© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


Frankreich: Der Front National hat sich endgültig in zwei Parteien gespalten
Machtbeteiligung als Marschziel
Helmut Müller

In Frankreich existiert eine neue nationale Bewegung. Mehr als zwölf Jahre hat der mit überwältigender Mehrheit (86,2 Prozent) zum Präsidenten eines neuen Front National gewählte Bruno Mégret auf diesen Augenblick warten müssen. Mit einem Sonderparteitag am vergangenen Wochenende in Marignane nahe Marseille – für den gekränkten FN-Gründer Jean-Marie Le Pen eine "belanglose Veranstaltung" – hat Megret eindrucksvoll signalisiert, daß mit ihm zu rechnen ist. Nicht von ungefähr hatte ihn einmal das linke Magazin L´Evénement du jeudi für gefährlicher als Le Pen erklärt.

In der Tat, so leicht wie mit dem "Ehrenpräsidenten" wird es das französische Establishment mit diesem neuen Parteiführer nicht haben. Verbale Ausfälle oder Handgreiflichkeiten sind bei dem kühlen Technokraten Bruno Mégret nicht zu erwarten. Andererseits sind es gerade Le Pens unverblümte Sprache und seine Emotionalität, die das kleine Volk zwar angezogen, das bürgerliche Lager allerdings zusehends verschreckt haben.

Der ehemalige Wahlkampfleiter Le Pens und spätere Generaldelegierte hielt daher weder von Le Pens Führungsstil noch von dessen Fundamentalopposition recht viel und dachte mehr daran, den Front National salon- und koalitionsfähig zu machen. Auch andere ehemalige Mitstreiter des Front haben in Le Pens Eigensinnigkeit ein Problem gesehen. Keineswegs das Programm, an dem sie wesentlich mitgewirkt haben, sondern einzig und allein "der Alte" war ihnen dabei im Weg. Doch waren auch immer wieder versöhnliche Töne zu hören: "Ich folge Jean Marie Le Pen nicht mehr, aber ich verzeihe ihm", meinte der Generalsekretär der neuen Bewegung, Serge Martinez.

Aber die Sympathiebekundungen beim Kongreß in Straßburg im März 1997 für das Zweierteam Mégret – wegen seines Erfolgs in Vitrolles, als es dem klugen Taktiker in einem geschickten Schachzug gelang, seine Frau ins Bürgermeisteramt zu hieven – mußten Le Pen äußerst unangenehm in den Ohren geklungen haben. Anläßlich der Tagung des Nationalen Rates am 5. Dezember vorigen Jahres soll sich Le Pen denn auch über die wachsende Popularität seines Leutnants beschwert haben. Noch in demselben Monat wurde der Riß endgültig offenbar, nachdem für den ersten Listenplatz bei der Europawahl Le Pens Frau Jany und nicht Mégret berücksichtigt wurde (die JUNGE FREIHEIT berichtete).

Nun in Marignane mußten die Mégrets die schon im alten Front National üblichen Beifallsstürme der 2.300 Kongreßteilnehmer nicht mehr mit Jean-Marie Le Pen teilen. Daß dieser nicht nach "Lilliput" (Le Pen) gekommen war, war vorauszusehen. Damit aber habe er sich selbst ausgeschlossen, so Mégret, der seinem Ex-Chef vorwirft, die Einheit des Front nicht zu wollen und eine selbstmörderische Politik zu betreiben.

Es ist gewiß kein Zufall, daß dieser Kongreß, bei dem neue Statuten, ein neues Logo und ein erweiterter Parteiname (Nationaler Front – Nationale Bewegung) beschlossen sowie ein neues Zentralkomitee gewählt wurden, in der Provence stattfand. Denn von hier, von Südfrankreich aus, festigte Mégret seine politische Stellung. Nachdem er im Amt des Generaldelegierten die Möglichkeit gehabt hatte, einen eigenen Generalstab und eine genügend große Anhängerschar zu rekrutieren, wob er von der ehelichen Hochburg Vitrolles aus weiter an einem Netz von loyalen Anhängern. Auch mit Blickwinkel auf die nächsten Wahlen in Marseille, wo er 2001 zu reüssieren gedenkt. Und das aus besonderem Grund: ist doch die Provence ein guter Boden für die Rechte, zumal ein Viertel der Bevölkerung "Pied noirs" sind, die nicht verstehen können, warum man die Araber in Frankreich aufnimmt, während sie selbst nach mehr als hundert Jahren aus Nordafrika vertrieben wurden. Dazu kommt die bei den bodenständigen Werktätigen grassierende hohe Arbeitslosigkeit im Großraum Marseille, dessen Hafen lange nicht mehr die Bedeutung von früher hat.

Es mag deshalb paradox klingen, daß gerade in der Provence auch einige Schwierigkeiten auf Mégret warten könnten. Außer daß Le Pens Leute schon ganz gut implantiert sind – von den 37 möglichen Delegierten dieser Region sind bis zu diesem Kongreß nur zehn zu den Mégretisten übergelaufen –, rührt auch der vom Front National auf das Schild gehobene und inzwischen zurückgetretene Regionalratspräsident Charles Millon mit seiner "Rechten" kräftig um. Und seit Bruno Mégret seine Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Marseille bekanntgegeben hat, ist er wieder verstärkt in das Visier der Linken so wie eines Teils der mit diesen konspirierenden lokalen Rechten (vornehmlich UDF) gelangt, die aus den letzten Regionalratswahlen, als einige Präsidenten mit Hilfe des Front National gewählt wurden, gelernt haben dürften.

Dazu kommt, daß ein gespaltener Front National lange nicht so das Zünglein an der Waage wird spielen können wie gewohnt. Vorausgesagte vier bis fünf Prozent für die neue Partei reichen dazu wohl nicht aus. Es ist aber anzunehmen, daß Mégrets weitere Pläne dennoch auf realistischen Einschätzungen einer möglichen Erweiterung beruhen. Auf eine entsprechende Frage einer Journalistin ließ er in Marignane bereits durchblicken, daß er alle um die Nation besorgten Persönlichkeiten des bürgerlichen Lagers zur Zusammenarbeit aufrufen werde. Was nicht ausschließt, daß der neue Front gelegentlich die Linke unterstützen könnte, wie zuletzt bei einer Regionalratsabstimmung in der Region Ile-de-France.

Die Entschlossenheit jedenfalls, mit der Mégret bei diesem Kongreß angedeutet hatte, daß er regieren wolle und nicht bloß protestieren à la Le Pen, läßt vermuten, daß es von Seite etwa der Partei Chiracs (RPR) oder der Démocratie libérale (DL) gewisse Angebote oder Zugeständnisse geben könnte. Wie weit diese dann ernst gemeint oder abgesichert sind, stünde wohl auf einem anderen Blatt, desgleichen, wie weit die Anhängerschaft Mégrets überhaupt bereit wäre, diesen gemeinsamen Weg mitzugehen.

Käme andererseits eine Zusammenarbeit mit einem Teil der bürgerlichen Rechten nicht zustande, könnte die neue Partei, sofern es ihr nicht gelingt, Le Pens Erbmasse zu übernehmen, sehr schnell einer Zerreißprobe ausgesetzt werden. Denn so klug Mégret auch sein und so ein interessantes Programm er auch haben mag, und das hat er tatsächlich, über Erfolg oder Mißerfolg seines Unternehmens entscheiden auch Kriterien, von denen Le Pen einige für sich, zumindest lange Zeit, in Anspruch nehmen konnte. Sehr bald nämlich könnte der neue "shooting star" der französischen Rechten die jetzt geforderten außergewöhnlichen Führungsqualitäten und das nötige, bisher eher mangelnde Charisma unter Beweis stellen müssen.

Eine ganz wesentliche Übereinstimmung gibt es zwischen Mégret und Le Pen über die benannten Unterschiedlichkeiten jedoch immer noch. Ihre Vorliebe für die "Ode an die Freude". Wie auf den bisherigen Parteitagen mit Le Pen wurde auch bei der neuen nationalen Bewegung der Schluß des Parteitages mit Beethovens Meisterwerk zelebriert.


 
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