manier fein säuberlich zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden wurde. Unverständlich ist jedoch vor allen, daß die CDU diese Vorfälle nicht zum Anlaß nimmt, entschieden gegen die solche gewalttätigen Ausschreitungen provozierende Hetze von Seiten der politischen Linken zu protestieren. Wer hier gegen wen "die Straße" mobilisiert, dürfte doch wohl jedem klar sein!

Immerhin ist es aber ein Erfolg, daß sich schon am ersten Wochenende der Unterschriftensammlung allein in Hessen über 35.000 Bürger in die Listen eintrugen. Zwar ist dies längst noch kein Indiz für eine Wahlprognose zugunsten der Union – Rot-Grün liegt in allen Umfragen weiter deutlich vorn –, dennoch zeigt der erfolgreiche Start der Aktion, daß die Bürger offensichtlich nicht gewillt sind, sich jede Zumutung bieten zu lassen. Da helfen auch Publikumsbeschimpfungen von Schröder und seinen Ministern nicht weiter. Die Sozialdemokratie wird Farbe bekennen müssen, ob sie bereit ist, gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit des Volkes ein Gesetz durchzupeitschen, das Staat, Nation und Gesellschaft in einer gefährlichen Weise verändern würde.


 
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