© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/99 29. Januar 1999


CD: Klassik
Wirklicher Reformer
Julia Poser

Bis vor kurzem hielt man Glück für den ersten großen Reformator der Opera seria. In der Vorrede zu seiner Oper "Alceste" aus dem Jahr 1776 hatte er "alle Mißbräuche, die falsch angebrachte Eitelkeit der Sänger und die allzu große Gefälligkeit der Komponisten" scharf gegeißelt. In der aus Italien kommenden Kunstform "Opera seria" beherrschte der virtuose Sänger, meist ein Kastrat, mit oft stereotypen Arien die Bühne. Die Stimme triumphierte, das Orchester hatte sich dem Gesangsstar unterzuordnen.

Vor Glück hatte sich jedoch bereits der 1714 in Aversa bei Neapel geborene Niccolo Jommelli um eine Opernreform bemüht. Er strebte eine reichere Orchestrierung an und wagte neue, harmonische Kühnheiten. Er erfand das rauschende Crescendo des ganzen Orchesters, verstand aber auch, Einzelinstrumente wirkungsvoll einzusetzen. Sechzehn Jahre lang war Jommelli am Ludwigsburger Hof des Herzogs Carl Eugen von Württemberg als Hofkomponist engagiert, die musikalisch erfolgreichste Zeit seines Lebens; denn als er nach einem Streit mit dem Herzog 1769 nach Neapel zurückkehrte, wurde dort seine Musik nicht mehr verstanden: Sie war zu deutsch geworden.

Die Münchner Firma ORFEO hat nun mit "Il Vologeso" erneut einen musikalischen Schatz aus der Frühzeit der Klassik gehoben. Die Oper wurde 1766 zum Geburtstag der Herzogin Elisabeth Friederike komponiert, doch die Herzogin hatte ihren ungetreuen Gatten bereits vor der Uraufführung verlassen. In der packenden Oper geht es um den vom römischen Feldherrn Lucio Vero besiegten Partherkönig Vologeso, um dessen treue Gattin Berenice, die der Römer begehrt, und um die römische Braut Lucilla, die auf das Eheversprechen pocht. Um ein spannendes, bühnenwirksames Libretto zu gewinnen, griff Jommelli selbst in die Texte des Dichters Verazi ein. Angst und Verzweiflung werden jetzt nicht mehr nur besungen, sondern die Szene in der Arena, in welcher der unbewaffnete Vologeso den Löwen vorgeworfen wird, erlebte der Zuschauer sogar selbst mit.

Mit dem Dirigenten Frieder Bernius, dem bewährten Stuttgarter Kammerorchester und den vorzüglichen Solisten ist ein großes homogenes Kunstwerk entstanden. Der Sopranist Jörg Waschinski singt den moralisch überlegenen Partherkönig mit strahlend heller, modulationsfähiger Stimme. Der Tenor Lothar Odinius, bisher eher als kleinstimmiger Tamino bekannt, hat eine enorme Entwicklung gemacht. Volltönend und majestätisch ist er ganz der siegreiche römische Feldherr, der jedoch in der Cavatine "Que faro?" (Was soll ich tun?) sich menschlich-furchtsam zeigt. Die mutige Berenice bringt Gabriele Rossmanith mit schönster Kehle. Erschütternd ist ihre Wahnsinnsarie "Ombra que pallida" (Bleicher Schatten), meisterlich von der Bläsern begleitet. Mit reichem, ausdrucksvollen Mezzo gibt Helene Schneiderman der tatkräftigen Kaisertochter Lucilla viel Elan. Der kanadische Countertenor Daniel Taylor mit seiner außergewöhnlich schönen Stimme als Vertrauter des Lucio Vero wie auch Mechthild Bach als Lucillas Reisebegleiter Falvio sind echte Luxusbesetzungen auch in kleineren Partien. Von der Ouvertüre bis zu den Finali führt Frieder Bernius seine Stuttgarter durch dieses gewaltige Werk, dem er spannendes Leben verleiht. Eine Aufnahme ebenbürtig der "Verlassenen Didon" und empfehlenswert für jeden Klassikfreund.

Jommelli: "Il Vologeso" , ORFEO, C 420 983 F, 3 CD, vierspr. Libretto und Beiheft.


 
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